Professor Hicks erklärt das Higgs-Teilchen. John Ullmann

Professor Hicks erklärt das Higgs-Teilchen - John Ullmann


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Quanten reden. Das ist kürzer. Wir bezeichnen uns ja auch als Teilchenphysiker. Und damit kommen wir zum Kern unseres Themas, auf das aktuelle, sozusagen Top-Thema der modernen Physik, das in den letzten Jahren selbst in den Boulevardblättern für Schlagzeilen sorgte, das Higgs-Teilchen.

      Higgs-Teilchen oder Gottesteilchen, Urknall und Weltformel, Schwarze Löcher, Dunkle Materie und Dunkle Energie das sind die aktuellen Stichworte zur Erklärung der Welt, die Einstein mit seiner Kosmologie ins Leben rief. Und im geistigen Schlepptau der Einsteinschen Theorie ersinnen Physiker ernsthaft utopische Theorien von Wurmlöchern, Antiwelten, vielen Welten, Paralleluniversen, wie sie oft in Science-Fiction-Romanen auftreten und versuchen diese durch formalistische Spielereien als wissenschaftliche Hypothesen darzustellen, in der Hoffnung, dass diese durch Experimente bestätigt werden.

      Doch eine realistische und geniale Hypothese stellte der britische Physiker Peter Higgs auf, indem er ein Teilchen vorhersagte und berechnete, dass für die Erzeugung der Masse aller Teilchen zuständig sei. Dafür erhielt er ja auch zusammen mit dem französischen Physiker Francois Englert den Nobelpreis.“

      Professor Hicks sah von seinen Vorlagen mit den Stichworten auf dem Rednerpult kurz auf und mit einem gewissen selbstgefälligen Lächeln in das amüsierte Plenum.

      „An ihren strahlenden Gesichtern erkenne ich, dass Sie sich über die Namensähnlichkeit von Herrn Higgs und mir amüsieren. Doch ich bin weder verwandt noch verschwägert mit ihm, obwohl ich auch seiner Idee des Higgs-Teilchens anhänge.

      Doch die genaue Erklärung und richtige Formulierung des Higgs-Teilchens steht noch aus. Diese werde ich Ihnen am Ende des Semesters geben. Und dann können Sie sich Ihre eigene Meinung dazu bilden, weil Sie sich dann schon ein bisschen auskennen im magischen Baukasten der Materie.

      Obwohl man die Teilchen, also zum Beispiel auch das Elektron, nicht direkt sehen kann, lässt sich ihre Bewegung in der Nebelkammer, durch die von ihnen erzeugte Nebelspur, sichtbar machen. Wir besitzen quasi ein analoges Abbild des Teilchens. Das Bild, das wir vom Higgs-Teilchen hier zu sehen bekommen, ist aber kein analoges Abbild des Teilchens, sondern ein quasi digital erzeugtes Bild, das graphische Ergebnis theoretisch errechneter Daten. Wir sehen also eigentlich nur eine Computeranimation des Teilchens. Das zeigt, dass der Computer immer mehr zum verlängerten Arm und erweiterten Gehirn des Wissenschaftlers wird. Mit ihm lassen sich Vorgänge in der Natur, die so schnell und winzig sind, dass sie mit den herkömmlichen, realen Nachweisverfahren nicht mehr überprüft werden können, sozusagen in einem Cyber-Experiment untersuchen und ihre Strukturen und Mechanismen aufdecken.

      Wenn ich Sie hier am Ende des Semesters zum Higgs-Teilchen geführt habe, dann werden Sie begriffen haben, dass dieses Teilchen uns im Grundbaukasten der Materie, aus dem die Welt aufgebaut ist, noch gefehlt hat und auch verstehen werden, warum man das Higgs-Teilchen auch als Gottesteilchen bezeichnet. Und Sie werden dabei zu der Einsicht kommen, dass sich der Alte da oben, wie Einstein sich ausdrückte, schon etwas bei der Erschaffung der Welt gedacht hat.

      Das war es für heute. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.“

      Mit innerer Befriedigung vernahm Professor Hicks dann das akademische Beifallsklopfen der Studentinnen und Studenten auf den alten hölzernen Pultflächen.

      Indessen war ihm noch etwas Wichtiges eingefallen so, dass er sich noch einmal den Zuhörern zuwandte. „Gestatten Sie mir noch einen für Sie wichtigen Hinweis, bevor Sie gehen. Denken Sie auch in Ihrer momentanen Begeisterung für meine Ausführungen daran, dass wir zwei Klausuren in diesem Semester über das Thema schreiben. Ich hoffe, dass ich durch diese Bemerkung das massenhafte Interesse für meine Vorlesung nicht gemindert habe.“

      *

      Der Hörsaal war schon fast geleert und Professor Hicks kramte seine Unterlagen zusammen, um sie in seiner alten, speckigen Aktentasche der Marke Bree, aus Naturleder, die er schon seit seiner Studentenzeit mit sich herumschleppte, zu verstauen.

      Neben ihm hatte sich der dickliche Student Sparlinek mit dem Kindergesicht und den großen Augen hinter den ultrastarken Brillengläsern postiert, der ihn schon durch seinen Zwischenruf während der Vorlesung leicht genervt hatte und ihn wohl jetzt noch weiterhin mit seinen vorwitzigen Weisheiten traktieren wollte. „Herr Professor, haben Sie noch etwas Zeit?“

      Dr. Fitzroy, der ebenfalls zu Professor Hicks gekommen war, um sich für heute zu verabschieden, da er noch einen wichtigen Termin hätte, womit er den allabendlichen Treff mit seinen Zech- und Klönsbrüdern im berühmt berüchtigten „Weinloch“ in der Unteren Straße meinte, kannte den Studenten Sparlinek bereits vom Sehen und von Erzählungen der Assistenten anderer Fakultäten. Bei diesen Gesprächen identifizierte ihn Dr. Fitzroy in seiner abfälligen Art nur als den „Mehlsack mit den Glasbausteinen“. Und in diesem Sinne antwortete er dem Studenten Sparlinek noch bevor Professor Hicks auf dessen Frage reagieren konnte, kurz und schmerzvoll, wie er es selbst immer gern bezeichnete: „Zeit hat er schon, aber keine Lust“, und verschwand eiligst.

      Professor Hicks, den die kaltschnäuzige und flapsige Art seines Assistenten sichtlich störte, bedachte dessen Ausfälligkeiten aber immer nur mit einem missbilligenden Räuspern, da er sich bewusst war, dass er Dr. Fitzroy als Arbeitstier für die ungeliebten Korrekturen, der immer zahlreicher werdenden Klausuren benötigte, die auch immer grausiger wurden, worin sich beide einig waren. Außerdem bewährte sich sein Assistent bestens als Abwehrschild gegenüber ungeliebten äußeren Einflüssen jeglicher Art auf ihn und sein Institut. Doch das provokante Verhalten des Dr. Fitzroy wurde in letzter Zeit immer unangenehmer und peinlicher. Wenn dies so weitergehen sollte, dann könnten die Tage von Dr. Fitzroy als

      Assistent am Institut für interdisziplinäre Forschung gezählt sein. Dieser Gedanke verfestigte sich in Professor Hicks Kopf immer mehr.

      Außerdem schien sich zwischen Dr. Fitzroy und dem Studenten Sparlinek ein zusätzlicher Konflikt aufzutun, da normalerweise

      Dr. Fitzroy bisher die, wie er es rechtfertigte, schwere geistige Kost des Vortrags durch erheiternde Zwischenbemerkungen in Form von Spontisprüchen ab und zu gezielt auflockerte.

      Seine Rede war: „Mit trockenen Vorlesungen kann man heute nicht mehr ankommen, man muss ein wissenschaftliches Event und Spektakel bieten, möglichst eine mediale Präsentation und kein ödes Verbalgesülze.“

      Doch mit Sparlinek und seinen Lacherfolgen während der heutigen Vorlesung trat plötzlich ein Rivale für sein Privileg als Animateur für Professor Hicks` Hochschulveranstaltungen auf, den er gleich abservieren wollte, bevor dieser sich weiter breit machen sollte.

      Im Gegensatz zu seinem Assistenten besaß Professor Hicks aber noch die alte pädagogische Selbstverpflichtung der Dozenten alter Schule, nämlich dem Anliegen seiner interessierten Studenten nachzukommen und sie als Kunden und nicht nur als lästige Störer bei der eigenen Lehr- und Forschungsarbeit zu betrachten. Und in diesem Sinne wandte er sich mit altväterlicher Stimme dem Studenten Sparlinek zu. „Was haben Sie denn auf dem Herzen, mein Lieber?“

      „Also Ihr Modellbaukasten der Materie als Weltbild des modernen, gebildeten Menschen, ist das nicht ein bisschen naiv, Herr Professor? Die Teilchenforscher tun ja gerade so, als hätten sie es mit richtigen Teilchen zu tun, als seien das Dinge, wie die Körper rings um uns herum, wie das Pult hier oder die Mappe und setzen aus diesen die ganze Welt zusammen“, sprudelte es vorwurfsvoll aus den wulstigen Lippen des Studenten Sparlinek hervor.

      „Da mögen Sie Recht haben, wenn Sie dabei an die Klötzchen des Kinderspielbaukastens denken. Doch die Klötzchen des Baukastens der Materie sind die Teilchen“, gab Professor Hicks dem interessierten Studenten Sparlinek mit einem gewissen Lächeln der Überlegenheit zu bedenken.

      Und die Teilchen, wie ich schon angedeutet habe, besitzen eigenartige, ja man kann sagen, magische Eigenschaften, deshalb heißt ja der Untertitel zu dieser Vorlesung auch „Der magische Baukasten der Materie“.

      „Ja gut, das ist mir nun bestens vertraut, dass die Teilchen ungewöhnliche Eigenschaften besitzen. Das macht mir keine Schwierigkeiten. Darum geht es mir auch nicht bei der Vorstellung des Baukastens der Materie“, gab der Student Sparlinek mit selbstsicherem Ton zum Besten.

      „Worauf


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