Damals bei uns daheim. Ханс Фаллада

Damals bei uns daheim - Ханс Фаллада


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Lehrer sei sofort aus dem Schuldienst entlassen worden. Aber dieses neckische Klopfen von Professor Olearius konnte keinesfalls als körperliche Züchtigung gelten, obwohl es zweifelsohne eine war.

      Einige Jahre später hat es der Zufall gefügt, daß ich mit Professor Olearius auf der Hinterplattform eines Straßenbahnwagens zusammentraf. Er erkannte mich sofort wieder, wie ich ihn sofort erkannte und sofort wieder den alten Haß gegen ihn im Herzen spürte. Damals ging ich längst auf ein anderes Gymnasium und war löblicher Obertertianer …

      Mit der alten dünkelhaften Überlegenheit wandte sich Professor Olearius, ohne die geringste Rücksicht auf die andern Fahrgäste, an mich und sprach: »Nun, du beklagenswerter Fallada? – An welcher Erziehungsanstalt bringst du jetzt unselige Lehrer ihrem Grabe näher?«

      Aber ich war nicht mehr der verschüchterte Junge aus der Quinta oder Quarta. Ich hatte mittlerweile die Erfahrung gemacht, daß ich nicht dümmer war als andere und bestimmt klüger als dieser alte Pauker, für den die Welt aus lateinischen und griechischen Verben bestand. So antwortete ich ganz laut: »Ich kenne Sie nicht, und wenn ich Sie kennen würde, würde ich einen Menschen wie Sie niemals grüßen!«

      Sprach’s, sah ihn bleich werden bei dieser öffentlichen Kränkung und sprang ab von der Elektrischen, Jubel über meine doch recht schülerhafte Rache im Herzen.

      Aber damals war an Rache noch nicht zu denken. Jeden Morgen beim Aufwachen lag die ganze Penne mit Kameraden, Lehrern, Schularbeiten wie ein Alpdruck vor mir. Wenn ich mich irgend von ihr drücken konnte, tat ich es. Da ich sehr kränklich war und meine Eltern in steter Angst um meine Gesundheit lebten, war es nicht sehr schwer für mich, oft zu Hause bleiben zu dürfen. Sah ich gar zu wohl aus, und schien der Tag mir ganz unüberwindlich, so schlich ich mich heimlich in die Speisekammer und nahm ein paar kräftige Schlucke aus der Essigflasche. Dann wurde ich so geisterbleich, daß meine Mutter mich ganz von selbst ins Bett schickte.

      Da lag ich dann Stunden und Tage und las und las. Ich wurde es nicht müde, meinen Marryat und meinen Gerstäcker und den heimlich geliehenen Karl May zu lesen. Je untragbarer mir mein Alltagsleben erschien, um so dringlicher suchte ich Zuflucht bei den Helden meiner Abenteuerbücher. Mit ihnen fuhr ich zur See, bestand die schwersten Stürme, auf einer Rahe beim Segelreffen schaukelnd (ich wäre beim leisesten Windstoß hinuntergeflogen!), schwamm zu einer wüsten Insel (ich konnte nicht schwimmen) und führte dort ein Robinsondasein, ferne allen geflickten Hosen, gedrehten Zöpfchen und Heulerchen im Latein.

      Von diesen Träumen war es nur ein Schritt bis zu dem erst spielerischen Gedanken, all diesem Elend hier zu entfliehen, wirklich ein Schiffsjunge zu werden und wirklich Schiffbruch und Landung auf einer Insel zu erleben. Je öfter ich daran dachte, um so leichter erschien mir die Ausführung.

      Erst nur andeutungsweise, dann schon ernster sprach ich mit Hans Fötsch darüber und fand zu meiner Überraschung bei ihm ein offenes Ohr. Auch Hans Fötsch war es müde, länger dieses ungerechte Dasein zu ertragen. Zwar in der Schule hatte er, wie er mir erzählte, keine Schwierigkeiten. Dafür aber war er »Schuß« mit seinem Vater, der den Sohn, mehr als dieser für angemessen hielt, mit Backpfeifen und Prügeln traktierte und überhaupt ein höchst ungerechter, tollwütiger Berserker war.

      Allmählich nahmen unsere Pläne immer festere Gestalt an. Wir beschlossen, nach Hamburg zu fahren und uns dort als Schiffsjungen auf einer Bark oder Brigg anheuern zu lassen. Am schwierigsten schien es, nach Hamburg zu kommen. Waren wir erst einmal dort, würde alles schon glatt gehen. Nach dem, was wir gelesen hatten, war man in allen Häfen ganz wild nach Schiffsjungen aus den besseren Ständen. Wir erkundeten, daß ein Zug nach Hamburg um die Stunde ging, zu der wir uns morgens in der Schule einzufinden hatten, das war also in Ordnung. Auch die Beschaffung von Reiseproviant konnte im Hinblick auf die elterlichen Speisekammern nicht schwierig sein. Vorsorglich fingen wir schon an, Konserven aller Art zu klauen, und trugen dadurch lebhafte Unruhe und schwarze Verdächte in den Schoß unserer Familien …

      Am schwierigsten erschien die Beschaffung des Reisegeldes. Wir setzten den Mindestbetrag, den wir brauchen würden, auf zwanzig Mark fest – aber zwanzig Mark waren eine ungeheure Summe, ferne allen Schülermöglichkeiten. Hans Fötsch verlegte sich darauf, die Taschen des väterlichen Mantels zu revidieren. Ich hielt fleißig Ausschau nach dem Portemonnaie meiner Mutter. Aber was wir erbeuteten, waren nur Groschen – nach drei Wochen kleiner Mausereien hatten wir noch keine zwei Mark zusammen.

      Da entschloß ich mich zu einem großen Wagnis. Ich wußte, daß Vater das während des Monats benötigte Geld im Mittelfach seines Schreibtisches aufbewahrte: Silber und kleines Geld in einer offenen Drahtkassette, die Goldfüchse aber in zwei netten kleinen weißen Beutelchen, auf die Fiete im Kreuzstich »zehn Mark« und »zwanzig Mark« gestickt hatte. Diese Schublade war zwar immer verschlossen, aber es gab soviel Schränke und Kommoden in unserm Haus, in denen Schlüssel steckten, daß ich überzeugt war, einer davon werde schon passen.

      Morgens stand ich nun als allererster auf und schlich, während alles noch schlief, auf Socken durch die Wohnung, Schlüssel probierend. Schließlich paßte zu meinem Unheil wirklich einer. Die Geldschublade lag offen vor mir, und in den beiden kleinen Geldsäckchen klingelte es angenehm. Nach langem Überlegen entschloß ich mich, ein Zehn- und ein Zwanzig-Mark-Stück zu nehmen. Ich glaubte, mein Vater werde den Verlust weniger leicht merken, wenn in jedem Beutel nur ein, als wenn in einem Beutel zwei Goldstücke fehlten. Trotzdem Hans Fötsch und ich fest ausgemacht hatten, noch aus Hamburg von der Anzahlung auf unsere Heuer Vater das Geld zurückzusenden, klopfte bei dieser Zwangsanleihe mein Herz doch sehr. Wohl war mir dabei nicht zumute, und stumm saß ich, mit gesenkten Augen, beim Kaffeetisch.

      Noch auf meinem Schulweg gelang es mir, Hans Fötsch abzufangen und ihm zu sagen, daß mein Vorhaben gelungen sei. Da uns beiden noch längeres Verweilen unter so drückenden Umständen unmöglich schien, wurde die Flucht schon auf den nächsten Morgen festgesetzt.

      An diesem Nachmittag hatten wir unendlich viel zu tun. Mit einer wahren Wonne warfen wir die Bücher aus unserer Schultasche und füllten sie mit Konserven und sehr wenig Wäsche. Schularbeiten wurden natürlich nicht mehr gemacht, wir hatten unsere Schiffe hinter uns verbrannt. Vom Bäcker holten wir Schrippen und vom Fleischer Leberwurst, dies schien uns der richtige Reiseproviant. Das Geld wurde zwischen uns so geteilt, daß Hans Fötsch das Zehn-Mark-Stück, ich aber den Zwanzigmärker bekam. Am späten Abend erst trennten wir uns, beide sehr erregt. Als Zeit unseres Treffens am nächsten Morgen war halb acht Uhr festgesetzt.

      Ob ich in dieser Nacht viel geschlafen habe, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls werden durch meine Träume Briggs, die mit geblähten weißen Segeln vorm Winde dahinflogen, gespukt haben.

      An der Frühstückstafel am nächsten Morgen nahm ganz ungewohnt mein Vater teil, der sonst immer erst um zehn, halb elf Uhr frühstückte, da er, der größeren Ruhe wegen, meistens nachts bis gegen zwei, drei Uhr morgens arbeitete. Aber ich achtete nicht auf diese befremdliche Änderung seiner Gewohnheiten, wie ich nicht auf seine Blicke achtete. Ich war viel zu sehr mit meinen Plänen und Hoffnungen beschäftigt. Endlich war es soweit!

      Kurz vor halb acht Uhr schnappte ich meine ungewohnt schwere Tasche und rannte auf die Straße vor Fötschens Haus. Ich mußte fünf, ich mußte zehn Minuten warten – meine Aufregung wurde immer fieberhafter. War etwas dazwischengekommen, oder war es nur die gewöhnliche Bummelei von Hans Fötsch?

      Dann kam er – aber wie ward mir, als ich ihn an der Hand seiner Mutter daherwandeln sah?! Zur Salzsäule erstarrt, blickte ich auf meinen blassen, verheulten Freund und das strenge Gesicht seiner Mutter, die ihn eher als Gefangenen mit sich schleppte, denn wie eine Mutter ihren Sohn führte! Nahe, ganz nahe gingen die beiden an mir vorüber. Hans wagte mich nicht anzusehen, seine Mutter aber bedachte mich mit einem vor Empörung sprühenden Blick und zischte: »Du Bube du!«

      Dann waren sie an mir vorüber, sie schritten die Luitpoldstraße hinab und verschwanden um die Ecke meinen Blicken. Ich war völlig zerschmettert. Also war unser Vorhaben doch verraten, und ich war dazu verurteilt, weiter die verhaßte Schulbank zu drücken, Spott und Kränkungen zu ertragen! Ade, du freies Schiffsjungendasein! Ade, fröhliche Fahrten vor dem Wind, während die Delphine um unser Schiff spielen! Ade, ihr sonnigen Palmeninseln der Südsee!


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