Sternengeflüster. Mara Janisch

Sternengeflüster - Mara Janisch


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mir selbst. „Warum zieht es dich hierher?“ „Ich möchte die Dunkelheit befragen, ihr lauschen, was sie mir erzählt über meinen siebenjährigen Aufenthalt hier. Im Dunkeln müssen die Augen schweigen, sie können nicht ständig plappern und ihre Urteile von sich geben. Die Ohren – sie lauschen, sie empfangen, sie haben weniger Vorurteile, von ihnen erwarte ich einen neuen Gesichtspunkt, weil ich auf der Suche nach einer neuen Art der Wahrnehmung meiner Erlebnisse bin.“

      So taste ich mich mit meinen Fußsohlen über den Holzboden. Welch neue Wahrnehmung, die Fußsohlen so genau zu spüren, den Bodenkontakt zu fühlen.

      Aua, was war das jetzt? Es fühlt sich weich an. Ich bücke mich und hebe es auf, ein Stück Taschentuch, nein! Ich taste das weiche Stück ab: Zwei kleine Knöpfe – etwas Spitzes, ein Schwänzchen. Ach so, es kann nur eine Stoffmaus von meiner Katze sein! Ich nehme sie an mich. Mittlerweile bin ich im Musikzimmer angelangt, wo ein schwarzer Flügel in der Mitte stand und viele Menschen hier ein- und ausgegangen sind. Sie sind um das Klavier im Kreis gestanden und haben gesungen. Ein großer Zweifel hat sie hierher geführt. Sie wollten es zu Recht nicht glauben, dass sie kein einfaches Lied nachsingen können.

      „Ich treffe den Ton nicht, ich kann den Ton nicht richtig nachsingen, ich schäme mich dafür, dass ich falsch singe. Meine Eltern haben immer gesagt, sei still und singe nicht mit, du störst mit deinem falschen Singen“, war zu hören.

      Es ist dunkel hier. Am Boden setze ich mich nieder und ich lausche in die Finsternis: Sind die Ängste der Menschen noch hier?

      Ich sitze am Boden und lausche dem Unsichtbaren und Unhörbaren. Ich sitze gerne in der Dunkelheit. Weit entfernt höre ich Bässe einer Stereoanlage und Autogeräusche von der Straße. Dann wieder Stille! Ich mache es mir bequem und lehne mich an die Wand, hoffentlich schlafe ich nicht ein.

      „Gibt es nicht sinnvollere Dinge, als Menschen unbedingt singen beizubringen?“, höre ich eine Stimme sagen. Habe ich das jetzt geträumt, bin ich eingeschlafen? Stille!

      „Gibt es nicht sinnvollere Dinge, als Menschen unbedingt Singen beizubringen?“, tönt es jetzt noch einmal eindeutig aus der Stille wie mit tiefen Stimmen gesprochen.

      Ich denke kurz nach und dann muss ich über diese dumme Frage laut lachen. Da fällt mir ein, dass ich darüber nicht lachen brauche, zumal ich dieses Argument von vielen Menschen hier immer wieder gehört habe, dass Singen etwas völlig „Nutzloses“ ist, das sie sich aber jetzt einmal gönnen möchten.

      Zu meinen unsichtbaren Gesprächspartnern spreche ich laut:

      „Oh ja, es ist etwas höchst Sinnvolles, wenn ein Mensch entdeckt, dass er singen kann. Singen gibt Mut, dass jeder Mensch ein Recht auf seinen eigenen Klang hat. Aus einem Lied von zwei verschiedenen Menschen gesungen, werden plötzlich zwei verschiedene Lieder. Es gibt kein stärkeres Bekenntnis zur eigenen Individualität, zum eigenen Wesen, als die Erfahrung der eigenen Stimme.“

      „Wir brauchen keine Individuen, wir brauchen Menschen, die sich in das Gute wie in das Schlechte der Gesellschaft einfügen und eine Leistung für die Gemeinschaft erbringen“, raunen mir chorische Stimmen entgegen.

      „Ihr seid also noch hier, ihr Gedanken der Täuschung. Ihr leitet die Sinnsuche der Menschen in die Irre. Ihr leugnet vor allem das individuelle Wesen der Menschen“, entgegne ich.

      „Das wollen alle, etwas Besonderes sein. Zeigt eure Besonderheit in der Leistung“, tönt es zurück.

      „Wir sind etwas Besonderes, jeder von uns. Das müssen wir nicht durch eine besondere Leistung beweisen“, erwidere ich bestimmt. Ich warte. Nichts ist zu hören.

      Vom langen Sitzen ein wenig steif geworden gehe ich erregt herum. „Leise“, fällt mir ein! Dann taste ich mich wieder zum Musikzimmer, um meine Tasche zu holen. Wo ist sie denn? Mit dem Fuß suche ich den Boden ab. Sie war doch eben noch hier, sie muss ja hier sein!

      „Hoffentlich mache ich keinen Fehler“, höre ich unvermittelt. „Hoffentlich singe ich nicht falsch, ich habe Angst etwas falsch zu machen“, höre ich weiter.

      „Ja, jetzt zeigt ihr euch“, denke ich mir, „früher habt ihr euch versteckt! Ihr Kräfte der Angst.“

      „Und wie schafft ihr es in den Menschen hineinzukriechen?“, frage ich.

      „Das geht ganz einfach. Wenn der Mensch überfordert ist, zu wenig Ruhe sich gönnt, Probleme hat, wenn er nicht bei sich ist und sich nicht mehr spürt, dann kommen die Selbstzweifel und dann schlüpfen wir durch dieses Tor des Zweifelns in ihn hinein. So einfach ist das. Wenn wir einmal hier sind, dann haben wir schon gewonnen, so schnell seid ihr uns dann nicht mehr los“, triumphieren sie.

      „Ja, das habe ich bemerkt, ihr seid noch immer hier.“

      „Wir sind leider weniger geworden, aber es reicht noch immer um Menschen zu überzeugen, dass Fehler machen eine Schande ist“, fügen sie selbstbewusst hinzu.

      „Danke, für heute reicht es mir.“

      Wie durch Zufall ertaste ich meine Tasche und steuere den Ausgang an. Außerdem ist es höchste Zeit zu gehen, es beginnt zu dämmern. Fehler machen ist eine Schande? stößt es mir auf, in welchem Jahrhundert lebe ich denn eigentlich?

      Umberto und Orpheus

      Fehler machen ist eine Schande?

      „Keine Fehler machen ist eine Schande!“, werde ich den Kräften in der Helftorgasse entgegenschleudern. Warum finden sich so viele Menschen damit ab, dass Fehler machen angeblich eine Schande sein soll?

      Ein wunderbarer Juni-Tag erwartet mich, die Luft ist erfrischend, inspirierend, ein leichtes Lüftchen weht. Die Sonne blitzt am Himmel, eine Sonne, die noch nicht belastet, noch nicht ihre glühende Hitze schickt. Ich steige gerade aus dem Taxi aus. Das Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln habe ich mir schon lange abgewöhnt, weil niemanden ein Meer der Freude beim Betreten der U-Bahn erwartet. Wer taucht noch in den See der Blicke, in das Wogen von Sympathie und Antipathie beim U-Bahnfahren ein? Jeder kommuniziert mit sich und mit seinem Handy oder er glotzt wie hypnotisiert auf seinen I-Pod und der gefrorene Blick fixiert sich unbarmherzig auf den handtellergroßen Bildschirm.

      Beim Meidlinger Tor am Schönbrunner Schlosspark steige ich aus und ich spaziere diesmal durch eine Kastanienallee zur Meierei. Ein rundes, einfaches Gebäude sehe ich von weitem, rundherum sind Tische und Sessel bereitgestellt, die Sonnenschirme locken schon. Mit einem Wort ein kleines Paradies inmitten der Stadt erwartet mich: lieblich, von den Errungenschaften der Technik noch nicht zu sehr entstellt. Die Atmosphäre ist leicht und luftig.

      Es ist kurz vor 16 Uhr und einige Menschen sehe ich hier sitzen, noch stehen genug Plätze zur Auswahl. Umgeben von kunstgerecht geschnittenen Hecken, von Sträuchern und Bäumen, Bosquetten genannt, mit einem wohltuenden Ausblick auf die „Meidlinger Vertiefung“, die wie ein großes wasserleeres, seichtes Schwimmbecken aussieht, das mit Rasenflächen ausgekleidet ist. Mein Auge kann im Grünen schweifen, einen großen, weiten Raum kann es abtasten.

      In einer halben Stunde kommt Umberto, ich freue mich auf ihn! Wie selten ist es geworden, dass das Auge mitten in der Stadt so viel Raum vorfindet und den weit ausgespannten Himmel sehen kann mit den phantasievollen Wolkengebilden, in denen ich als Kind immer Gesichter gesucht habe. Bei der Gelegenheit frage ich mich, wem die Stadt eigentlich gehört? Den Menschen?

      Nein, sie stören eher das Gewoge der Autos und Straßenbahnen, Architekturscheußlichkeiten, der Kräne, Müllcontainer und der fieberhaft betriebenen Wohnbausanierungen.

      „Ich bin dafür, die Stadt zur menschenfreien Zone zu erklären“, sage ich mir. Wieder schaue ich zum Himmel. Das Kommen und Gehen der Wolken zaubert neue Gebilde hervor. Kein Stillstand ist zu sehen, nur eine unentwegte Bewegung am Himmel.

      „Ja, bitte einen Capuccino mit Schlag“, antworte ich der Kellnerin.

      Zwanzig Minuten nach 16 Uhr ist es. Umberto wird gleich kommen. Er ist jung und schön mit großen wachen Augen. Ende Mai hat er seinen zwanzigsten


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