Und nun auch ich: Brustkrebs!. Karin Bieseke-Hartmann
Wir verlassen bestgelaunt und erleichtert das Gebäude - und essen in der nächsten Eisdiele ein riesengroßes Eis. „Mensch hast du ein Glück!“. Uta kann es kaum fassen. Glück im Unglück. Aber das Glück überwiegt hier deutlich. Die nächsten Stunden hänge ich am Telefon. Jeder soll es wissen – und jeder freut sich mit mir. Alida, Jutta, Waltraud, Jasch und und und … Welche Erleichterung. Sie hat doch keinen Krebs.
Zwei Wochen genieße ich bewusst und intensiv den Sommer, meine Pferde, alles, alles. Bin gefasst in Bezug auf die Operation. Ein bisschen Angst schwingt natürlich mit. Wie werde ich hinterher aussehen? Machen die das so, dass ich mit dem Ergebnis leben kann? Vor allen Dingen – der Größenunterschied danach – wie den ausgleichen? Na ja, einen Schritt nach dem anderen.
31. Juli - Montag Die Nacht vor der stationären Aufnahme schlafe ich gut. Erst in der Klinik geht es los. Uta will mich hinbringen.
01. August - Dienstag Den ganzen Tag lang Voruntersuchungen. Blutabnahme, markieren der OP-Linien mit vorbereitendem Gespräch durch den Stationsarzt. Verwaltungssachen. Lungen-Thorax, EKG, Gespräch mit dem Anästhesisten, - schließlich mit dem Professor/ Chefarzt, der die OP durchführen wird. Abends das „Engelshemdchen“, Achsel-Rasur, Gummistrümpfe. Beruhigungstablette erst am Morgen vor der OP. Ich schlafe auch hier bestens. Direkter Blick morgens beim Aufwachen aus dem Fenster: Draußen ist Sommer, alles ist grün, - das Leben! Hier drinnen, - alles andere als das Leben, Angst, diffuse Angst. Jetzt ist sie doch da. Dann holen sie mich, fahren mich im Bett durch die Gänge. Wie schrecklich, wie schrecklich. Am liebsten würde ich mir ein Handtuch übers Gesicht legen, aber ich habe keins. Außerdem sähe das aus, als wenn ich schon tot wäre. „Nimm dich nicht so wichtig! Sei froh, dass man dir schnell und professionell helfen kann, – du bist nur die Krankenakte Nummer … XXY.“ Den Vorraum zur OP erlebe ich hellwach. „Ihre Nachbarin ist bei Ihnen, Frau Bieseke-Hartmann. Sie ist heute die zweite Anästhesistin“. Wie nett. Wir begrüßen uns, halten ein kleines Schwätzchen. „Habe gar nicht gewusst, dass Sie hier Ärztin sind“. Wie auch, - bin ja, außer bei Jaschs Geburt, nie im Krankenhaus gewesen. Grüne Menschen um mich herum, - es wimmelt in Grün. Servus. Gegen 14.30 Uhr wache ich auf. Alles okay, alles vorbei. Ich lebe noch. Meine Zimmergenossin, eine sehr nette alte Dame, begrüßt mich. Schnell bin ich auch wieder ganz da. Habe Hunger. Hänge natürlich am Tropf, - Schmerzmittel, Redon (Sekretschlauch), aber das ist nichts weiter, haben hier alle, rennen alle damit auf den Gängen herum. Die Schwestern sehen abends nach der Wunde. “Sieht sehr gut aus.“ Ich gucke weg, will mich nicht ansehen, auf keinen Fall. Die Schwestern lachen amüsiert. „Ist gut, sieht wirklich gar nicht schlimm aus, ist gut.“ Trotzdem will ich „es“ nicht sehen.
05. August - Samstag Besuche, Anrufe, Nettigkeiten, - es ist hier absolut auszuhalten, fast erholsam. Jeden Tag kommt der Professor. Noch ist der pathologische Befund des herausgeschnittenen Gewebes nicht da. „Kann ich davon ausgehen, dass die Diagnose „Insitu“ sich bestätigen wird?“ „Ja, durchaus, - aber die letzte Gewissheit haben wir erst, wenn der Befund da ist“. Am Dienstag, den 09.08., kann ich nach Hause. Jutta will mich abholen, sie fährt ganz früh in Landau/Pfalz los. Richtung Köln.
09. August - Mittwoch Dienstag früh, Tag der Entlassung, Visite: Das betretene Gesicht des Professors, als er zu meinem Bett kommt, lässt mich erstarren. Bin schon fertig angezogen, am Zusammenpacken. „Frau Bieseke-Hartmann, ich habe gestern Abend den Befund hereinbekommen. Leider ist es nicht so, wie wir vermutet und gehofft hatten. Man hat in dem entfernten Gewebe doch drei sehr kleine Herde gefunden, die ein invasives Karzinom darstellen.“ Das Fallbeil! Ich zucke zusammen. „Was bedeutet das, Herr Professor?“ „Auf jeden Fall eine weitere Operation. Ich muss den Wächterknoten aus der Achsel entfernen, im Schnellschnitt-Verfahren. Wir m ü s s e n das machen, wenn wir gewissenhaft vorgehen wollen. Der Wächterknoten ist die erste Station, in der sich bei eventueller Streuung des Karzinoms etwas absetzt. Ist der Wächterknoten frei, machen wir gleich wieder zu. Ist er bereits befallen, müsste ich ca. zehn weitere Drüsen entfernen.“ „Und dann – was kommt dann?“ „Auf jeden Fall folgt eine Chemotherapie.“ „Auch, wenn der Wächterknoten frei ist?“ „Ja, auch dann. Es gibt ja noch den Weg über das Blut. Nicht völlig auszuschließen ist, dass eventuell etwas durch die Blutbahn gelangt ist und sich irgendwo in anderen Organen ablagert. Das könnte dann, - auch nach Jahren u.U. anfangen zu wachsen, aktiv zu werden. Um das zu 90 Prozent auszuschließen, macht man eine Chemotherapie. Ohne die Chemo haben Sie nur mehr eine 70-prozentige Chance, dass später nichts mehr zurückkommt.“ Bums, bums! „Nun lasse ich sie trotzdem heute nach Hause.“ Na, danke. Für den Schnellschnitt wird der Termin sofort für den 16.08. festgesetzt. Genau eine Woche Galgenfrist. Ich bin zittrig, rufe Jutta an, die unterwegs zu mir ist. Sie ist stumm, einfach nur stumm. Zu Hause besprechen wir alles in Ruhe – und telefonieren, telefonieren. Alle sind erschüttert, vor allen Dingen Jasch in Berlin. Er verspricht, nach der zweiten OP gleich einen Flug zu buchen, um mich zu besuchen. Und dann gehen kleckerweise „Erfahrungsberichte“ ein. Wer hatte nicht schon alles Brustkrebs, - und jeder weiß etwas dazu zu sagen. Höre mir auch alles immer wieder an, von „gar kein Haarausfall“, bis „Glatze gleich in den ersten 14 Tagen“ oder „erst nach der vierten/fünften Infusion“. Macht mich alles ganz verrückt.
16. August - Mittwoch Wieder auf Station. Die Schwestern begrüßen mich mit Hallo: “Na, wieder hier?“. „Leider ja.“ Ich lande wieder in „meinem“ alten Zimmer. Wie heimelig.
17. August - Donnerstag OP am Morgen. Nach einem „Schnellschnitt“ rast ein Krankenwagen mit Blaulicht mit dem entfernten Wächterknoten in die benachbarte kooperierende Diagnostik-Klinik. Solange bleibt der Patient – in diesem Falle ich - in Narkose in der „Warteschleife“, um ggfs. bei positivem Befund gleich weiter operiert werden zu können, wie der Professor erklärt hatte. Der Anruf der Klinik entscheidet, ob OP oder Aufwachraum. Also los. Am frühen Nachmittag bin ich wach. „Befund?“, frage ich die Schwestern. Die wissen nichts. Muss auf den Professor warten. Die Ungewissheit nervt furchtbar. Was, wenn die Drüse befallen war, wenn weitere Drüsen entfernt werden mussten?? Endlich Abendvisite: „Alles frei!“. Keine weitere Operation. Gott sei Dank. Aber die Chemotherapie ist unvermeidlich. Bis Samstag muss ich stationär bleiben.
19. August - Samstag Marion holt mich ab. „So eine Sch…. ! Es tut mir ja so leid. Aber du bist stark, du schaffst das.“ Bin aber momentan nur ein Häuflein Unglück, ein kleiner gestrandeter zerzauster Vogel. „Ja, ja natürlich“, bemühe ich mich zu antworten. Jasch landet am Nachmittag in Köln. Ein merkwürdig schönes Wochenende für uns beide. N o c h geht‘s mir gut. Habe meinen Sohn lange nicht gesehen. Wir machen es uns gemütlich – trotz der unschönen Perspektive. Für kommenden Donnerstag ist noch ein Gespräch mit dem Professor angesetzt, nachdem am Dienstag eine Tumorkonferenz in der Klinik stattfinden wird, an der auch der Chemotherapeut aus Köln teilnehmen wird. Die Bedeutung und Wichtigkeit der Chemotherapie wird mir Donnerstag nochmals gepredigt. Kurz auf den Nenner gebracht: 70 Prozent Sicherheit o h n e Chemo, 90 Prozent Sicherheit m i t Chemo. Es geht schlichtweg um 20 Prozent mehr Sicherheit. Der Professor rät mir auf jeden Fall dazu. „Würden Sie Ihre Frau auch in die Chemotherapie schicken?“ „Ja.“ Gut, - einverstanden. Ich könnte auch ablehnen – auf eigene Verantwortung. Tue ich aber nicht. Wir vereinbaren einen Gesprächstermin in Köln bei Dr. Sch. im Therapiezentrum, Dienstag, 29.08. Erneute Frist zehn Tage. Und der Sommer schmilzt dahin. Noch einmal in die Pfalz zu Jutta, Erich und Alida. Schöne sonnige Tage. Die Narben schmerzen nur wenig. Alles erträglich. Die vielen Ratschläge allerdings gehen weiter – und mir weiter auf die Nerven. Wie viele Vergleichsfälle es gibt, - und dennoch ist keiner wirklich vergleichbar. Vor drei Jahren z.B. wurde die Form der Chemotherapie, die ich jetzt erhalten werde, noch nicht angewandt in Deutschland. Sie kommt, soviel ich weiß, aus Amerika. Damals wurde wöchentlich eine Chemotherapie verabreicht. Den Patientinnen war häufig „speiübel“. Ich kenne einen Fall, bei dem eine Freundin von Jutta die Therapie rigoros abgebrochen hat. Sie konnte einfach nicht mehr. Das war noch die „alte wöchentliche Verabreichung“. Heute geht es dieser Freundin ausgesprochen gut. Sieben Jahre dürfte das her sein. Glück gehabt? Mutig jedenfalls. Meine „preußische Erziehung“ gebietet mir: „Anreiten. Du