Zerbrechliche Ichbrücken. Hilde Sturm
„Ja, ich habe aus Angst vorm Träumen nicht geschlafen ...., eigentlich fast immer.“
„Haben Sie noch andere Träume?“
„Am häufigsten träume ich, ich sei eine kleine Erbse in einem großen, dunklen Raum und werde von einer großen Kugel erdrückt.... oder es kommt eine Hand auf mich zu, die Finger sind Messer.... Die Hand bedroht mich.... Oder ich töte und zerstückele einen anderen Menschen und wache schweißgebadet auf.... Ich habe Angst, dass mir dasselbe passiert.“
„Wie lange schon haben Sie diese Horrorträume?“
„Schon als Kind.“
„Dann schleppen Sie Hass und Aggressionen also schon viel länger mit sich herum?“
„Kann sein.... “
„Wenn dieser Traum immer wieder kommt, könnte er ein wichtiger Schlüssel zu Ihrem Kernproblem sein.“
„Heute bitte nicht.“
„Die Stunde ist auch um. Wir müssen beim nächsten Mal darüber reden.“
Hannas Kladde
6.4.93 22Uhr Urlaub - unnötige Unterbrechung einer therapeutischen Beziehung. Therapeutische Gemeinschaft! Patienten mit in Urlaub nehmen? Utopie der 60er Jahre. Und eben nach der Rückkehr noch eine Frustration. Meine professionell bedingte Zurückweisung hat Simone gekränkt und extrem beeinträchtigt. Haben meine Argumente wenigstens gereicht, ihren beobachtenden Ich-Anteil zu aktivieren?
Andererseits ist Simone in den letzten Wochen überhaupt leicht zu irritieren. Sie blockt viel ab, schaltet auf Dissoziation. Reißmaschine. Diese hält ihr Ich klein und schwach. Allmählich wird sie begreifen, dass die Spalterei schadet. Aber wie kommt sie dahin, den Knipser wirklich abschalten zu wollen? Wir haben nur ihre Beziehung zu mir. Ihr immer wieder vorführen, dass sie mich spaltet und in dissoziierten Ich-Anteilen doppelt speichert. Noch ist ihr unreifes Ich zur Synthese von „guten“ und „bösen“ Eigenschaften kaum fähig. Dauerfrustration, Gewalt und Missbrauch in der Kindheit haben die Dissoziationen zu dem einzig erträglichen Abschaltzustand werden lassen. Natürlich müssen die andauernden Spalt-Manöver zur Behinderung des sozialen Lernens führen. Erst verzerrtes Erleben und dann zerteiltes Aufbewahren. Für jeden Moment müssen die Einzelteile mühsam und immer mit anderen Vorzeichen neu zusammengesetzt werden. Welche Anstrengungen! Besonders für die ununterbrochen lernenden Kinder.
Zu Schwester Oda hat Simone ein relativ großes Vertrauen. Wir wissen, dass sie sie dazu idealisieren muss. Denn sie vermag sie nur dann als „Beschützerin“ für sich einzusetzen, wenn sie ausschließlich „gute“ Eigenschaften an ihr wahrnimmt. Mir gegenüber ist Simone oft ablehnend oder wütend. Gerade eben hat sie meine Freundschaft haben wollen. Was war das? Sympathie, Probe auf Vertrauen oder Abwehr? Wenn sie nichts von den Dingen macht, die ich ihr auftrage oder worum ich sie nur bitte, dann ist das Abwehr. Und Misstrauen. Und die getrennte Aufbewahrung meiner Person in ihrer inneren Vorstellung als zwei entgegengesetzte Unterpersonen. Die Gute und die Böse. Damit wird sie nur fertig, wenn sie trickst. Muss das immer wieder ansprechen. Hartes pädagogisches Trockenbrot. Und das Agieren! Kernberg empfiehlt, eine Therapie unter unrealistischen Bedingungen gar nicht erst anzufangen. „Unrealistisch“ ist die Umschreibung für gewichtige Mängel im Arbeitsbündnis, nämlich Mangel an Ehrlichkeit und absichtliches Zurückhalten von Vorstellungen. Auch das werde ich zur Sprache bringen müssen.
Zwanghaft, wie ich das alles aufzähle! Ich bekenne, das ist die Furcht, ich könnte etwas falsch machen. Furcht macht wenigstens vorsichtig. Wichtiger sind die Gefühle. Bei jeder Begegnung braucht sie längere Zeit, um wieder Vertrauen zu mir zu fassen. Sie ist dann ganz offen. Spiegeln lernen. Lächelspiegel. Vertrauensspiegel. Spiegelneurone aktivieren. Es schadet nicht, wenn die Stunde überzogen wird, schon allein, um die Spiegelprozesse zu festigen, Spiegelbrücken, die verstimmte Mütter dem Säugling nicht bauen können.
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