Mord im Zeppelin. Ulli Schwan

Mord im Zeppelin - Ulli Schwan


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auch sein Gutes, überlegte Becky. Immerhin wurde die Gräfin dadurch getröstet. Sie schien glücklich in dem Glauben, ihr Mann begleite sie – ein glückliches Leben, wollten das nicht alle? Aber was, wenn das Glück auf einer Lüge fußt? Schließlich wusste niemand sicher, ob es nach dem Tod noch etwas gab.

      In den letzten Jahren hatte Becky ihren Vater und ihren jüngsten Bruder verloren, und auch sie wollte sich die beiden nicht in einem kalten Grab vorstellen, sondern lieber glücklich irgendwo anders. Und warum dann nicht hier, bei uns? Doch sie war nicht umsonst mit einem Bühnenmagier verheiratet, der dem Publikum Illusionen schenkte. Sie wusste inzwischen aus Miros Erzählungen nur zu gut, was sogenannte Medien alles taten, um den Trauernden einen Kontakt vorzugaukeln. Ich wünschte, ich könnte mir sicher sein, dachte sie ein klein wenig wehmütig.

      Sie hatte Annett gegenüber Houdini erwähnt, dessen Werke ihr Mann erst vor kurzem gelesen hatte. Houdini glaubte, dass es da etwas gab, er war allerdings auch Skeptiker und suchte nun nach echten Beweisen. Miro ging es ähnlich und beide hatten bisher niemanden gefunden, der absolut zweifelsfrei mit Geistern kommunizieren konnte.

      Becky verstand das Bedürfnis nach der Sicherheit, dass es den Verstorbenen gut ging. Sollte die Gräfin in ihrem Glauben Glück finden, Becky gönnte es ihr. Ihr und allen anderen, die daran glaubten. Becky war sich aber immer noch nicht sicher, was sie glaubte.

      Als sie aus ihren Gedanken auftauchte und wieder der Unterhaltung folgte, war Madame Silva dabei, Annett von einer ihrer letzten Geisterbegegnungen zu erzählen. Diese hatte nicht wie erwartet auf einem typischen, nebelverhangenen alten Landsitz in England stattgefunden, sondern in einem der Tunnel der New Yorker Untergrundbahn.

      »Ein zwölfjähriger Junge war dort umgekommen. Sehr tragisch. Er hatte mit seinen Murmeln gespielt, während sie dort auf den Vater gewartet hatten und ist dann wohl einer dieser Murmeln nach und auf die Gleise gelaufen.« Madame Silva seufzte tief. »Als Medium bin ich fest davon überzeugt, dass es eine höhere Macht gibt, die unser aller Wohl zum Ziel hat, aber bei einer solchen Tragödie fragt man sich doch ...« Sie seufzte erneut und fuhr dann fort.

      »Die Mutter schrieb in ihrer Verzweiflung an mich, denn sie hatte immer wieder von ihrem Sohn geträumt. Er rief sie zurück zum Ort seines Todes, doch sie wusste nicht warum. Irgendetwas wollte er, brauchte er, doch sein Geist hatte nicht genug Kraft, seiner Mutter mitzuteilen, was das war.

      Ich spürte den tiefen Kummer der beiden durch den Brief und entschied, dass ich zumindest versuchen musste, zu helfen. Ich nahm meinen guten Freund, Dr. Rufus Haltstroem mit. Er ist Fotograf und hatte bereits früher mit mir zusammengearbeitet. Wir verbrachten Stunde um Stunde auf dem kalten Bahnsteig und versuchten dort, Kontakt mit Johnny – so hieß der arme Kleine – aufzunehmen. Doch vergeblich. Irgendeine Barriere machte es mir unmöglich, direkt mit ihm zu sprechen. Aber ich spürte seine Präsenz so deutlich ...«

      »Manchmal sind Geister nur schwer dazu zu bewegen, sich öffentlich zu zeigen«, erklärte die Gräfin den gebannt lauschenden Zuhörern. »Eine Möglichkeit, die Kräfte eines Mediums zu verstärken ist es, die Macht von Edelmetallen oder Edelsteinen zu nutzen. Sie üben auf die Geister den gleichen Reiz aus wie auf Menschen – weswegen sie auch als Grabbeigaben in vielen Königsgräbern zu finden sind.« Madame Silva nickte bestätigend.

      »Ich würde sagen, sie üben nicht nur auf Geister einen unwiderstehlichen Reiz aus«, sagte Miro lächelnd. »Frauen im Allgemeinen scheinen sie zu mögen.«

      Alle lachten – wenn auch verhalten.

      Becky sah ihn dankbar an: Er bemerkte immer, wenn sie zu viel grübelte. Als sie sich umsah, stellte sie fest, dass sich die Gruppe der Zuhörer vergrößert hatte: Alle Gäste standen um ihre beiden Tische und lauschten der Geschichte. Skeptiker oder nicht, dachte Becky, einer gut erzählten Spukgeschichte kann keiner widerstehen.

      »Aber ist teures Geschmeide wertvoll für einen Zwölfjährigen?« Madame Silva machte eine Pause und sah ihre Mitreisenden eindringlich an. Sie schüttelte den Kopf. »Einen ganzen Abend riefen wir ihn, doch er erschien nicht, natürlich nicht. Nicht für Gold oder Silber. Als die Haltestelle geschlossen wurde, mussten wir gehen und ich nahm die Einladung der Mutter an, bei ihren zu übernachten. Es war eine nette Familie, aber so traurig über den Verlust, dass keinerlei Lebensfreude mehr zu spüren war. Es war, als wäre ein Loch geschnitten worden, das keiner anzusehen wagte, obwohl es zwischen ihnen stand.

      Am nächsten Tag brachte der Fotograf die Bilder, die wir gemacht hatten und sie zeigten etwas Erstaunliches: Als eine Bahn vorbei gefahren war, spiegelten sich in ihren Fenstern unsere Gesichter und zwischen meinem und dem der Mutter war – nur verschwommen – das Gesicht eines Kindes zu sehen. Die Mutter brach in Tränen aus, ebenso der Vater. Sie waren sich sicher, ihren verstorbenen Sohn zu erkennen. Ich bemerkte, dass der Junge seine Arme seltsam hielt, so, als halte er etwas, was nicht da war. Ich wusste nicht, was es zu bedeuten hatte. Seine Mutter war es, die schließlich die Lösung fand: Es war sein Teddybär. An jenem Tag war der Junge ohne seinen geliebten Stoffbären aus dem Haus gegangen, der lag immer noch in seinem Zimmer.«

      Madame Silva sah versonnen in die Ferne, anscheinend ohne ihre Zuhörer noch länger wahrzunehmen.

      »Ich war überzeugt, dass wir die Lösung gefunden hatten. Also nahmen wir den Bären und jeder sprach ein Gebet. Auch die Eltern sprachen dem Bären ihren letzten Wunsch für den gestorbenen Sohn aus. Dann brachten wir den Bären zu der Haltestelle und legten ihn nieder, kurz bevor die Haltestelle erneut für den Abend geschlossen werden sollte. In dieser Nacht schlief die Mutter tief und traumlos und als wir am nächsten Morgen wieder dorthin gingen, war der Bär fort.«

      Madame Silva atmete tief durch. »Der Verlust eines Kindes ist nicht zu überwinden, er wird die Eltern immer schmerzen. Aber ich erhielt erst vor einer Woche Post von der Mutter und sie versicherte mir, wenn sie nun von ihrem verstorbenen Sohn träumt, erscheint er ihr glücklich. Und er hat seinen Bären immer bei sich.«

      Die Gräfin nickte. »Wenn Geister ihren Frieden finden, kann auch die eigene Seele ruhen.«

      Rosemarie Kellermann nickte voller Gefühl und tupfte sich mit einem kleinen Spitzentaschentuch ein paar Tränen aus den Augenwinkeln. »Wenn man sich vorstellt, das arme Würmchen so ganz allein ...«

      »Ich dachte, Gespenster gibt es nur in alten Gemäuern«, meinte Jakob Bleibtreu, den die Geschichte offenbar wenig beeindruckt hatte.

      »Nein, Geister sind überall, wo es Leben gibt«, klärte Madame Silva ihn ernsthaft auf. »Selbst hier, in diesem modernen Luftschiff, spüre ich sie.«

      »Hier bei uns? Jetzt?« Bleibtreu sah skeptisch aus.

      »Nein, wir sind allein«, antwortete das Medium bestimmt. »Aber ich denke, beim Bau des Schiffes wurde so viel Energie frei gesetzt, dass auch Geister hierher kamen und sich mit diesem mächtigen Bauwerk verbanden. Und ist der Himmel nicht das Refugium von Wesen, die aus reinem Äther bestehen?«

      »Das werden wir bei Ihrer Séance herausfinden, nicht wahr?«, fragte Becky unschuldig.

      Miro gab ihr unter dem Tisch einen Tritt, wollte sie damit bremsen, das Medium auch noch zu ermutigen. Das übernahm aber bereits Annett. Begeistert rief sie aus: »Wäre es nicht wunderbar, wenn auch die Cabes teilnehmen würden? Das wäre doch etwas für ihr nächstes Buch!«

      »Nun, wenn sie ebenfalls Interesse daran haben …«, erwiderte Madame Silva, klang für Becky aber nicht besonders überzeugt.

      »In die Welt der Moderne, in der wir leben, passen Geister meiner Meinung nach einfach nicht hinein.« Es war Walther Kellermann, der gesprochen hatte. »Also wirklich, wir bauen Häuser aus Stahl und Glas, Motoren, die uns so schnell reisen lassen wie nie zuvor. Geister sind etwas aus alten Geschichten und alten Häusern, mit dem man die Kinder ängstigen kann. Sie sind einfach kein Teil der heutigen Welt mehr. Wissenschaft regiert, nicht Aberglaube.«

      Überraschend meldete sich nun Quebec Norris zu Wort. »Das stimmt nicht! Geister stecken nicht nur in alten Sachen. Und sie sind nicht nur Aberglaube. Manchmal benutzen sie sogar moderne Technik.«

      »Wie


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