Nesthäkchens Jüngste. Else Ury

Nesthäkchens Jüngste - Else Ury


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unzufrieden den Kopf.

      »Ich verstehe dich gar nicht, Annemarie, daß du dem Mädel im Ernst das Wort reden kannst, anstatt ihr die Flausen 'nauszujagen. Zur Theaterprinzessin haben wir unser Kind doch wahrlich nicht erzogen. Unerhört, daß solche hirnlosen Wünsche überhaupt in unser solides Bürgerhaus kommen können. Aber das liegt halt daran, daß man dem Mädel viel zu viel Willen bisher gelassen hat, daß wir es arg verzogen haben.«

      »Ja, was kann denn ich dafür, wenn ihr mich verzogen habt?« begehrte Ursel, die selten ein strafendes Wort von den Eltern zu hören bekam, auf. »Du selbst hast neulich gesagt, Vater, als du mich in den Freischütz mitgenommen, eine Gnade wär's, wenn einem der Himmel eine solche Stimme geschenkt. Und jetzt sperrst du dich dagegen. Ich könnte die Rolle der Ännchen grade so gut singen.«

      »An allzu großer Bescheidenheit leidest grad nicht, Ursel.« Es zuckte schon wieder belustigt um des Vaters Mundwinkel. Sein Unmut war bezwungen; er sprach jetzt in dem sachlich ruhigen Tone, den man an ihm gewöhnt war. »Ursel, du weißt doch, daß der Vater stets dein Bestes will, gelt? Du hast ja eine recht hübsche Stimme, freilich, wir freuen uns ja alle daran. Aber sie soll uns und vor allem dir auch zur Freude bleiben. So einfach wie du dir das vorstellst, ist der Weg einer Sängerin nicht. Mit gutem Stimmaterial ist es nicht abgetan. Kein Beruf hat mehr Enttäuschungen im Gefolge, als der einer Künstlerin. Deine Kunst soll dir Freundin bleiben, Kind, und dir nicht zur Tyrannin werden.« Das waren gute, väterliche Worte. Sie machten Annemaries Herz so warm, daß sie den Arm um Rudis Schulter schlang und sich an ihn lehnte, zum Zeichen ihres festen Einverständnisses mit ihrem Manne.

      Nicht so Ursel. So weit war sie denn doch nicht Annemaries Tochter. Fügsamkeit und Nachgeben hatte sie noch nicht gelernt.

      »Der Vronli habt ihr's doch auch erlaubt, daß sie nach München an das Schwabinger Krankenhaus als Säuglingsschwester hat gehen dürfen. Trotzdem der Vater auch zuerst nicht dafür war. Und der Hansi will auch kein Arzt werden, wie der Vater es wünscht. Na ja – – –« Ursel kam einen Augenblick aus dem Text, denn Hans hatte ihr nachdrücklich auf den Fuß getreten. Aber sie fuhr sogleich in ihrem Empörungsausbruch fort: »Und ich lebe doch mein Leben und nicht das meiner Eltern. Ich bin ein moderner Mensch mit modernen Anschauungen!« Großartig rief sie's mit tränenschwerer Stimme.

      »Ein ganz unreifes Mädchen bist du, das uns durch sein ungehöriges Benehmen am besten zeigt, wie kindisch es noch ist, und daß man es noch nicht ernst nehmen kann«, wandte sich jetzt auch die Mutter gegen das impulsive Töchterchen. »Gehe auf dein Zimmer und komme dort erst mal zur Besinnung, wie man mit seinen Eltern spricht. Alles Weitere wird sich später finden.« Oho, Frau Annemarie hatte es doch inzwischen gelernt, sich bei ihren Küken in Respekt zu setzen.

      »Das Weitere wird halt sein, daß ich ein Machtwort spreche, daß du zum Ersten als Banklehrling in die Dresdner Bank eintrittst. Ich habe schon mit meinem Bekannten, dem Bankdirektor Hildebrandt, alles Notwendige beredet. Solche gute Chancen hat nicht jedes Mädel. Zur Operndiva kriegst meine Einwilligung nimmer – merk dir's!« fügte der Vater nachdrücklich hinzu.

      »Und zur Bank geh' ich nimmer – da kneif ich einfach aus!« schmetterte Ursel ihren Trumpf darauf und zugleich die Tür ins Schloß.

      »So ein Balg! Temperament genug hätte sie fürs Theater –« ließ sich Hansi anerkennend hören. Er liebte die nur um ein Jahr Jüngere abgöttisch und bewunderte bei seiner eigenen ziemlich phlegmatischen Art ihr heißblütiges Wesen.

      Trude räumte den Tisch ab. Erstaunt blickte sie auf die nicht völlig geleerten Teller, auf die verstimmten Mienen ihrer sonst meist harmonisch heiteren Herrschaften. Natürlich, Fräulein Ursel hatte wieder was ausgefressen. Armes Ding! Ohne zu wissen, um was es sich handelte, stellte Trude sich auf die Seite ihres jungen Fräuleins. Das hatte es ihr nun mal, wie den meisten Menschen, durch seinen Liebreiz angetan.

      Annemarie folgte ihrem Manne in sein Zimmer. Die Stunde nach dem Mittagessen pflegten sie gemeinsam zuzubringen, wenn die unerbittliche Praxis nicht störend dazwischen trat. Rudi streckte sich auf die Chaiselongue, Annemarie schmiegte sich in die Tiefen des Klubsessels. Er griff zur Zeitung, sie zu einem Buch. Aber aus dem Lesen wurde selten etwas. Meistens gab es so viel von dem am Vormittag Erlebten auszutauschen, daß nicht viel Zeit zur Lektüre übrigblieb. Oft ließ der Professor auch seine Zeitung sinken und blickte wortlos zu seinem Weibe hinüber. Das war für ihn die größte Erholung nach den Strapazen des in der Klinik zugebrachten Vormittags, ihre ihm so lieben Züge still zu betrachten.

      Als Hans die Eltern in das Zimmer des Vaters verschwinden sah, verschwand auch er schleunigst. Es eilte ihm durchaus nicht damit, sein Zeugnis vorzuzeigen. Erst mußten die von Ursel aufgewirbelten Wogen abgebraust und die Stimmung wieder eine normale sein. Auch daß die Ursel in ihrer unüberlegten Art seine vorläufig noch nicht offiziellen Zukunftsabsichten hineingemischt hatte, war höchst überflüssig. Alles, was die Gemüter erregen konnte, schob man am besten auf.

      Annemarie ließ sich heute nicht in ihren Sessel nieder. Sie setzte sich zu ihrem Mann und streichelte seine bereits leicht angegrauten Schläfen. Ohne daß er was sagte, wußte sie, daß die Unterredung mit seiner Jüngsten ihm stärker nachging, als er zeigen mochte. Eine wunderbare Beruhigung ging von ihren Fingern aus. Rudi griff nach ihnen und zog sie an seine Lippen.

      »Da haben wir nun den Salat, Frauli. Kommt einem das Mädel mit solchen Hirngespinsten. Und hält ihre Eltern ganz gewiß noch für Gott weiß was für Tyrannen, daß wir ihr mit dem notwendigen Nachdruck entgegentreten. Das Mädel haben wir nicht straff genug genommen, das rächt sich halt jetzt.«

      »Wir – Rudi?« Annemaries Gesicht überzog ein eigenes Lächeln. »Wer hat mich denn immer ›Rabenmutter‹ genannt, wenn ich mir mal zu sagen erlaubte, daß wir Ursels Eigensinn unbedingt brechen müßten. Gegen die beiden andern warst du viel konsequenter als gegen Ursel – –«

      »Nun ja, weil es halt unser Nesthäkchen ist. Und weil sie mich mit deinen lieben Augen anschaut, Annemarie. Sie ist grad' wie du – – –«

      »Erlaube mal, mein Herr Gemahl, den Eigensinn, den Starrkopf, den hast du ihr vererbt!« widersprach Annemarie eifrig. »Eigensinnig bin ich niemals gewesen, auch als Kind nicht. Bloß wütend.«

      Rudi lachte herzlich.

      »Und jetzt ist mein Weible sanft wie eine Taube geworden, gelt?«

      »Nee, damit wart' ich noch, bis ich mal alt und abgeklärt bin. So rasch geht das nicht, mein Täuberich«, gab sie schlagfertig zurück. Sie hatte es wie meist wieder erreicht, Rudi in heitere Stimmung zu versetzen. Als schlaue Evastochter beschloß sie, dieselbe sogleich für ihr Nesthäkchen auszunutzen und ein gutes Wort für dasselbe einzulegen.

      »Rudi, ich weiß doch nicht, ob wir der Ursel so scharf entgegentreten und ihre künstlerischen Wünsche gänzlich unterdrücken sollen«, meinte sie sinnend. »Um so mehr wird sie sich nur in das ihr Versagte festbeißen. Eine Mutter kennt doch ihr Kind am besten. Und ich weiß von meinen Mädchenjahren her, daß ich so lange gebohrt habe, bis der Vater schließlich eingewilligt hat, daß ich mit den Freundinnen in Tübingen studieren durfte. Ein Glück, daß ich's durchgesetzt habe, sonst hätte ich meinen alten Brummbären nie zu sehen bekommen.« Sie zauste ihn zärtlich an den Ohren.

      »Ich wär' dir auch nach Berlin nachgereist, Herzle«, beteuerte ihr Mann scherzend.

      »Du hättest mich doch gar nicht gekannt – –«

      »Aber geahnt – als Ergänzung meines Wesens – eine andere hätt' ich nimmer genommen«, behauptete Rudi.

      »Wer kann wissen, ob wir der Ursel nicht auch ihr Lebensglück unterbinden, wenn wir sie in einen ihren Neigungen nicht entsprechenden Beruf zwingen«, steuerte Annemarie weiter auf ihr Ziel los. »Und vielleicht hat sie wirklich das Zeug dazu, eine tüchtige Sängerin zu werden – eine von den Großen.«

      »Eitle Mutter!« schalt der Professor. »Man wird leichter eine tüchtige Bankbeamtin, als eine große Sängerin. Wenn halt auch du unvernünftig bist, dann hab' ich freilich einen schweren Stand. Gegen zwei Frauensleut' komm ich nimmer auf.«

      »Nein, Rudi, du weißt es ja,


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