Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern. Christian Springer

Eduard Hanslick über Giuseppe Verdis Opern - Christian Springer


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zu erleiden. [...] Die Entschuldigung, daß der Mangel an besseren Opern zu V e r d i nöthigte, ist ganz haltlos; richtiger könnte man von dem Mangel an schlechteren Opern sprechen. [...] Jede Oper von Marschner, Reissiger, Lindpaintner, Lachner, Wagner, Lortzing, Dessauer, Hoven{41}, Esser, die man statt des Verdi einstudirt hätte, wäre ein Hochgewinn gewesen.{42}

      Die Erwähnung dieser Komponistennamen – so manche von ihnen Größen, deren Werke nicht überleben konnten – hat den Betroffenen nicht gedient, die Erwähnung Wagners in diesem Zusammenhang mutet aus heutiger Sicht kurios an.

      Die mit Schaum vor dem Mund vorgetragene Aburteilung Verdis durch Hanslick spiegelt die politische Situation der Zeit wider. Die Italiener hatten es gewagt, mit den am 18. März 1848 in Mailand beginnenden „Cinque giornate“, einem fünf Tage währenden Aufstand, gegen die österreichischen Besatzer unter dem greisen Feldmarschall Radetzky aufzumucken. Auch wenn die verhaßten Besatzer dadurch nur vorübergehend vertrieben werden konnten, wurde als Reaktion auf das Unerhörte ab sofort alles Italienische in Wien verabscheut.

      Der gewaltige Sturm der Märzerhebung fand fast augenblicklich sein nachzitterndes Echo in dem Kunstleben Wiens. Das erste Lebenszeichen des neuen politischen Umschwungs, das auf künstlerischem Gebiete sich kundgab, war destruktiver Natur: die Verjagung der italienischen Oper. Am 1. April 1848 sollte die italienische Saison unter der Direktion des Signor [Carlo] Ballochino mit Verdis „Ernani“ eröffnet werden. Kaum aufgeklebt, waren aber auch schon alle Ernani=Zettel zerkratzt, besudelt, herabgerissen.{43}

      Die Stagione wurde zuerst verschoben, dann mußte der Impresario am 16. April 1848 nach anonymen Drohungen zurücktreten.

      Die italienischen Sänger zerstoben nach allen Richtungen. Der Demonstration gegen die italienischen Sänger lagen die zwei mächtigsten Strömungen jener Tage zugrunde: die nationale und die demokratische.{44}

      Diese Strömungen wollten durch Stellungnahmen wie jener Hanslicks journalistisch bedient werden, denn:

      Der ersteren war man sich vollkommen bewußt und betonte sie ungescheut: man wollte deutsches Wesen, deutsche Politik, deutsche Kunst. Fort mit den Erbfeinden des Deutschtums, fort mit den Welschen!{45}

      Dass die „Erbfeinde des Deutschtums“, die „Welschen“, mit nur kurzer Unterbrechung unter österreichischer Herrschaft standen, kümmerte Hanslick wenig. Er erblickte in der italienischen Musik den „künstlerische[n] Ausdruck deutschfeindlichen und spezifisch aristokratischen Vergnügens“, obwohl sich dies mit den Arbeiten eines „geistlosen Charlatans“ wohl nur schwer in Einklang bringen ließ. Als es nach 1848 zu mehrjähriger „ununterbrochener Alleinherrschaft deutscher Opernvorstellungen“ gekommen war, erweckte die Sopranistin Adelina Patti, die Hanslick in seltener Übereinstimmung mit Verdi „als die erste lebende Gesangskünstlerin, als ein musikalisches Genie“{46} bezeichnete, bei den Wienern die Vorliebe für italienische Opern zu neuem Leben.

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      Adelina Patti (1843-1919), Verdis Lieblingssopranistin

      Als Folge der von ihr ausgelösten Begeisterung kam es in den Jahren 1864-67 zu Gastspielen der früheren Mezzosopranistin und nunmehrigen Sopranistin Desirée Artôt, des Tenors Enrico Calzolari, des Baritons Camillo Everardi und des Baßbuffo Giovanni Zucchini mit italienischen Opern. Hanslick, der bis 1848 „diese Vorstellungen mit ihrem ewigen Einerlei nur widerwillig und in dringendsten Fällen“{47} besucht hatte, war begeistert:

      Mit Entzücken gedenke ich dieser Vorstellungen von „Cenerentola“, „Matrimonio segreto“, „Barbiere“, „Italiana in Algeri“, „Elisir d’amore“ und „Don Pasquale“. Ich werde nie wieder dergleichen hören. Dieses ganze köstliche Repertoire ist mit der dazu gehörigen Gesangskunst von dem Moloch des „Musikdramas“ verschlungen worden.{48}

      Wie zu sehen sein wird, reichte das ostentative Deutschtum des stets ambivalenten und sich selbst widersprechenden Eduard Hanslick aber nicht aus, um ein glühender Anhänger des Vorzeige-Deutschtümlers Wagner zu werden und zu bleiben.

      Auch als Hanslick 1862 in London berühmte Sänger des italienischen Faches zu hören Gelegenheit hatte, konnte er sich vor Begeisterung kaum fassen:

      In der italienischen Oper erlebte ich manchen genußreichen Abend. Da hörte ich Gesangskünstler, wie sie heute nirgends mehr existieren.{49}

      Da hörte er im Londoner Royal Italian Opera House, Covent Garden, Größen wie die Sopranistinnen Lind, Patti und Miolan-Carvalho, die Tenöre Mario und Tamberlick{50} und den Bariton Faure, am Her Majesty’s Theatre die Sopranistin Tietjens und den Bariton Santley. Die große Jenny Lind hatte ihm wie zur Bestätigung eines (inexistenten) versunkenen Goldenen Zeitalters persönlich bestätigt: „Die jetzigen Sängerinnen haben alle mit dreißig Jahren keine Stimme mehr; sie haben zu wenig studiert und schreien zuviel.“{51} Zu derlei Urteilen war sie nicht nur durch ihr überragendes Können, sondern auch durch die höheren Weihen legitimiert, die sie vom bedeutendsten aller Gesangslehrer höchstselbst empfangen hatte: „In dem Studirzimmer Garcias{52} hing ein einziges Bild. Es war eine Lithographie von Jenny Lind. Sie hatte ihrem Meister einige Worte dankender Anerkennung darunter geschrieben.“{53}

      Gegen Ende des Jahrhunderts hatten sich die in Wien hingenommenen sängerischen Unsitten bereits weit ausgebreitet:

      Man kann, ohne befürchten zu müssen, eines Irrthums geziehen zu werden, das Pariser Conservatorium als die erste Musik=Anstalt der Welt bezeichnen.

      [...] Das modern gewordene Schreien und Forciren hat die Rheingrenzen bereits überschritten und ist bis in die Räume des Pariser Conservatoriums gedrungen. Der elegante Gesang, die feine, geistreiche Declamation, welche den Franzosen allein eigen war, fängt oft an, durch grobe Effecte ersetzt zu werden.{54}

      Trotz seines zeitgemäßen, dem Deutschtum verbundenen Opportunismus konnte der rabiate vierundzwanzigjährige Hanslick den Musikgeschmack der Wiener nicht beeinflussen. Während der Nabucco aus ungeklärter Ursache aus dem Repertoire verschwand und in Wien erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder gespielt wurde{55}, blieb der Ernani ein Lieblingsstück des Wiener Publikums.

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