PICKNICK IN PLUNDERLAND. Erhard Schümmelfeder
Babette und blinzelte mir listig zu.
„Das kostet zweihundert Mark“, bemerkte Tina.
„So?“, sagte Frl. Lampe ratlos.
„Ja. Meine Mutter hat letzte Woche unser Klavier stimmen lassen. Mein Vater hat darüber geschimpft.“
„Und warum?“, wollte Frl. Lampe nun wissen.
„Er sagte: ’Ungestimmt klingt das Klavier viel besser!‘“
„Nun ja“, sagte Frl. Lampe. „Über Geschmack kann man nicht streiten. Was - was machen wir denn jetzt nur?“
„Ich kenne einen, der jedes Klavier reparieren kann“, rief ich in die Runde. „K-k-ostenlos!“
„So - wen denn?“, fragte unsere Lehrerin hoffnungsvoll und erhob sich von ihrem Drehhocker.
„Herrn Presszeh!“, riefen alle Jungen und Mädchen wie aus einem Munde.
„Ich hole ihn!“
Noch bevor Frl. Lampe widersprechen konnte, war ich aus dem Klassenzimmer herausgestürmt. Ich sauste durch das Treppenhaus, schlinderte über den blankgebohnerten Flur des Obergeschosses und riss, ohne anzuklopfen, atemlos vor Aufregung, die Tür der Klasse meines Vaters auf.
„Herr Presszeh!“, entfuhr es mir, wobei ich einen flüchtigen Blick auf die verdutzten Gesichter in den Bänken warf. Gelassen hielt mein Vater beim Schreiben an der Tafel inne.
„Mein Freund“, sagte er, „kann ich dir vielleicht helfen?“
„Fräulein Lampe“, japste ich, nach dramatischen Worten ringend.
„Was ist denn mit Fräulein Lampe?“
„Sie kriegt keinen Ton heraus!“, brachte ich die komplizierte Lage treffend auf den Punkt.
„Na sowas“, sagte mein Vater lächelnd. „Wir wollen mal sehen, ob wir ihr helfen können.“
Mit wildem Gejohle stürmten alle Kinder der Klasse über Tische und Bänke und eilten mit meinem Vater in das Untergeschoss des Schulgebäudes.
„Gibt es ernstliche Probleme?“, fragte mein Vater, als er unseren Klassenraum betrat. Seine linke Hand steckte in der Hosentasche.
„Das Klavier ist kaputt!!!“, riefen alle Kinder mit merkwürdiger Begeisterung. „Heilemachen!!“
„Nun, dann wollen wir mal sehen, was sich machen lässt“, sagte mein Vater fachmännisch.
„Der C-Akkord hat uns verlassen“, erklärte Frl. Lampe achselzuckend.
„Keine Sorge, der kommt schon wieder“, beruhigte mein Vater sie.
Er klappte den oberen Deckel des Klaviers hoch und beugte sich darüber, um einen Blick in das Innere zu werfen.
„Aha“, sagte er triumphierend. „Die Geschichte vom verlorenen Ton kommt zu einem glücklichen Ende.“
„Haben Sie den Fehler?“, fragte Frl. Lampe und atmete dabei erleichtert auf.
„Allerdings“, bemerkte mein Vater und griff mit der rechten Hand tief in das Gehäuse hinein. Er angelte ein kleines graues Paket ans Tageslicht. Es sah aus wie ein in Pergamentpapier gewickeltes Frühstücksbrot.
„Nanu“, sagte Frl. Lampe und wurde ein wenig rot.
„Ihr Pausenbrot ist wieder da!“, jubelten die Kinder mit vergnügten Gesichtern.
„Das sehe ich. Mich würde nur interessieren, wer – “
„Aufessen! “, unterbrach ich sie.
„Ja! Aufessen!“, tobten alle durcheinander.
„Sie sehen, uns bleibt keine andere Wahl, als uns dem Willen des Volkes zu beugen“, sagte mein Vater und wickelte das Papier von dem Brot. Er gab Frl. Lampe eine der beiden Schnitten und blickte sich amüsiert nach allen Seiten um. In diesem Moment bimmelte die Schulglocke. ”Mahlzeit“, sagte er trocken und biss vorsichtig in das mit Käse belegte Brot. Doch dann verzog er das Gesicht, wobei er aussah wie Herr Piesepampel, unser mürrischer Hausmeister. „Ziegelhart“, sagte er. „Diesen Belastungen sind meine Zähne nicht gewachsen.“
„Meine auch nicht“, sagte Frl. Lampe lächelnd.
„Wer von euch hat zu Hause ein Schwein?“, fragte mein Vater in die Klasse hinein.
„Wir haben sechsundzwanzig Schweine im Stall“, rief Eule aus der mittleren Bankreihe.
„Das trifft sich gut“, sagte mein Vater. ”Dann übertrage ich dir hiermit den schwierigen Auftrag, diese zwei Käsebrote mit Hammer und Meißel in sechsundzwanzig möglichst gleichgroße Stückchen zu zerteilen. Traust du dir diese Aufgabe zu?“
„Klar“, sagte Eule, nahm die Brote in Empfang und steckte sie in seine Büchertasche.
Angeber, an den niemand mehr gedacht hatte, meldete sich nun zu Wort. „Wann bekomme ich denn mein Geburtstagsabschlusslied?“
„An deinem Geburtstag“, erklärte ich und fügte schadenfroh hinzu: „Im nächsten Jahr!“
Dann lief ich mit den anderen Kindern hinaus auf den Schulhof, denn der Unterricht war zuende an diesem Tag.
ONKEL KOHLRABI UND DER BIRNBAUM
„Morgen Vormittag besucht euch der Schulzahnarzt aus der Kreisstadt“, verkündete Frl. Lampe eines Tages mit strahlendem Lächeln.
Ein ahnungsvolles Murrenraunenstöhnen ging dabei durch den Klassenraum ...
Am nächsten Tag fühlte ich mich ganz elend. Ich wäre gern zur Schule gegangen. Ehrlich. Aber eine geheimnissvolle Krankheit streckte mich nach dem Frühstück nieder und fesselte mich ans Bett. Ich hatte Schüttelfrost, hohes Fieber, starkes Magendrücken, Schwindelanfälle und vieles mehr.
Kurz vor acht klingelten Keule und Beule an unserer Tür.
„Ist Picknick schon unterwegs?“, fragten sie.
„Nein“, hörte ich von meinem Zimmer unter dem Dach meinen Vater unten in der Eingangsdiele antworten. „Er kann heute unmöglich zur Schule gehen. Er hat hohes Fieber: 36,4°.“
„Ist er morgen wieder gesund?“, fragte Keule besorgt.
„Ihr könnt euch darauf verlassen“, sagte mein Vater zuversichtlich.
Dann hörte ich Keule und Beule über den Plattenweg zum miauenden Gartentor laufen. Beule pfiff noch einmal zu meinem Fenster herauf, aber ich rührte mich nicht vom Kissen.
Mein Vater stellte mir heißen Pfefferminztee und trockenen Zwieback ans Bett, küsste mich und verabschiedete sich.
Kaum war ich allein, fühlte ich mich deutlich besser. Ich blätterte ein wenig in einem Buch, konnte mich aber nicht auf die Geschichten darin konzentrieren. Irgendwie wurde ich auf einmal schläfrig. Ich schloss meine Augen und begann zu träumen ...
Ich stieß - im Traum - die Bettdecke beiseite, zog mich an, rutschte das Treppengeländer herunter in die Diele und trat hinaus in den morgenfrischen Garten.
Ich atmete auf. Ein Gefühl von abenteuerlicher Unternehmungslust erfüllte meine Brust. Wie sollte ich den gewonnenen Morgen verbringen? Ich wollte etwas anstellen. Plötzlich hatte ich eine Idee!
Der riesige Obstgarten hinter der efeubewachsenen Steinmauer gehörte Onkel Kohlrabi. Zur Zeit arbeitete er an einer Bratapfelmaschine, die er den Schulkindern von Plunderland schenken wollte. Es interessierte mich, wie weit er mit seiner Erfindung war.
Ich stapfte durch das hochgewachsene Gras zum Wohnhaus Onkel Kohlrabis. Am Rande des Gartens standen die Brennnesseln fast mannshoch. Unter dem schattigen Holunderbusch