Ehre und Macht. Julia Fromme
Wunsch, in Sicherheit zu sein. Kaum hatten sie das Torhaus betreten als hinter ihnen die Zugbrücke wieder nach oben gezogen wurde. Ein Waffenknecht kam auf sie zu und wies sie mit einer barschen Geste an, ihm zu folgen. Falk nickte Krystina auffordernd zu und sie gingen hinter dem Mann her in Richtung eines niedrigen Gebäudes, dass wohl die Küche der Burg sein musste. Der Knecht forderte sie auf, hineinzugehen. Drinnen waberte ihnen eine Wolke warmer, abgestandener Luft entgegen, die ihnen allerdings himmlisch erschien, so durchgefroren wie beide waren. Nachdem sich ihre Augen an das Dämmerlicht des Raumes gewöhnt hatten, erkannten sie, dass sie sich in der Tat in der Burgküche befanden. Eine Magd hantierte an einem großen Spülbecken und schrubbte noch die letzten Pfannen und Töpfe des abendlichen Mahles, das längst vorüber sein musste. Eine rundliche ältere Frau stand am Herd und rührte in einem großen Kessel.
„Setzt euch“, forderte sie die beiden auf, ohne sich ihnen zuzuwenden.
„Wie kann sie wissen, dass wir da sind“, raunte Krystina erstaunt.
„Das ist Mara, die Köchin. Sie hat auch am Hinterkopf Augen. Das jedenfalls behauptet Ludek immer, der sie von seinem Vater übernommen hat“, gab Falk ebenso leise zurück und lächelte.
„Was tuschelt ihr da hinter meinem Rücken“, fragte Mara ärgerlich und drehte sich herum.
„Ich grüße dich, Mara. Und ich bitte dich um ein Schälchen heißer Suppe für mich und mein armes halberfrorenes Weib.“ Mara ließ den Löffel in den Kessel fallen und schickte sich an, die Neuankömmlinge etwas näher in Augenschein zu nehmen. Ihren Blick zunächst auf Krystina heftend, runzelte sie die Stirn.
„Was sehe ich da?“, rief sie erbost aus. „Wie kann man seine Frau bei dieser Kälte halb nackt herumlaufen lassen.“ Krystina zog die Decke unbehaglich enger zusammen, als wolle sie ihre Blöße vor der Frau verdecken. Nun wandte sich die Köchin dem Ritter zu, der sie offen ansah.
„Falk?“, fragte sie erstaunt und schien ihren Augen nicht zu trauen.
„Mara, alte Seele“, antwortete er und grinste sie breit an.
„Um Himmels Willen, Herr, was ist mit Euch geschehen?“ Mara war sichtlich geschockt, den edlen Ritter hier in solch einem abgerissenen Zustand zu sehen. „Und wenn es Eure Frau ist, die Euch da begleitet, wo sind ihre Kleider?“ Mitleidig blickte sie nun auf die junge Frau.
„Das ist eine lange Geschichte, Mara. Ich erzähle sie dir später. Doch nun wäre ich dir dankbar, wenn du uns etwas heiße Suppe geben könntest, damit wir uns ein wenig erwärmen können.“
„Ja, Herr“, sagte sie und beeilte sich, zwei der irdenen Schüsseln von dem Bord an der Wand zu nehmen. Sie füllte sie mit der heißen Suppe, welche im Kessel über dem Feuer brodelte. Auch stellte sie ihnen einen Krug mit warmen, gewürzten Wein daneben. Falk und Krystina nickten ihr dankbar zu und machten sich ohne viele Worte über das Mahl her. Noch nie war Krystina so froh darüber gewesen, etwas zu essen zu bekommen, nicht einmal in der Zeit, als sie als kleines Mädchen unter der Obhut der Köchin von Louny gestanden hatte. Eine Weile aßen sie schweigend, bis Falk den Kopf hob und sich nach der Köchin umschaute, welche wieder an den Herd getreten war.
„Mara, komm her“, forderte er die ältere Frau auf. „Ich muss mit dir reden.“ Die Köchin legte den Löffel, mit dem sie die Suppe umrührte, an den Rand des Herdes und folgte seiner Aufforderung. Direkt vor Falk blieb sie stehen und schaute ihn voller Wärme an.
„Das Schicksal scheint Euch übel mitgespielt zu haben, Falk“, sagte sie. Krystina wunderte sich, dass die Frau nicht mehr Respekt vor einem Herrn wie dem Schellenberger zeigte, aber Falk schien sich an der Vertrautheit Maras nicht zu stören.
„Ja, das kann man so sagen“, antwortete er, ohne näher auf die Umstände eingehen zu wollen, die ihn in solch einem Zustand nach Vildstejn geführt hatten.
„Wie du siehst, reise ich mit wenig Gepäck und zu Fuß“, fuhr er mit leicht ironischer Stimme fort. Maras Augenbrauen schnellten erstaunt nach oben. „Außerdem habe ich mein Weib bei mir“, ergänzte er und schaute Krystina von der Seite an, als wolle er ihre Reaktion testen. Doch die junge Frau blickte nur stumm vor sich auf die Tischplatte. Plötzlich legte die alte Frau ihre Hand auf Krystinas Arm und drückte ihn leicht.
„Sicher seid Ihr überfallen worden“, mutmaßte sie voller Sorge. „Wie sonst konntet Ihr in so einen erbärmlichen Zustand geraten.“ Mitleidig musterte sie Krystina.
„Ja, gute Frau“, sagte diese leise und ignorierte Falks warnenden Blick. „Wir hatten in der Tat etwas Pech.“ Maras Miene wurde nachdenklich.
„Vielleicht hast du einen alten Umhang für mich, in den ich mich hüllen kann“, fuhr Krystina fort. „Mein Kleid ist zerrissen und nass geworden, als ich mich ungeschickt anstellte“, sagte sie und schaute herausfordernd in Falks Richtung. Doch dieser hob nur unmerklich die Brauen.
„Ein Umhang lässt sich sicher finden, Herrin“, antwortete Mara.
„Nun denn“, begann Falk, „nachdem wir das jetzt geklärt hätten, habe ich auch eine Bitte an dich, Mara.“ Der Ritter schaute die alte Frau scharf an. „Es darf keiner wissen, dass ich mit meiner Gemahlin hier in der Burg bin. Ich nehme an, dass Ludek nicht zu Hause ist. Obwohl ich es hoffte.“ Mara brummelte zustimmend, doch blickte sie den Ritter fragend an.
„Ja, dachte ich es mir“, sagte er und Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Ich sah ihn vor zwei Wochen in Louny als er auf dem Weg nach Prag war.“ Falk machte eine kurze Pause, als müsste er über seine nächsten Worte nachdenken. „Sage ihm, dass ich hier war“. „Mit meiner jungen Frau“, ergänzte er. „Die Umstände erfordern, dass mich hier niemand erkennt, auch im Interesse deines Herrn. Frage nicht, warum, liebe Mara, es würde dich nur unnötig aufregen“, setzte er fast liebevoll hinzu. „Aber wir wären dir sehr dankbar, wenn du uns in einer Kammer ein Lager bereiten würdest. Es muss nicht komfortabel sein. Wir sind bei Gott im Moment nicht verwöhnt. Nur sollten es nicht allzu viele Leute mitbekommen, dass wir hier sind.“ Falk macht eine Pause und sah die Köchin eindringlich an. „Machst du das für uns, Mara?“, fragte er fast flehend. „Dein Herr wird es dir danken“, setzte er hinzu.
Doch brauchte es keiner Überredung. Mara war eine gute Seele und die Not des Ritters und vor allem seiner jungen, zarten Frau, rührte ihr Herz.
„Hinter der Küche ist ein kleiner Raum, in dem das Mehl und die Gerste gelagert werden. Dort ist es durch den Schornstein des Herdes leidlich warm. Ich werde Euch Stroh aufschütten und ein paar Decken geben. Ich glaube, Eure Gemahlin wäre auch über einen Zuber heißen Wassers nicht böse“, meinte sie mit einem warmen Lächeln in Krystinas Richtung. Die junge Frau nickte dankbar.
„Dann zeig uns den Raum. Mein Weib ist sehr erschöpft. Außerdem ist es besser, wenn uns hier keiner sieht. Am besten, du bittest Zenka, dir behilflich zu sein. Ein, zwei Eimer Wasser werden genügen müssen. Beim Morgengrauen verschwinden wir wieder.“
Die Kammer hinter der Küche war klein und niedrig. Aber Krystina war es gleich, wo sie im Moment ihr müdes Haupt niederlegen konnte. Die Köchin hatte Falk eine kleine Rüböllampe gegeben, die er auf einem wackligen Regal in der Ecke abstellte. Nach einigen Minuten kehrte Mara mit einem jungen Mädchen zurück, beide mit einem Ballen Stroh auf den Armen. Sie schütteten es an der Wand zur Küche auf und verschwanden nochmals nach draußen. Wieder dauerte es nur wenige Augenblicke und sie erschienen mit einer weiteren Fuhre Strohs. Auch hatte Mara einen Surkot unter den Arm geklemmt, den sie Krystina reichte. „Ich hoffe, er genügt Euren Ansprüchen, Herrin.“
„Ich danke dir. Es ist mehr, als ich erhoffte. Irgendwann bekommst du den Surkot zurück.“
Mara wies Zenka an, noch einige Decken zu holen und warmes Wasser zu bringen. Sie zog einen kleinen Zuber aus einer Ecke hervor und legte ein leinenes Tuch daneben auf den Boden. Bald kam das junge Mädchen mit zwei weiten Umhängen, die sie sich über die Schulter geworfen hatte, und zwei Eimern heißen Wassers zurück. Sie füllte den Zuber und weißer Dampf schlängelte sich an die Decke, wo er im Dunkel verschwand. Wortlos verließ das junge Mädchen danach die Kammer.