Ehre und Macht. Julia Fromme

Ehre und Macht - Julia Fromme


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hatte er so spät von der geplanten Hinrichtung seines Neffen erfahren? Mit Sicherheit hätte er König Ottokar von dessen Unschuld überzeugen können. Jetzt war Falk ein Gesetzloser und nur das Mitleid eines Mädchens hatte ihn vor dem Tod bewahrt. Bis jetzt. Denn Louny würde nicht eher ruhen, bis er Falk in seinen Fängen hatte. Und was er dann mit seinem Neffen machen würde, darüber wollte Friedrich gar nicht erst nachdenken. Als er am gestrigen Abend nach Hause gekommen war, empfing ihn seine Frau mit besorgter Miene. Friedrich schüttelte nur den Kopf und ging wortlos an Marisa vorbei. In der Halle setzte er sich vor ein Kohlebecken. Seine Gemahlin war ihm in das Haus gefolgt. Sie nahm einen Krug mit Wein von einer Anrichte und schenkte ihm einen Becher voll. Schweigend nahm er diesen entgegen. Er brachte es nicht fertig, seiner Frau von den Ereignissen des letzten Tages zu erzählen, denn er wäre nicht mehr Herr seiner Stimme gewesen. Marisa setzte sich ihm gegenüber und legte ihre Hand auf seine. Ihre schlanke Gestalt war in einen kostbaren dunkelgrünen Surkot gehüllt. Darunter trug sie eine blaue Cotte aus feinstem Leinen. Ein reichverzierter Gürtel umschloss ihre Taille. Trotz ihrer fünfundvierzig Jahre war sie immer noch eine schöne Frau. Nur wenige graue Strähnen durchzogen ihr dunkelbraunes Harr, dass von einem silberfarbenen Netz zusammengehalten wurde. So saßen sie eine ganze Weile. Das Feuer war schon fast niedergebrannt und es wurde empfindlich kühl in der Halle. Die Bediensteten hatten sich längst auf ihre Lager zurückgezogen und es herrschte Stille, nur gestört von dem gelegentlichen Rascheln der Mäuse im Stroh, das den Boden bedeckte.

      „Eigentlich wollte ich mit dir über etwas reden. Eines meiner Mädchen ist verschwunden. Doch das hat jetzt Zeit, ist nicht so wichtig.“ Sie sah ihn abwartend an. Friedrich reagierte nicht.

      „Willst du mir davon erzählen?“, fragte Marisa mit leiser Stimme und in ihren braunen Augen schimmerten Tränen. „Nach deiner Reaktion muss ich das Schlimmste befürchten. Ist Falk tot?“

      Friedrich zuckte bei ihren Worten zusammen und seine Frau sah ihre Worte bestätigt. Sie erhob erstaunt die Brauen als er den Kopf schüttelte.

      „Nein?“ Sie sah ihn fragend an. „Heißt das, Falk lebt?“

      Friedrich holte tief Luft. Dann schluckte er ein paar Mal. „Wenn du es so nennen willst“, sagte er nur.

      „Friedrich, was soll das heißen?“ Marisa wurde langsam ärgerlich. Auch sie hatte Falk ins Herz geschlossen und sah es als ihr Recht an, von seinem Schicksal zu erfahren. Seine Worte jagten ihr Angst ein. „Ist er verletzt?“

      Wieder schüttelte er stumm den Kopf.

      „Was dann?“ Sie blickte ihn abwartend an. „Was gibt es so Schreckliches, dass du es nicht aussprechen kannst. Falk lebt und er ist nicht verletzt. Also...“ Aufgebracht erhob sie sich und schob den Stuhl dabei mit solchem Schwung nach hinten, dass er mit einem Poltern umfiel. Friedrich zuckte erschrocken zusammen, ganz so, als würde ihm erst jetzt zu Bewusstsein kommen, dass ihn seine Frau nach Falk gefragt hatte.

      Marisa hob den schweren Stuhl umständlich auf, doch setzte sie sich nicht wieder.

      „Falk konnte entkommen“, begann er tonlos. „Er hat es der Courage einer jungen Frau zu verdanken, dass ihm die Hinrichtung erspart blieb. Sie bat den Henker um sein Leben.“

      Marisa schnappte nach Luft. Ihr war der alte Brauch wohlbekannt, nach dem der Henker oder dessen Tochter um das Leben eines Verurteilten bitten konnten. Aber sie wusste auch, dass dies bedeutete, dass der auf diese Weise Begnadigte aus der Gemeinschaft der ehrlichen Menschen ausgeschlossen war. Denn ein Henker und dessen Familie waren nicht ehrbar und mussten vor den Toren einer Stadt oder Ansiedlung hausen.

      „Die Henkerstochter?“ fragte sie dennoch mit angehaltenem Atem.

      „So ist es.“ Er machte eine Pause, als würde er nachdenken. „Obwohl, irgendwie habe ich das Gefühl, dass das Mädchen jemandem ähnlich sah, den ich kenne. Aber es will mir einfach nicht einfallen.“ Er runzelte angestrengt die Stirn.

      „Und wo ist Falk jetzt?“, fragte sie.

      „Ich weiß es nicht, Marisa. Wahrscheinlich sind sie aus der Stadt geflohen. Miro von Louny hat mich mit Sprüchen abgespeist. Wie einen Bettler hat er mich behandelt und von seinen Schergen davonjagen lassen.“ Jetzt kam Leben in Friedrich. „Doch ich schwöre dir, dass wird er noch bereuen. Ich bin kein Untertan des Gaugrafen, sondern ein vom Kaiser belehnter Ministeriale. Ich werde Himmel und, wenn es sein muss, die Hölle in Bewegung setzen, dass dieses Unrecht wiedergutgemacht wird.“ Ihr Gemahl redete sich regelrecht in Rage und Marisa legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm. „Erzähl mir, was in Louny passiert ist.“

      Am nächsten Morgen stand Friedrich auf dem Turm. Wie er es auch drehte und wendete, es wollte ihm keine passende Lösung einfallen. Das einzige was ihm blieb, war, den König um Vergebung für Falk anzuflehen. Obwohl Falk ein Untertan der Meißner Markgrafen war, besaß er aus dem Erbe seiner Mutter mehrere Dörfer in Böhmen unmittelbar am Fuße des Gebirges, das die Mark von den ursprünglich slawischen Gebieten trennte. Schon von alters her waren die Landstriche dies- und jenseits des Gebirgskammes miteinander verbunden gewesen, und zahlreiche Pässe führten durch den Dunkelwald. Falks Ländereien diesseits der Grenze gehörten zum Hoheitsbereich der böhmischen Krone, so dass er auch dieser lehnspflichtig war.

      Friedrich fröstelte. Der kalte Wind fuhr ihm unter den Umhang, in den er sich gehüllt hatte. Es begann zu schneien. Doch war es nichts Ungewöhnliches, dass hier in dieser rauen Region der Winter früh kam. Friedrich löste den Blick vom fernen Waldrand und schaute in den Hof seiner Burg. Von hier oben konnte er das Torhaus und einen Teil der Zwingmauer erkennen. Die meisten Gebäude waren aus Holz. Nur seine Halle mit der darüber gebauten Kemenate und der fünfzehn Meter hohe, einzelnstehende Turm sowie die Wehrmauern waren aus Stein.

      Ein Junge war soeben durch das Tor hereingekommen, begleitet von dem alten Juri, der die Burgmannschaft befehligte. Friedrich hörte, wie das große Fallgitter am Tor mit einem lauten Rasseln wieder herabsank. Die beiden gingen auf die Halle zu. Am Eingang sprach Juri kurz mit einem der Wächter, die Friedrich hier immer postiert hatte. Chomotau besaß keinen Graben, und er wollte sichergehen, dass niemand unbemerkt über die Mauer kommen konnte und sich ins Haus einschlich. Der Mann wies in Richtung des Turmes und Juri schaute nach oben. Als er Friedrich erblickte, winkte er diesem zu und zeigte auf den Jungen.

      „Herr, ein Bote aus Louny!“ rief er, doch seine Worte wurden von den lauten Windgeräuschen oben auf den Zinnen fast verschluckt. Friedrich winkte kurz zurück. Wenige Augenblicke später stand er im Hof und schaute fragend auf den Burghauptmann und dessen Besucher. Der Junge mochte vierzehn oder fünfzehn Jahre alt sein. So genau konnte er das nicht sagen, da der Bursche relativ mager war. Unter einer unförmigen Mütze, die seinen Kopf bedeckte, schauten Strähnen zotteligen Haares hervor, das von einer etwas undefinierbaren Farbe war. Ein Kittel, der bis zu den Schenkeln reichte, bedeckte die mageren Schultern. Die Beine steckten in weiten unförmigen Hosen und an den Füßen trug er alte Stiefel, die er mit Schnur fest umwickelt hatte, damit sie nicht auseinanderfielen. Alles in allem gab der Junge ein bedauernswertes Bild ab, dennoch schien er fröhlichen Gemüts zu sein.

      „Herr, der Junge ist ein Bote aus Louny. Es gibt Kunde von Eurem Neffen.“ Der alte Burghauptmann blickte seinen Herrn voller Hoffnung an.

      Friedrichs Herz krampfte sich zusammen. Was, wenn der Knabe nur schlechte Nachrichten brachte? Doch lächelte der Bursche. Der Blick aus seinen hellblauen Augen war offen und ehrlich. Und die Sommersprossen auf seiner wohlgeformten Nase gaben ihm ein fast fröhliches Aussehen.

      Friedrich holte tief Luft. „Nun, was hast du zu sagen, Junge? Was weißt du von Falk von Schellenberg?“, fragte er etwas barscher als beabsichtigt, da die Gefühle seine Stimme zu überwältigen drohten.

      „Ich habe eine Nachricht von Eurem Neffen für Euch, Herr“, sagte Andris und verbeugte sich ehrerbietig. „Ich sah ihn zuletzt am Tage der geplanten Hinrichtung.“ Friedrich hob die Hand und wollte ihn ungehalten unterbrechen. Aber Andris fuhr davon unbeeindruckt fort. „Ich weiß, dass ihm die Flucht aus Louny gelungen ist.“ Er machte eine theatralische Pause, doch der missbilligende Gesichtsausdruck Friedrichs ließ ihn schnell wieder ernst werden. „Und vor allem, wie“, setzte er allerdings fast triumphierend


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