Spiel des Zufalls. Joseph Conrad

Spiel des Zufalls - Joseph Conrad


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nicht zu erwachsen, um sich etwas sagen zu lassen -- oder? Sie haben noch sehr viel zu lernen, wenn Sie es mir vielleicht auch nicht glauben!‹

      Ich hatte gute Lust, meine Ehre zu retten und ihm zu sagen, daß ein Kerl, der es überlebt hatte, mehr als anderthalb Stunden von Kapitän R... um- und umgedreht zu werden, sicherlich jeder Anforderung, die sein alter Kasten billigerweise stellen konnte, reichlich gewachsen sein würde. Er gab mir aber keine Gelegenheit, diese Dummheit anzubringen, denn bevor ich meinen Mund auftun konnte, hatte er sich schon mit einem neuen Gedanken vertraulich an Herrn Powell gewandt, der, immerzu sein Bein schlenkernd, mich keinen Augenblick aus den Augen ließ.

      ›Ich werde Ihren jungen Freund gerne nehmen, Herr Powell. Wenn Sie ihn als Zweiten Offizier unterschreiben lassen wollen, nehme ich die Verträge gleich mit.‹

      Plötzlich zuckte in mir der Gedanke auf, der nichtsahnende Schiffer der Ferndale könnte es als selbstverständlich angenommen haben, daß ich ein Verwandter des Heuerbases sei. Ich war über diese Entdeckung ganz erstaunt, obwohl ja das Mißverständnis unter den herrschenden Umständen leicht genug begreiflich war. Was ich vielmehr hätte bewundern sollen, war die feine Art, mit der es hervorgerufen und ausgenutzt worden war. Aber ich war damals zu verdutzt, um irgendwelche Feinheiten zu beachten. Meine ganze Besorgnis ging dahin, Aufklärung zu schaffen. Ich war dumm genug, mich außerordentlich darüber zu wundern, daß Powell den Fehler nicht zu merken schien. Ich sah wohl, daß es über sein Gesicht zuckte, aber anstatt den Irrtum zu berichtigen, drehte er sich mit seinem Sitz mir zu und sprach mich mit ›Charles‹ an. Denken Sie bloß! Ich bemerkte sogar, wie er knapp zuvor einen hastigen Seitenblick auf das Dokument warf, denn natürlich hatte er keine Ahnung von meinem Vornamen. ›Nun komm einmal hier vor meinen Tisch, Charles‹, sagte er mit lauter Stimme.

      Ich versichere Ihnen, mir schien es zunächst ausgeschlossen, daß er dabei mich meinen konnte. Ich blickte mich sogar nach dem besagten Charles um, aber es war niemand hinter mir, außer dem langhalsigen Gesellen, der noch immer in seine Schreiberei vertieft war, und den anderen drei Heuerbasen, die eben die Röcke wechselten und nach ihren Hüten griffen, um heimzugehen. Es war auch der fleißige Mann mit dem Storchenhals, der, ohne seine Feder niederzulegen, mit seiner linken Hand einen Klappdeckel neben sich aufhob und mich freundlich aufforderte:

      ›Bitte, kommen Sie hier durch!‹ Ich schritt durch wie im Traum und kam vor Herrn Powell zu stehen, von dem ich unterrichtet wurde, daß unsere Reise zunächst nach Port Elizabeth ginge. Dann schrieb ich meinen Namen unter den Heuervertrag, als Zweiter Offizier des Schiffes Ferndale. Die Reise dürfe eine Zeitdauer von zwei Jahren nicht überschreiten.

      ›Sie werden ganz gewiß rechtzeitig antreten, wie?‹ erkundigte sich der Kapitän. ›Es würde unsagbar viel Mühe und Kosten verursachen, wenn Sie es nicht täten! Sie haben noch gute sechs Stunden Zeit, um Ihren Kitt zusammenzurichten, und dann werden Sie sich immer noch an Bord einige Stunden aufs Ohr legen können, bevor die Mannschaft am Morgen antritt.‹

      Er hatte leicht reden, von Fertigwerden in sechs Stunden, für eine Reise, die eine Zeitdauer von zwei Jahren nicht überschreiten sollte. Er selbst brauchte das Kunststück ja nicht zu leisten. Wo noch dazu der Schiffskoffer in einem Außenschuppen stand, dessen Schlüssel schon seit einer Woche verlegt war, wie ich mich jetzt erinnerte. Aber auch das verursachte mir keine Sorgen. Der Gedanke, daß ich tatsächlich am nächsten Morgen um sechs Uhr in See gehen sollte, war mir noch immer nicht voll zum Bewußtsein gekommen. Es war alles zu schnell gegangen.

      Herr Powell, der eben den Heuervertrag in einen langen Umschlag schob, sagte mit einem kühlen Auflachen, ohne uns beide anzusehen: ›Sieh zu, daß du unserem Namen keine Unehre machst, Charles.‹

      Und der Schiffer sagt freundlich dazu: ›Es wird schon gehen, denke ich. Ich werde ihn schon im Auge behalten!‹ Dann packt er die Verträge zusammen, murmelt, er wolle noch versuchen, den armen Teufel im Krankenhaus zu besuchen, und geht auf und davon, mit seinem langen, federnden Schritt, nicht ohne mir vorher nochmals einzuschärfen: ›Lassen Sie sich nicht auch wie der arme Teufel von einer Pferdedroschke umfahren, als hätten Sie weder Augen noch Ohren im Kopfe!‹

      ›Herr Powell,‹ sagte ich schüchtern (es war jetzt außer uns nur noch der langhalsige Mann im Bureau, und auch der stand schon bei der Tür, auf einem Bein, um seine Hosen unten aufzuschlagen, bevor er ging), ›Herr Powell,‹ sagte ich, ›ich bin überzeugt, der Kapitän der Ferndale hat mich für einen Ihrer Verwandten gehalten!‹ Ich war ziemlich besorgt deswegen, wissen Sie, Herr Powell aber scheinbar gar nicht.

      »Meinen Sie?‹ sagte er. ›Wie komisch! Denn mir scheint, ich bin etlichen von euch Jungen wirklich in letzter Zeit ein guter Onkel gewesen. Finden Sie nicht auch? Immerhin: wenn es Ihnen nicht paßt, dürfen Sie ihm die Geschichte erklären, sobald Sie auf See sind.‹ -- Mir war nicht ganz wohl dabei. Herr Powell hatte mir einen ganz außerordentlichen Dienst geleistet: denn es ist Tatsache, daß für uns von der Handelsmarine die erste Ausreise als Offizier wahrhaftig der Beginn des Lebens ist. Dazu hatte er mir nun verholfen. Ich sagte ihm voll überströmender Dankbarkeit, daß er an dem Tag mehr für mich getan habe, als meine ganze Sippschaft zusammengenommen je zuvor.

      ›Aber nein, nein!‹ sagte er. ›Ich denke, jene Ladung von Sprengstoffen, die da unten am Flusse liegt, hat am meisten für Sie getan. Vierzig Tonnen Dynamit waren heute Ihr bester Freund, junger Mann!‹

      Das war wohl auch richtig. Immerhin sah ich deutlich, daß ich mir selbst nichts zu danken hatte. Als ich aber versuchte, ihm meinen Dank auszusprechen, machte er meinem Stammeln bald ein Ende.

      ›Beeilen Sie sich nicht so, mir zu danken‹, sagte er. ›Die Reise ist noch nicht zu Ende.‹«

      Unser neuer Bekannter schwieg und fügte dann nachdenklich hinzu: »Ein eigener Mensch! Als ob das was ausgemacht hätte! Eigentümlicher Mensch!«

      »Es ist sicher unklug, irgendwelche Verantwortung für Handlungen auf uns zu nehmen, deren Folgen wir nicht voraussehen können«, bemerkte Marlow beistimmend.

      »Die Folge seiner Handlung war die, daß ich ein Schiff bekam«, sagte der andere. »Das konnte keinesfalls viel schaden«, fügte er lachend hinzu und schien damit unbewußt eine gewisse Abneigung gegen Schulweisheiten auszudrücken.

      Aber Marlow ließ sich nicht einschüchtern. Er war geduldig und nachdenklich. Er hatte viele Jahre auf See zugebracht, und ich glaube wirklich, ihm lag das Leben zur See so sehr, weil es die Nachdenklichkeit fördert. Ich spreche von dem Leben auf Segelschiffen, das nun fast ganz der Vergessenheit angehört. Sollte jemand diese Behauptung wundernehmen, so möchte ich nur sagen, daß dieses Leben jedem, der sich ihm widmete, die unschätzbaren Vorteile der Einsamkeit und des Schweigens darbot. Marlow hatte die Gewohnheit, allgemeine Gedankengänge auf eine eigene Weise zu verfolgen, halb im Spaß, halb im Ernst.

      »Ich wollte ja auch gar nicht sagen,« meinte er, »daß Ihr Namensvetter, der Heuerbas, Ihnen irgendwie geschadet hätte. Das war wohl auch nicht seine Absicht, und selbst wenn, dann hätte ihm die Macht dazu gefehlt. Schließlich war er doch nur ein Mensch, und die menschliche Unfähigkeit, irgend etwas ausgesprochen Gutes oder Schlechtes zu erreichen, ist durch unser irdisches Dasein bedingt. Mittelmäßigkeit ist unser Kennzeichen. Und vielleicht ist es eben gut so, da wir im allgemeinen die Wirkung unserer Handlungen nicht beurteilen können.«

      »Ich weiß nichts von der Wirkung«, entgegnete der andere kampflustig. »Welche Wirkung haben Sie eigentlich erwartet? Ich sage Ihnen, er hat etwas außerordentlich Gütiges getan!«

      »Er tat, was er konnte,« entgegnete Marlow sanft, »und wie er selbst zugibt, war das nicht sehr viel. Ich sehe sogar eine gewisse Schadenfreude in der Art, wie er sich Ihnen gefällig erwies. Er brachte es fertig, Sie in Verlegenheit zu setzen. Sie wollten zur See gehen, aber er benutzte die Gelegenheit, Ihren Wunsch zu erfüllen, zu einer Rache. Ich möchte fast glauben, daß Ihre Frechheit ihn geärgert hatte. Und dies war eine ausgezeichnete Gelegenheit, Sie ganz klein zu kriegen. Denn wenn Sie zusagten, war er Sie los, noch dazu mit einem Schein von Menschenfreundlichkeit; und wenn Sie irgendwelche Einwendungen machten (nachdem Sie ihn doch um Hilfe gebeten hatten), stand es ihm frei, Sie als lästigen Eindringling fallen


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