re:publica Reader 2014 – Tag 3. re:publica GmbH

re:publica Reader 2014 – Tag 3 - re:publica GmbH


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Wir waren schon immer politisch. Aber früher fanden Veranstaltungen zum Thema Überwachung in den kleineren Sälen statt. Viele hielten das damals für Verschwörungstheorien. In diesem Jahr ist das Politische in den Vordergrund gerückt, auf die großen Bühnen.

      Von Zorn ist trotzdem nichts zu spüren. Ich könnte mich jeden Tag tierisch darüber aufregen, aber dann hätte ich ein ziemlich unentspanntes Leben. Ich dosiere meine Wut. Ich versuche, das nicht zu sehr an mich herankommen zu lassen und trotzdem etwas zu bewegen.

      Kann man mit David Hasselhoff etwas bewegen? Das war nicht unsere Idee, aber im Endeffekt hat es der re:publica nicht geschadet. Es hat uns eine mediale Aufmerksamkeit gebracht, die neu für uns war. Wir haben Anfragen von Blättern bekommen, die wir bisher nur vom Friseur kannten. Persönlich fand ich es enttäuschend, dass manche seriösen Medien nur hier waren, um Hasselhoff zu filmen.

      Warum war Internetminister Dobrindt nicht hier? Ich habe noch nicht mitbekommen, dass Dobrindt groß für's Internet zuständig ist. Wir haben Innenminister de Maizière gebeten, mit uns über Datenschutz zu diskutieren. Wir haben auch Bundespräsident Gauck gefragt, ob er über Freiheit im Internet sprechen will, weil er so gerne über Freiheit redet. Aber von beiden, Gauck und de Maizière, haben wir nichts gehört.

      Und dann kam Sascha Lobo. Der gehört ja quasi zum Inventar.

      Lobo hat versucht, die Leute wachzurütteln. Aber abseits der Veranstaltungen redet trotzdem niemand über Politik. Die Menschen kommen hierher, um drei Tage Spaß zu haben. Das Programm beleuchtet die unterschiedlichsten Facetten einer sich verändernden digitalen Gesellschaft. Politik macht davon nur 20 Prozent aus.

      Wie erkläre ich meinem 90-jährigen Opa, was die re:publica ist? Hier kommen Leute zusammen, die sich den Rest des Jahre nur online treffen, um zu reflektieren, was im Netz passiert. Von einer positiv-kritischen Position aus. Aber vor allen Dingen, um Spaß zu haben.

      Wenn ich das sage, schaut er mich an wie ein Auto. Dein Opa muss ja nicht kommen. Er geht dafür wahrscheinlich zum Frühschoppen oder zum Kirchenchor, um dort seine Peer-Group zu treffen.

      Peer-Group, digitale Gesellschaft, Datenverschlüsselung – wie lange muss man das noch erklären? Braucht es irgendwann keine re:publica mehr? Alles ist endlich. Aber es wird immer Orte geben, wo die fortschreitende Digitalisierung thematisiert wird. Ob das auch noch in zehn Jahren die re:publica ist, weiß ich nicht.

       Die Fragen stellten Maximilian Heim und Timo Steppat

      INTO THE WILD

      Abgründiges und Futter für den Mainstream

      Im Vortrag "Wild Wild Web" ging es Ole Reißmann und Hakan Tanriverdi um die Frage, wann Netzphänomene massentauglich sind – und wie man sich genau davor schützen kann.

      Speaker: Ole Reißmann, Hakan Tanriverdi

       Text: Jana Felgenhauer

      Farbrausch, sprechende Donuts und singende Kinder: Traumatische Erinnerungen an Musikfilme mit Rolf Zuckowski werden wach. Der Ausflug ins "Wild Wild Web" beginnt am Mittwochabend mit einer Dubstep-Version des Videos "Jesus died for your Donuts."

      Im anschließenden Talk sprechen Spiegel-Online-Autor Ole Reißmann und SZ-Online-Redakteur Hakan Tanriverdi darüber, welche Netz-Phänomene für den Mainstream taugen – und welche nicht. Putzige Katzenvideos und kulleräugige Tierbabys sollen hier keine Rolle spielen.

      Es geht um Online-Redaktionen, die zur Unterhaltung der Leser auf bestimmte Ereignisse im Netz aufspringen und Ideen von anderen übernehmen, nach dem Motto: "Das können wir auch!" Plötzlich hatte jede Redaktion einen Tumblr über Politiker, verbreitete witzige Tweets und veröffentlichte Bildgalerien zu gehypten Themen. Muss das sein? Reißmann und Tanriverdi stellen sich die Frage, wie man sich vor der Massenverwertung schützen kann und dadurch einem Hype entgeht.

      Doch warum eigentlich? Ist der Pulsschlag des Internets nicht dadurch bestimmt, dass Inhalte von möglichst vielen Menschen gehört, gelesen und geteilt werden? Nicht zwangsläufig. Man denke zurück an die eigene Pubertät, als der Mainstream "uncool" war und jeder seine persönlichen popkulturellen Fundstücke – Lieblingsfilme oder Bands – ganz für sich allein haben wollte. Als man sich eine Welt schuf, in der Nischenwissen den eigenen Selbstwert erhöhte. Auch ehemalige Subkulturen wie Punk oder Grunge verbreiteten sich irgendwann wie ein Virus in der Bevölkerung. Sogar diejenigen, die mit der Botschaft wenig anfangen konnten, hörten die gleiche Musik und trugen die gleichen Klamotten. Spätestens dann war für die Vorreiter der jeweiligen Subkultur die Bewegung uninteressant.

      Ähnliches gilt laut Ole Reißmann und Hakan Tanriverdi auch für Internet-Memes: Kaum bildet sich solch ein zartes "Kulturpflänzchen" im Internet, wird es von Mainstream-Medien übernommen und bis zur Belanglosigkeit zertrampelt. Geschützt werden können sie nur durch eine möglichst geringe Zugänglichkeit, durch eine Abseitigkeit, die nicht den Geschmack von Jedermann trifft. Videos mit verpixelten Glitch-Effekt zum Beispiel, der in den Augen schmerzt und trashige Inhalte, die so kompliziert sind, dass sie nur von Nerds mit blutunterlaufenden Augen verstanden werden. Von solchen, die Nächte hindurch nach unbekannten "Deep-Tube"-Videos suchen, die weniger als 3000 Klicks haben. Nicht zwangsläufig massenkompatibel sind zudem politisch fragwürdige Inhalte, bei denen über Hitler gelacht werden soll. Um das zu untermauern zeigen Reißmann und Tanriverdi eine Szene aus dem Film "Der Untergang" – als Gangnamstyle-Version. Der Saal johlt, wer nicht lachen kann, taucht ab.

      Wer seine Inhalte gänzlich vom Mainstream fernhalten will, müsste sie in zwielichtigen Foren wie "Krautchan" teilen, wo Trolls bitterböse und politisch inkorrekte Kommentare verbreiten. Doch wer will sich dort schon tummeln? Die Präsentation über massentaugliche sowie Abgründige Netzphänomene, lässt so manchen Besucher verstört zurück. Die Aneinanderreihung von Videos, die mit einer üblen Trash-Version von Miley Cyrus’ "Wrecking Ball" endet, hätte etwas mehr Interpretation vertragen.

      INTO THE WILD

      Lost in Emojis

      Lost in Translation: Nicht jede skurrile Spielidee aus Japan funktioniert auch in Europa. Kate Miltners Emoji-Karaoke am Mittwochabend hat das leider bewiesen.

      Speaker: Kate Miltner

       Text: Julian Dörr

      Die Boy-meets-Girl-Geschichte ist die Halsschlagader des Pop. Wie keine andere Kunst hat die Pop-Musik die tragische Liebesgeschichte zu einer massentauglichen Erzählform erhoben. Und damit ein Schema etabliert, an dessen angeblicher Vollkommenheit Generationen einsamer Teenager seit Jahrzehnten verzweifeln.

      Die Band Journey saugte Anfang der Achtziger Jahre die stumpfe Verzweiflung der amerikanischen Vorstadt in sich auf und schenkte der Welt einen der schönsten Boy-meets-Girl-Songs überhaupt. "Don’t stop believing". Der Song ist bis zur Schmerzgrenze mit Klischees überladen: das Kleinstadt-Mädchen, der Großstadt-Junge, der Nachtzug, die offene Straße, die Erlösung. Aus diesem Grund eignet sich der Song besonders gut für Kate Miltners Emoji-Karaoke auf der Mainstage der re:publica.

      Die Amerikanerin hat drei Freiwillige auf die Bühne gebeten. Die müssen innerhalb einer Minute einen vorgegebenen Songtext mit Hilfe der Emoji-Zeichen ihres iPhones "nachsingen". Was zunächst nach kurzweiligem Spaß klingt, verkommt vor spärlichem Publikum leider zu einer unverständlichen Veranstaltung. Auf der Leinwand hinter Miltner sammeln sich Smileys, Totenköpfe, Monde, Raketen und Luftballons. Je mehr Bildchen dazukommen, desto größer wird die Verwirrung im Zeichen-Dschungel der nonverbalen Kommunikation.

      Sowohl Emojis als auch Karaoke stammen ursprünglich aus Japan, Heimat der skurrilsten Gameshows der Welt. Da pressen sich menschliche Tetrisblöcke in vorgegebene Formen, Leute rodeln auf Massagestühlen schneebedeckte Hänge hinab oder spielen Curling mit eingeölten Bikinimädchen. So befremdlich diese Ideen auf den westlichen Zuschauer im ersten Augenblick wirken, ihr Unterhaltungspotential entfaltet sich nichtsdestotrotz.

      Doch nicht jedes japanische Unterhaltungsspiel funktioniert auch außerhalb


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