Edgar Allan Poe - Gesammelte Werke. Edgar Allan Poe
eisernen Geldkiste zu ordnen, die sie zu diesem Zweck mitten in das Zimmer gestellt hatten. Sie war offen, und ihr Inhalt lag auf dem Fußboden daneben. Die Opfer hatten wahrscheinlich so gesessen, daß sie dem Fenster den Rücken zukehrten; und da eine kleine Weile zwischen dem Eindringen des Tieres und dem entsetzten Angstgeschrei der Damen verstrich, ist es möglich, daß sie die Bestie nicht sogleich bemerkt hatten. Das Zurückschlagen des Fensterladens haben sie vielleicht dem Wind zugeschrieben. Als der Matrose in das Zimmer blickte, hatte die riesige Bestie Madame L'Espanaye an dem lose herabhängenden Haar gepackt und schwenkte das Rasiermesser vor ihrem Gesicht, die Bewegungen eines Barbiers nachahmend. Die Tochter lag lang ausgestreckt und regungslos auf dem Fußboden; sie war ohnmächtig geworden. Das Geschrei und die Befreiungsversuche der alten Dame, der er das Haar aus dem Kopf riß, versetzten den Orang-Utan, der vorher vielleicht ganz friedliche Absichten gehabt hatte, in wildeste Wut, Mit einem kräftigen Schwung seines muskulösen Armes trennte er den Kopf der Dame beinahe ganz vom Rumpf. Der Anblick des Blutes steigerte seine Wut bis zur Tollheit. Zähnefletschend und mit funkelnden Augen stürzte er sich auf das junge Mädchen, grub seine entsetzlichen Krallen in ihren Hals und würgte die Unglückliche, bis sie tot war. Zufällig wohl fielen in diesem Augenblick seine wild rollenden Augen auf das Kopfende des Bettes, hinter dem das schreckensbleiche Gesicht seines Herrn sichtbar wurde. Die Wut des Tieres, das schon allzuoft die Bekanntschaft mit der Peitsche gemacht hatte, verwandelte sich sofort in feige Angst. Wohl wissend, daß es Strafe verdiene, schien es die Spuren seiner Bluttat rasch verwischen zu wollen; es lief in nervöser Hast im Zimmer umher, riß die Möbel um und zerschlug sie und zerrte die Kissen und Decken aus dem Bett. Endlich ergriff es die Leiche der Tochter und stieß und zwängte sie gewaltsam in den Schornstein hinauf, wo sie dann später gefunden wurde. Dann stürzte es sich auf die der alten Dame und schleuderte sie kopfüber zum Fenster hinaus.
Als der Affe sich mit seiner verstümmelten Last dem Fenster näherte, fuhr der Matrose erschrocken zurück; voll Angst ließ er sich am Blitzableiter hinabgleiten und beeilte sich, so schnell als möglich nach Hause zu kommen, weil er die Folgen der Metzelei fürchtete. Um das Schicksal des Orang-Utans kümmerte er sich vorläufig nicht. Die Worte, welche von den die Treppe hinauflaufenden Leuten vernommen wurden, waren dem Matrosen in seinem Entsetzen entfahren. Das schrille, teuflische Gekreisch der Bestie hatte man irrtümlich für eine eigentümlich scharfe, heiser gellende menschliche Stimme gehalten...
Mir bleibt kaum noch etwas hinzuzufügen. Der Orang-Utan muß, gerade ehe die Tür aufgebrochen wurde, durch das Fenster entwischt und an dem Blitzableiter herabgeglitten sein. Er ist schließlich doch, und zwar von seinem rechtmäßigen Besitzer, wieder eingefangen worden, der ihn zu einem hohen Preis an den »Jardin des Plantes« verkauft hat. Lebon wurde sofort aus der Untersuchungshaft entlassen, nachdem wir im Büro des Polizeipräfekten den von einem Kommentar Dupins begleiteten genauen schriftlichen Bericht über diese Affäre niedergelegt hatten. Obwohl der Präfekt meinen Freund sehr hochschätzte, konnte er doch eine gewisse Gereiztheit über die Wendung der Dinge nicht verbergen, und er verriet dies durch ein paar spöttische Bemerkungen über Leute, die ihre Nase in Dinge steckten, die sie im Grunde nichts angingen.
»Laß ihn reden«, sagte Dupin, der ihn keiner Antwort gewürdigt hatte; »laß ihn reden! Er will nur sein Gewissen dadurch beruhigen. Mir genügt es, ihn auf seinem eigenen Gebiet geschlagen zu haben. Übrigens ist es nicht zu verwundern, daß er die Lösung dieses Geheimnisses nicht zu finden vermochte. Unser Freund, der Präfekt, ist eben zu schlau, um tief sein zu können. Seine Weisheit hat keinen soliden Boden. Sie gleicht den Abbildungen der Göttin Laverna, d. h. sie besteht nur aus Kopf und hat keinen Körper – oder höchstens Kopf und Schultern – wie ein Stockfisch! Aber er ist darum doch ein ganz famoser Kerl. Ich habe ihn besonders gern und schätze ihn vor allem wegen einer Gabe, der er den Ruf, ein Genie an Scharfsinn zu sein, hauptsächlich verdankt, nämlich wegen seiner Vorliebe ›de nier ce qui est et d'expliquer ce qui n'est pas‹ – wie es in Rousseaus ›Nouvelle Heloise‹ heißt.«
Der Duc de l'Omelette
Keats starb an einer Kritik. Wer war es noch, der an L'Andromaque[8] starb? Niedere Seelen. - De l'Omelette starb an einem Ortolan. L'histoire en est brève. Steh mir bei, Geist des Apicius!
Ein goldener Käfig trug einen kleinen geflügelten Wanderer, ein gefesseltes, rührendes, indolentes Vögelchen, von seiner Heimat im fernen Peru nach der Chaussee d'Antin. Sechs Pairs des Kaiserreiches begleiteten den glücklichen Vogel von seiner königlichen Eigentümerin, La Bellissima, zu dem Duc de l'Omelette. An diesem Abend wollte der Duc allein speisen. In der Einsamkeit seines Arbeitszimmers lehnte er lässig auf jener Ottomane, für die er seine Loyalität geopfert hatte, indem er seinen König überbot - auf der berühmten Ottomane von Cadet.
Er gräbt sein Gesicht in die Kissen. Die Uhr schlägt. Unfähig, Ihre Gefühle zu unterdrücken, nehmen Seine Gnaden eine Olive. In diesem Augenblick öffnet sich die Tür leise zum Klange sanfter Musik, und sieh! der lieblichste Vogel steht vor dem geliebtesten der Männer. Doch eine unsägliche Furcht legt sich plötzlich auf die Züge des Duc. - »Horreur! - chien! - Baptiste! - l'oiseau! ah, bon Dieu! cet oiseau modeste que tu as deshabillé de ses plumes, et que tu as servi sans papier!« Unnötig, mehr zu sagen: der Duc starb an Ekel.
»Ha! ha! ha!« sagten Seine Gnaden am dritten Tage nach Ihrem Ableben.
»He! he! he!« echote der Teufel leise und richtete sich empor.
»Aber das ist doch sicherlich nicht ernst gemeint«, gab De l'Omelette zurück. »Ich habe gesündigt - c'est vrai - aber, mein Lieber, bedenke! - Du hast doch nicht wirklich die Absicht, solch - solch - wie soll ich sagen - solch barbarische Drohungen auszuführen.«
»Was nicht?« sagte Seine Majestät. »Fix, Herr, ziehen Sie sich aus.«
»Was, ausziehen? Meiner Treu, eine niedliche Zumutung. Nein, Teuerster, ich werde mich nicht entkleiden. Wer sind Sie denn, daß ich, der Duc de l'Omelette, Prince de Foie-gras, eben mündig geworden, Autor der Mazurkiade, Mitglied der Akademie, mich auf ihren Befehl der entzückendsten Beinkleider, die jemals Bourdon verfertigte, des köstlichsten Hausgewandes, das jemals Rombert hervorzauberte, entledigen sollte, ganz zu schweigen von der Notwendigkeit, meine Haare aus den Papierwickeln nehmen, und von der Unbequemlichkeit, meine Handschuhe ausziehen zu müssen?«
»Wer ich bin? - ach so! Ich bin Beelzebub, Prinz der Unterwelt. Eben holte ich dich aus einem mit Elfenbein eingelegten Rosenholzsarge. Du warst sonderbar parfümiert und wie eine Warensendung adressiert. Belial, mein Kirchhofsverwalter, hat dich hierher geschickt. Die Beinkleider, deren du dich rühmst und die von Bourdon gemacht sein sollen, sind ein Paar vorzügliche Leinenunterhosen, und dein Morgengewand ist ein Leichentuch von nicht allzu knappen Dimensionen.«
»Herr!« rief der Duc, »ich lasse mich nicht ungestraft beleidigen. Herr! ich werde die erste beste Gelegenheit ergreifen, um mich für diese Kränkung meiner Ehre zu rächen. Herr! Sie werden von mir hören. Für jetzt - au revoir!« und der Duc war im Begriff, mit einer Verbeugung den Satan zu verlassen, als er von einem diensttuenden Kammerherrn zurückgebracht wurde. Hierauf rieben sich Seine Gnaden die Augen, gähnten, zuckten die Achseln und überlegten. Als der Duc seine Haltung wieder gewonnen hatte, prüfte er seine Umgebung.
Sie war wundervoll. Sogar De l'Omelette erklärte sie für bien comme il faut. Dies lag jedoch nicht an der Länge und Breite des Raumes, sondern an der Höhe. Ah, die war ganz überwältigend. Keine Spur von Decke, - nur eine dichte durcheinanderwogende Masse von feuerfarbigen Wolken. Im Gehirn Seiner Gnaden wirbelte es, wenn Sie hinaufsahen. Von oben herab hing eine Kette aus unbekanntem blutrotem Metall, deren oberes Ende sich parmi les nues verlor wie die Stadt Boston. Am unteren Ende schwang ein großes Gefäß hin und her. Der Duc erkannte es als einen Rubin; aus ihm strömte aber ein so intensives, so beständiges, so furchtbares Licht, wie nie ein solches ein Perser angebetet oder ein Geber sich vorgestellt hat, wie nie ein solches einem Muselmann im Traum erschienen ist, wenn er opiumbetäubt auf das Mohnlager taumelte, den Rücken den gefährlichen Blüten, das Antlitz der Sonne zugewendet. Der Duc murmelte eine leise Verwünschung.
Die Ecken des Raumes waren nischenartig abgerundet. In drei dieser Nischen standen Statuen von gigantischen Ausmessungen. Griechische Schönheit und ägyptische Ungeheuerlichkeit