Am Ende der Nacht. Karl Edding

Am Ende der Nacht - Karl Edding


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merklich ruhiger. Aber es blieb immer noch der fade Beigeschmack, dass er wahrscheinlich seinen Job verloren hatte, oder zumindest die Aussicht darauf, es in der nächsten Zeit weiterzubringen.

      Kein Chef beförderte gerne jemanden, der einen beschimpft und den Sohn als kompletten Idioten hingestellt hatte. Auch wenn es nun einmal die Wahrheit war. Doch natürlich war Daniels Reaktion nicht gerade professionell gewesen und daher sah er ein, dass er sich seinen Weg wohl selbst verbaut hatte. Mann, was würde Becki wohl dazu sagen? Sie hatte an ihn geglaubt, hatte ihm vertraut und er hatte sie bitter enttäuscht. Er wollte sich das Gespräch, das er mit ihr führen musste, gar nicht vorstellen. Glücklicherweise hatte sie mit Lisa einen Termin beim Kinderarzt und wollte anschließend mit ihr und Jakob zu ihrer Mutter fahren, um ihr einen Besuch im Krankenhaus abzustatten, wo die sich von einer Hüft-OP erholte.

      Also hatte Daniel bis zum Abend Zeit, um sich auf das Gespräch und die Standpauke, die ihn erwartete, einzustellen. Langsam trottete er durch die Tiefgarage, von der aus er mitten in der Fußgängerzone landete. Er setzte sich in ein Café und bestellte sich einen Kaffee. Er starrte lange vor sich hin und beobachtete die Leute, die so durch die Stadt liefen. Er kannte seine Leute und mochte ihre Macken, aber jetzt, da er so viele andere Menschen sah, die ihnen auf den ersten Blick ähnelten oder zumindest den Stereotypen, die sie verkörperten, fragte er sich, ob das Ganze nicht irgendwie Selbstblendung gewesen war.

      All die Jahre war er jeden Tag pünktlich zur Arbeit erschienen, nachdem er immer dieselbe Strecke abgefahren war und dieselben Leute gesehen hatte. Es war Bestandteil seines geordneten Lebens gewesen, eines Lebens, das nun zu zerbrechen drohte. Wenn er den Menschen dort keine Beachtung geschenkt hätte, würde er sie auch nicht vermissen, wenn er nicht mehr jeden Tag dort vorbeifahren würde. Aber er hatte sie zum Teil seiner Lebensordnung gemacht und damit, ohne dass sie es wussten, zu seinen Freunden. Denn jetzt, da er all ihre Abbilder sah, die hier durch die Straßen marschierten, wurde ihm bewusst, wie sehr sie ihm fehlen würden. Sie waren nicht irgendwelche x-beliebigen Menschen, die zufällig seinen Weg zur Arbeit begleitet hatten, sondern vielmehr war jeder von ihnen ein kleines Zwischenziel gewesen, etwas, auf dass Daniel sich gefreut hatte, wenn er es erreicht hatte.

      Ihr Leben war zumindest am Morgen genauso geregelt gewesen wie sein eigenes und das hatte ihn mit ihnen verbunden. Und jetzt konnte es sein, dass er das alles verlor.

      Draußen dämmerte es bereits (es war Ende Oktober), als der Kegel der Scheinwerfer durch das große Esszimmerfenster flutete. Daniel saß in seinem Lieblingssessel vor dem Fernseher und nahm das Licht nur aus den Augenwinkeln wahr. Er atmete tief durch und versuchte, sich trotz dessen, was gleich kommen würde, zu entspannen.

      "Hallo, mein Schatz!", rief Becki, sobald sie die Haustür geöffnet hatte und mit den Kindern hereingekommen war. "Du bist ja schon zu Hause. Hast du zur Feier des Tages eher Schluss gemacht?"

      Daniel ballte seine Hände zu Fäusten; er ertrug es nicht, ihre unbeschwerten Hoffnungen zunichtemachen zu müssen.

      "Warum sitzt du denn hier im Dunkeln? Mach doch das …"

      "Nein, bitte lass!" Er hatte ihr noch nicht ins Gesicht gesehen, spürte jedoch, dass sie ahnte, dass etwas nicht in Ordnung war.

      "Ich bring' schnell die Kinder hoch, dann bin ich für dich da."

      Daniel hörte, wie sie mit Jakob und Lisa die Treppe in die obere Etage hochging. Da fasste er einen Entschluss: Er sprang auf, packte seine Jacke und wollte gerade verschwinden, als Becki ihn am Arm zurückhielt.

      "Was wird das jetzt?" Sie sah ihn herausfordernd an, doch er wich ihrem Blick aus.

      "Ich muss nochmal raus."

      "Nicht, bevor du mir gesagt hast, was los ist!"

      "Es ist nichts."

      "Daniel, wir kennen uns jetzt schon lang genug, dass ich weiß, wenn du was hast. Also spuck's aus!"

      Und da sprudelte es aus ihm heraus: Die Ungerechtigkeit seines Chefs, der Blödarsch von Andreas Abelt, seine Kündigung. Becki sah ihn einfach nur kopfschüttelnd an.

      "Deine Impulsivität wird dir ewig im Weg sein, Daniel! Wieso kannst du dich nicht EINMAL beherrschen?!"

      "Was kann ich denn dafür, dass der so ein Arsch ist? Da sind mir halt die Sicherungen durchgebrannt."

      "Ja, wieder einmal. Verdammt, Daniel, wir sind nicht mehr in der Schule! Du kannst dir so was jetzt nicht mehr leisten, du hast eine Familie, die sich auf die verlässt!"

      "Super, red mir wieder Schuldgefühle ein. Tolle Hilfe!"

      "Daniel, du weißt, dass ich immer für dich da sein werde. Aber du bringst dich andauernd in neue Schwierigkeiten. Morgen gehst du zu dem Abelt und bittest um Entschuldigung!"

      "Den Teufel werd' ich tun!"

      "Wenn du es nicht machst, dann mach ICH es. Darauf kannst du dich verlassen!"

      "Ich muss hier raus!" Damit riss Daniel die Haustür auf und stürzte in die beginnende Dunkelheit.

      "Daniel! DANIEL!", schrie Becki ihm hinterher, aber er hörte nicht darauf, sondern stapfte, so schnell er konnte, die Straße hinunter.

      Er wusste genau, dass Becki recht hatte. Denn das hatte sie immer. Dennoch hätte er es für den Moment nicht länger zu Hause ausgehalten, mit all diesen Schuldzuweisungen. Es reichte ihm schon, dass er sich selbst schlimme Vorwürfe machte, dass er seinen Job so leichtfertig hingeworfen hatte. Während er also ziellos durch die Straßen wanderte, begann es zu nieseln.

      Na toll, dachte Daniel, warf seine Kapuze über den Kopf, presste seine Arme seitlich gegen den Körper und versuchte schneller zu gehen, damit ihm nicht kalt wurde. Er war so verzweifelt wie schon lange nicht mehr. Er wollte eigentlich nichts mehr, als zu Becki zurück und sich mit ihr versöhnen. Aber da stand ihm sein Stolz im Weg. Den würde er schon morgen früh wegwerfen, wenn er dem Abelt in den Arsch kriechen musste, um seinen Job wiederzubekommen. Denn dass es dazu kam, stand außer Frage. Daniel zweifelte nicht daran, dass Becki sich sogar so lange von ihm trennen würde, bis er das getan hatte; nur um ihn zur Vernunft zu bringen.

      Es regnete nun immer stärker und Daniel war mittlerweile bis auf die Knochen durchnässt. Vielleicht hatte er ja Glück und starb an einer Lungenentzündung, dann musste er sich doch nicht überwinden, bei seinem Boss zu Kreuze zu kriechen. Daniel lächelte lakonisch. Natürlich würde das nicht passieren; er wollte es auch gar nicht. Sein Leben war bisher ja auch ganz gut verlaufen, warum sollte er sich wünschen, dass es vorbei war? Plötzlich sah er sich erstaunt um. Bei all den Gedanken hatte er gar nicht darauf geachtet, wohin ihn seine Beine getragen hatten. Aber weder kannte er diese Gegend, noch hatte er je vorgehab,t sie kennenzulernen. Da er aber mittlerweile erbärmlich fror, versuchte er, eine Kneipe oder ähnliches zu finden.

      Und da war er nun. Diese Bar war das Beste, das er gefunden hatte; aber etwas Gutes konnte er an ihr nicht finden. Er hatte einfach bloß keine Lust mehr, noch weiter durch den Regen zu marschieren, denn mittlerweile war es so spät, dass es auch noch relativ kalt geworden war, und Daniel hasste es eigentlich über die Maßen, krank zu sein. Daher wollte er das Risiko doch lieber minimieren. Und so betrat er die Bar. Und ohne es zu wissen, ein neues Leben.

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