The Art of Marathon. Franz Staab

The Art of Marathon - Franz Staab


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Meter hohen Boxentürmen, surrende Kameraburgen, pausenlos redende Reporter und Tribünenteilgeklapper. Sascha und ich betreten den Startblock D neben der Messe in Hamburg. Um uns, unter uns, über uns, neben uns , einem riesengroßen Schwarm Heringe gleich, laufen sich Dutzende Läufer gegen den Uhrzeigersinn warm. Wir tauchen ein in den schwindelnden Trudel und werden eins mit der Umgebung. Auch wir bewegen uns mit und freuen uns über den unmittelbar bevorstehenden Start. Über zwanzigtausend Läuferinnen und Läufer fiebern mit uns dem Start entgegen. Die Sonne scheint, was für ein herrlicher Tag! Hundertausende Menschen warten auf uns an der Piste, die wir gleich erobern werden.

      Für eine Minute nur friert sich das Bild dieser Heerschar von Sonntagssportlern fest, alle stehen still, als den Opfern von Boston gedacht wird.

      Run for Boston.

      Dann geht es los.

      Sascha läuft gut an, Andreas und Petra wollen zusammen bleiben und unter die 3:30 laufen, ich halte mich rechts, weil ich einige Flyer austeilen will, tosendes Gejubel umfängt mich und hört nicht auf. Der Hamburg-Marathon ist wie eine volle Waschmaschine im Schleudergang losgetobt. Überall geht es rund. Dieser Waschgang wird ab jetzt gut vier Stunden dauern. Bei manchen noch länger. Fast siebenhunderttausend Menschen feuern uns an. Das sind gut zehnmal mehr, als in ein großes Fußballstadion passen.

      Auf großer Fahrt

       Freitag, 19. April 2013

      Es sind noch zwei Tage bis zum Start des Haspa Hamburg-Marathons 2013, die Uhr zeigt etwa 06:00 Uhr in der Früh an.

      Allen im Bus hängt noch die Müdigkeit einer kurzen Nacht im Körper, während mir unser Laufguru Andreas, der hinter mir sitzt, erzählt, dass er heuer mit einer Tradition brechen wird. Er wird dieses Jahr nicht am Warm-Up-Run Samstagfrüh teilnehmen. Die Eröffnung bewegt mich, da ich das nie und nimmer für möglich gehalten hätte. Ein Warm-Up-Run am Samstag ohne Andreas? Das ist undenkbar! Vollzieht sich gerade etwas nie Vorstellbares? Wird dieser testosterongeladene Laufbolzen womöglich ruhiger und alterweise? Spontan beschließe ich, dann auch nicht am Samstagfrüh (viel zu früh!) aufzustehen und freue mich insgeheim über dieses Geschenk! Das ist gar keine schlechte Idee, sinniere ich. Warum denn nicht?

      Weiß der Herr, wie spät es heute Abend wird.

      Die Frage ist, warum ausgerechnet Andreas auf das Warm-Up-Ritual verzichtet, das eigentlich ein unverzichtbarer Bestandteil der Goldbacher Marathonreise ist: Ist es erstens, weil er vorbauen will, hinsichtlich des Hamburger Nachtlebens heute? Denn bekanntlich kann man in Hamburg ja mehr machen, als nur Flipper spielen gehen. Oder ist es zweitens, weil er schlicht so schwere Beine hat, dass ihm jetzt schon übel wird bei dem Gedanken, morgen schon wieder seinen permanent hochtourigen Laufmotor anzukurbeln? Ich weiß, dass Andreas in den letzten Monaten sehr viele Umfänge trainiert hat und auch abseits seines eigenen Trainingspensums viele Runden und Stunden mit anderen Hobbyathleten verbracht hat, die er betreut. Auch Andreas Frau Petra ist gerädert. Andreas schätzt seine Gattin dieses Jahr stärker ein, als sich selbst.

      Ich kombiniere, wenn Andreas morgen früh nicht Warm-Up-rennt, dann wird das auch Petra nicht tun. Vielleicht ist Andreas also auch nur feinfühlig, liebevoll und mitdenkend für seine Frau eingestellt, wenn er sagt, dass er morgen früh nicht aufstehen wird?

      Ja, genauso wird es sein. Ich habe ihn durchschaut! Dieser galante Gentleman verschafft seiner Frau durch die Hintertüre eine Auszeit. Genau! Andreas macht das nur seiner Frau zuliebe, das kann er freilich nicht laut sagen, sonst würde die ihrem Gentleman ja den Marsch blasen.

      Vor uns im Bus sitzt das vielleicht schnellste Duo dieser Reise. Die jungen Rene und Mathias haben sich seit ihrem Ironman-Finish letztes Jahr in Frankfurt am Main zu echten Schwergewichten in der Ausdauersportabteilung des TV Goldbach gemausert.

      In der übernächsten Reihe sitzt Natascha. Die schlanke Frohnatur lacht fast immer und hat eine derart herzliche Art an sich, dass man in ihrer Gegenwart gar nicht anders kann, als sich einfach nur pudelwohl zu fühlen. Natascha ist unterhaltsam, eloquent, witzig und immer für eine Extraportion Spaß zu haben. Und sie ist verdammt schnell. Vermutlich wird Natascha in Hamburg jedem Klabautermann davonlaufen, der versucht, sie zu erschrecken. Die alten Schiffsgeister werden ganz schön schnell außer Atem kommen, wenn sie versuchen sollten, diese Frau einzuholen.

      Weit vorne und weit hinten im Bus haben sich die diesjährigen Debütanten verteilt. Thorsten, Lebensgefährte unserer Sandra, wird seinen ersten ganzen Marathon laufen. Ebenso Benjamin, ein Arbeitskollege unseres Buskomikers Sascha. Benni, wie ich ihn nennen darf, wird zwei Tage später im Bus sagen, dass er überwältigt ist vom TV Goldbach. Zu diesem Zeitpunkt ahnt er noch nicht, wie sehr auch ihn die Euphorie und die Dynamik dieser Truppe mit dem gemeinsamen Ziel Haspa Marathon Hamburg packen wird. Benjamin wird am Sonntagabend sogar so weit gehen, dass er sich als neues Vereinsmitglied meldet!

      Weiter hinten im Bus sitzt Ute, hinter deren Start wohl eines der größten Fragezeichen steht. Bis vor kurzem war Ute an beiden Knöcheln so schwer verletzt, dass sie gar nicht laufen konnte. Die Frau unseres „zähen Beißers“ Stefan will es ihrem Mann gleich tun und auch die Zähne zusammenbeißen, sie will unbedingt starten und ihr Coach Andreas traut ihr das Finish auch zu. Utes Lauf an diesem Wochenende hat das Zeug zu einem echten Drama. Hoffentlich gibt es ein Happyend! Wir wünschen es ihr alle von ganzem Herzen.

      Utes Mann Stefan hingegen begnügt sich dieses Jahr mit einem kürzeren Teilstück, er wird unter anderem mit mir zusammen eine Staffel bilden. Ich freue mich jetzt schon darauf, zusammen mit Stefan einen ordentlichen Staffelwechsel zu zelebrieren, ich habe sowas noch nie zuvor gemacht und ich muss gestehen, ich bin aufgeregt!

      Vierte Debütantin im Bunde ist Regula. Die quirlige Frau läuft schon seit einigen Jahren, auch sie wird schon seit längerem von Andreas auf das Vorhaben Marathon eingeschmiedet. Sie ist aufgeregt und unsagbar gespannt darauf, wie es sich anfühlen wird, das erste Mal über die 33 oder 34 Kilometer zu laufen. Sie hat letzte Nacht kaum ein Auge zugetan und hat gestern Abend ihre Tasche zweimal ein- und wieder ausgepackt. Bei Regula mache ich mir keinerlei Sorgen, sie wirkt bärenstark und scheint glänzend vorbereitet, sie reist ohne jede Beschwerde an. Sie sagt zwar, dass sie schwere Beine habe und deshalb verunsichert sei, aber ich bin sicher, sie wird souverän ins Ziel kommen, spannend ist maximal, ob sie gleich beim Debut die Vierstundenmarke knacken wird, das wäre ein Ding!

      Nummer fünf ist Peggy. Die Goldbacher Athletik- und Gymtrainerin ist guter Dinge. Ohne Zweifel ist Peggy von allen Ersttätern die Fitteste. Sie wird souverän und stabil ins Ziel kommen.

      Das Sextett der Marathonanfänger wird komplettiert von Moni. Die beim TV Goldbach schon seit Jahren auch als Funktionärin aktive Sportlerin sitzt im kleinen Bus, der uns vorauseilt. Moni ist in anderen Sparten, die der TV Goldbach bedient, aktiv und bringt durch die beim Trampolinturnen antrainierte Physis sicher auch eine Grundlage mit in ihr Debütrennen, um die sie andere beneiden. Auch bei Moni ist klar, dass sie das Finish schaffen wird. Zumindest ist das meine persönliche Einschätzung.

      Patrick, den ich nicht kenne, er sitzt auch nicht im Bus, ist der siebte Debütant des TV Goldbach.

      Insgesamt starten heuer siebenundzwanzig Goldbacher Sportler über die Volldistanz in Hamburg. Zwölf Sportler teilen sich drei Staffeln á vier Teilnehmer.

      Ein weiteres Spannungsmoment im Bus stellt der diesjährige Ironman-Aspirant Christian dar. Christian laboriert immer mal wieder an seiner Hüfte und seinen Knien, mal mehr und mal weniger hört man, nichtsdestotrotz fühlt er sich fit für Hamburg. Der Goldbacher Übungsleiter hat mir im persönlichen Gespräch mitgeteilt, dass er müde ist von den vielen Trainingsumfängen. Ursprünglich wollte er mit Stefan und meiner Wenigkeit in der Staffel laufen, hat sich dann aber doch umentschieden und will nun einen vollen Marathon laufen. „Für den Kopf“, sagt er, brauche er das jetzt. Coach Andreas habe ihm auch dazu geraten, quasi als Mentaltraining. Ob er sich damit einen Gefallen tut? Wenn Christians orthopädische Probleme nach dem Hamburg-Marathon zu- statt abnehmen, wird es eng für dessen weitere Ironman-Vorbereitung! Am 07. Juli diesen Jahres winkt Frankfurt am Main mit der Europameisterschaft in der Langdistanz,


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