Hampelmann. Anton Weiß

Hampelmann - Anton Weiß


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ich zu der Zeit noch gar nicht so richtig und es war auch besser so, denn sonst hätte mich das vielleicht ganz mutlos gemacht. Wie oft nahm ich mir vor, mich das nächste Mal bei einer Niederlage nicht mehr so zu Boden drücken zu lassen; ich merkte überhaupt keine Fortschritte, es war immer wieder das gleiche Auf und Ab. Aber ich war eine Kämpfernatur. So leicht ließ ich mich nicht entmutigen, und wofür ich mich einmal wirklich entschieden hatte, dazu stand ich dann auch und warf nicht gleich die Flinte ins Korn, wenn es einmal nicht so gut lief.

      So vergingen die Jahre, in denen ich mindestens zweimal die Woche zum Training ging und Wettbewerbe in meiner Altersklasse absolvierte. Dabei lief es mal besser, mal schlechter, ein stetiges Besserwerden gab es bei mir nicht. Ich hatte glanzvolle Höhepunkte, musste aber auch bittere Niederlagen hinnehmen, so dass weder ich selbst noch die anderen, insbesondere der Trainer, wussten, wie sie mit mir dran waren, ob ich das Zeug zu einer glanzvollen Tenniskarriere hätte oder nicht. So gelangte ich von der Gruppe der 14-jährigen zu den 16-jährigen und schließlich zur Gruppe der 18-jährigen. Natürlich konnte ich vieles an meinem Spiel verbessern, gerade was den Aufschlag anbelangte, aber ein richtiger Durchbruch zu einem beständigen Leistungsniveau gelang mir nicht.

      4

      Die Schule vernachlässigte ich nicht, das hatte ich ja meinem Vater versprochen.

      Zum Glück tat ich mich am Gymnasium nicht allzu schwer; ich war nicht sehr anspruchsvoll, was die Noten anbelangte und zufrieden, wenn ich keine schlechteren Zensuren als befriedigend nach Hause brachte. Bis auf Englisch, wo ich die Vier in meiner gesamten Schulzeit nicht wegbrachte, gelang mir das ohne allzu großen Aufwand. Die Grammatik in Englisch kapierte ich nie, nur mit einem großen Wortschatz hielt ich mich über Wasser und konnte es tatsächlich in der elften Klasse mit der erwarteten Note, eben ausreichend, ablegen. Mein Vater stellte mir immer meine Schwester als großes Vorbild hin und hoffte, allerdings vergeblich, in mir da einen Ehrgeiz wecken zu können. Dass meiner Intelligenz Grenzen gezogen waren, merkte ich bald, aber es war nichts, was mich belastet hätte.

      Eher litt ich darunter, dass ich beim Fußballspielen nicht die glücklichste Figur abgab; man stellte mich in die Verteidigung, weil ich da nicht allzu großen Schaden anrichten konnte. Die anderen versuchten, so gut es ging, mir keinen Ball zuzuspielen, da er mir vom Gegner oft abgenommen wurde. Kam ein Gegner mit dem Ball auf mich zu, war ich froh, wenn es mir gelang, ihn ins Aus zu befördern. Ich spielte sehr gerne, aber leider nicht sehr gut und so war ich fast immer der letzte, der bei der Wahl in eine Mannschaft aufgerufen wurde. Ich nahm es aber den anderen nicht übel, ich kannte ja meine Begabung.

      Im Sportunterricht konnte ich kaum glänzen. Barren und Ringe waren mir richtig verhasst und im Weitsprung schaffte ich nur Mittelmaß. Am meisten Spaß machte mir Hochsprung; da konnte ich mit den anderen ganz gut mithalten.

      Aber dann kam der Tag, an dem ich fast ein albtraumartiges Erlebnis hatte. Bocksprung war angesagt. Vor dem Bock lag ein Absprungbrett und man musste mit Anlauf auf dem Brett aufspringen und über den Bock grätschen. Wir waren der Reihe nach entsprechend der Größe aufgestellt, so dass ich im hinteren Drittel lag. Nachdem unser Lehrer, der viel zu dick war, als dass er die Übungen hätte vormachen können, die besten jeweils zum Vorturnen herausgesucht hatte und sie die Übung mit Bravour absolviert hatten, kam der Rest der Klasse an die Reihe. Wer durch war, stellte sich wieder hinten an. Es schien nicht schwer zu sein, denn es gelang allen und jetzt war ich an der Reihe. Ich nahm Anlauf, sprang auf dem Brett auf – aber was war das? Es war mir unmöglich, nach vorne abzuspringen, um über den Bock zu grätschen. Wie eine unüberwindliche Mauer türmte er sich vor mir auf und ich wich zur Seite aus. Da man von mir sowieso keine tollen Leistungen erwartete, nahm kaum jemand davon Notiz, aber ich selbst war darüber äußerst bestürzt. Ich wusste gar nicht, was vor sich gegangen war, ich konnte einfach nicht springen. Ich stellte mich wieder an und versuchte es ein zweites Mal. Wenn alle anderen es schaffen, musste ich es doch auch können. Diesmal nahm ich einen stärkeren Anlauf, sprang mit aller Kraft auf das Brett und – wieder tat sich in mir eine unüberwindliche Blockade auf und ich schaffte es gerade noch, zur Seite wegzutauchen. Jetzt wurde ich richtig wütend; das gibt es doch nicht, dass ich nicht schaffe, was allen anderen gelingt. Wieder stellte ich mich an und sah den anderen genau zu, wie sie es machten. Es sah ganz leicht aus: schneller Anlauf, kräftiges Abspringen, mit den Händen kurz auf den Bock greifen und mit gegrätschten Beinen hinüberspringen. Das musste doch zu schaffen sein! Als ich wieder an der Reihe war, nahm ich alle Kraft und allen Mut zusammen, sauste los und sprang mit solcher Wucht ab, dass ich nicht mehr zur Seite ausweichen konnte. Ich prallte mit dem Unterleib an den Bock, dass mir die Luft wegblieb. Meinen Bauch haltend begab ich mich zur Sitzbank. Zu meiner großen Verblüffung gab es keine hämischen Bemer-kungen, wie es eigentlich in solchen Fällen üblich ist, eher mitleidiges Raunen. Wahrscheinlich sahen alle einschließlich des Lehrers, wie verzweifelt ich mich abgemüht hatte, den Bocksprung zu schaffen. Aber die Mauer, die sich in mir auftat, war unüberwindlich. Es war mir unbegreiflich, ich stand vor einem Rätsel; da gab es etwas in mir, was stärker war als ich, das ich auch mit der größten Anstrengung nicht überwinden konnte; das machte mich sehr nachdenklich.

      Ich bin nicht Herr über mich, da ist einer, der mehr Macht hat über mich als ich selbst. Wer ist das? Ein tieferes Ich als ich? Welche Bewandtnis hat es mit mir, wer bin ich eigentlich, wer ist der, den ich als Ich bezeichne? Möglicherweise lag hier der Beginn meines intensiven Nachforschens über das, was man gemeinhin als Ich bezeichnet. Wer bin ich, wer bin ich wirklich einschließlich dem, was ich von mir nicht kenne, was aber doch irgendwie zu mir gehört? Bin ich zwei, ist es das, was mit den zwei Seelen in der Brust gemeint ist? Was hatte ich da für Probleme, die offensichtlich andere nicht hatten? Das herauszufinden, wurde mir zur Lebensaufgabe, ohne dass ich sie mir gesucht hätte, sie drängte sich einfach auf. Welch schmerzhafter Weg damit verbunden sein sollte, das zeigte sich zum Glück erst später. Aber mein Grübeln war schon ein vorausgeworfener Schatten. Kein Wunder, dass ich nicht so leichten Fußes durch die Welt tänzeln konnte wie ich es von vielen anderen erlebte. In die Tiefe bohren, das war mir ein Bedürfnis, zu ergründen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Das hätte ich gar nicht erst in Goethes Faust lesen müssen, das war mir in die Wiege gelegt worden, es ist das Verstehen wollen, wie das Innere beschaffen ist.

      Als ich dann zum Tennisspielen anfing und sich langsam zeigte, wie ernst es mir damit war, verwunderte das die meisten und eigentlich auch mich selbst. Aber Tennisspielen ist doch etwas ganz anderes als Barrenturnen, Bockspringen oder Fußballspielen, obwohl viele Tennisspieler auch gute Fußballspieler waren; bei mir war das anders. Das regelmäßige Training tat mir gut, es war ein herrlicher Ausgleich zum Lernen, das ich manchmal richtig lästig fand. Körperliche Bewegung brauchte ich einfach, um mich wohl zu fühlen, und oft musste ich mich zwingen, das Training abzubrechen, weil ich noch für die Schule arbeiten musste, gerade, wenn in den nächsten Tagen Prüfungen anstanden.

      Es gab aber durchaus Fächer, die mir Spaß machten, eines davon war Biologie. Etwas über die Tiere zu erfahren, war mir ein Bedürfnis, besonders die Vogelwelt interessierte mich. Aber leider erfuhren wir viel mehr über die Anordnung der Ganglien beim Regenwurm als über die Lebens- und Verhaltensweise der Tiere. Der Unterricht beschäftigte sich mehr mit den toten Tieren als den lebendigen.

      Auf die Palme brachte es mich, als eines Tages der Biologielehrer allen Ernstes behauptete, dass Tiere keinen Schmerz empfinden. Ich war fassungslos und konnte nicht verstehen, wie man so einen Unsinn glauben konnte. Wenn man einem Hund auf den Schwanz tritt, dann jault er doch; ist denn das kein Ausdruck von Schmerz? Nein, wurde ich belehrt, das ist menschliches Denken und man kann nicht beweisen, dass ein Hund genau so empfindet wie der Mensch. Was mich aber am meisten verblüffte, war, dass ich der einzige in der Klasse war, der sich mit Eifer gegen diesen Unsinn einsetzte. Die anderen nahmen das eben als wissenschaftliche Erkenntnis hin oder es war ihnen einfach gleichgültig.

      Nicht sehr beliebt machte ich mich bei meinen Klassenkameraden, als ich meine Einwände gegen die Evolutionslehre vorbrachte. Da begegnete ich nicht nur beim Lehrer, sondern auch bei meinen Mitschülern auf größtes Unverständnis. Wie konnte einer die offensichtlichsten Tatsachen leugnen, die wissenschaftlich derart abgesichert waren wie die Darwin’sche Lehre? Aber wenn ich es richtig verstanden hatte, dann


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