Dies Herz, das dir gehört. Ханс Фаллада

Dies Herz, das dir gehört - Ханс Фаллада


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lauschte, nun, da er sich schon von all diesem gelöst hatte, konnte er sich auch nicht vorstellen, daß er wieder daheim in der Baukasten-Villa hinter der Fabrik leben würde, an Bildern sich vergnügen, an schönen Büchern Gefallen finden würde. Und nebenbei den einen oder anderen belanglosen Auftrag des allmächtigen und allwissenden Bruders ausführen würde …

      Es war nicht vorstellbar, daß er genau dort wieder anfing, wo er aufgehört hatte. Dazu hatte er sich zu sehr verändert. Aber was sollte er sonst drüben tun als der Sohn aus gutem Hause?

      Er hat etwas davon gehört und gelesen, er hat es auch heute wieder zu spüren bekommen, daß drüben im Vaterland etwas anders geworden ist. Als er zu Anfang hier in diesem Lande lebte, waren die Deutschen für die Amerikaner ein mit halb verächtlichem Mitleid angesehenes Volk: »Ihr seid ja schon halb tot. Gewiß, der Krieg ist auch schuld – aber wir sind jung. Wir fangen erst an zu leben – ihr seid schon beinah tot, ihr armen Deutschen!«

      Aber seitdem hatte sich diese Tonart gewaltig verändert, von herablassendem Mitleid konnte nicht mehr die Rede sein. Sein Werkmeister hatte es noch heute gesagt: »Ihr Deutschen wollt ja wohl die ganze Welt beherrschen!«

      Es war gefährlich geworden, sich Deutscher zu nennen; er hatte manchen guten Deutschen kennengelernt, der sich als Schweizer ausgab oder als Holländer.

      Einmal war er, eigentlich aus reiner Beschäftigungslosigkeit, an einem Sonntag zu einer Versammlung gegangen, die der Deutsche Verein in dieser Stadt einberufen hatte. Es war in einem Park gewesen, in einem dieser schrecklichen amerikanischen Parks, mit garantiert echten Wasserfällen aus Zementrohren, mit Eisenkonstruktionen und Baumruinen. Auf der Tribüne hatte ein Mann in Uniform gestanden und hatte geredet, vor ihm hatten noch ein paar Uniformierte gestanden, aber was der Redner geredet hatte, das war nicht zu verstehen gewesen, so sehr pfiff, brüllte, schrie die in weitem Umkreis stehende Menge.

      Dann waren Flieger über die Versammlung dahingebraust und hatten Flugblätter über der Menge abgeworfen, in denen alles Deutsche beschimpft und verlästert wurde, so sehr, daß sich sogar in Johannes Wiebe der Widerspruch regte. Er kannte ja Deutschland, es war seine Heimat, sie konnte regiert werden, von wem es auch sei, nie konnte sich seine Heimat mit ihren deutschen Menschen zu lauter blutgierigen, säbelschwingenden Sadisten ändern!

      Aber geändert mußte sie sich haben – der Haß war zu spürbar. Hochgekommen mußte sie sein: es war so viel Neid in dem Haß.

      ›Vielleicht‹, denkt Johannes Wiebe, ›bringt auch mir diese Änderung Möglichkeiten. Ich kann noch einmal anfangen. Und noch einmal. Und wieder. Ich bin ja dann daheim. Ich werde mich nicht von meinem Bruder aushalten lassen. Natürlich, Mutter will ich wiedersehen … Aber ich glaube nicht, daß ich wieder tatenlos in unserer Villa herumsitzen möchte – Gnadenbrot will ich auch nicht essen.‹

      Der Scheck, dieser bankbestätigte Scheck, den er am nächsten Morgen auf der Bank vorlegt, ist auch Gnadenbrot, das weiß er. Er muß die ganze hohe Summe nehmen, aber er will sie nicht ausgeben. Er könnte sich nun wieder einkleiden wie ein junger Herr, er könnte erster Klasse auf Bahnen und Schiffen heimwärts fahren, aber das will er nicht.

      Er ist den Luxus nicht mehr gewöhnt, und im Grunde hat er nie Luxus gebraucht, so ist er nicht. Er kauft sich einen anständigen Anzug, ein bißchen Wäsche, mehr nicht. Dann fährt er über den Erie-See nach Buffalo und von dort ostwärts nach New York.

      Er ist niedergeschlagen und still, als er so in der Bahn sitzt, äußerlich ein Amerikaner, mit der Fahrkarte hinter dem Hutband wie alle. Aber innerlich stößt ihn ihr Kauen und Schreien, die Füße auf den Sitzen, ihr Spucken, ihr burschikoses Sich-Beklopfen stärker ab als je, nun, da er immer ostwärts fährt, in die Länder der aufgehenden Sonne, der Heimat zu. Vielleicht reizt ihn alles stärker, jetzt, da er sich schon nicht mehr zu ihnen gehörig fühlt, endgültig weiß, daß er sich bei ihnen in God’s own land nie einleben wird. Vielleicht ist ihm aber auch nicht ganz wohl. Oft hat er einen schweren Druck im Schädel, sein Magen, der sich schon fast an den unverdaulichen Fraß gewöhnt hatte, streikt.

      Als er in New York auf das Büro der großen Deutschen Schiffahrtsgesellschaft will, halten ihn ein paar Posten mit Plakaten an. »Fahr nicht auf Nazi-Schiffen« liest er.

      »Du, Fellow, du wirst doch nicht mit den Leuten fahren?! Ich hoffe, du bist ein guter amerikanischer Staatsbürger, der für die Freiheit eintritt?!«

      »Bin ich nicht frei, auf dem Schiff zu fahren, das ich will?«

      »Oh! Geh zur Hölle, du bist ja selbst so ein verdammter Deutscher!«

      Und er schlägt nach ihm. Aber ein bißchen hat Johannes Wiebe doch in diesem Land der robusten Selbstverteidigung gelernt; er weicht dem Schlag aus und haut dem Sandwichman mit der scharfen Ecke seines Köfferchens gegen das Schienbein: »Geh selber zur Hölle, du!«

      Drinnen verlangt er eine Passage dritter nach Hamburg.

      Der junge Mann, der ihn bedient, hat wohl etwas von dem Lärm des Streites vor der Tür gehört. »Sie sind angehalten worden?« fragt er.

      »Ach, diese Affen …«

      »Ja, Affen sind es«, sagt der junge Mann. »Aber Affen ohne Manieren. – Nach Hamburg dritter? Da brauchen Sie aber nicht erst mit dem großen Kasten in zwei Tagen zu fahren, da nehmen Sie doch den Neptun. Der hat nur dritter Klasse – der fährt schon heute abend um sechs, und Sie sparen noch 25 Dollar!«

      »Gerne!« antwortet Johannes Wiebe. »Es fahren wohl jetzt nicht viele – wegen dem Trara da draußen?«

      »Sie haben eine Ahnung – wir sind immer besetzt. Alles Rückwanderer – es spricht sich allmählich herum, daß daheim ein anderer Wind weht, daß dort jeder Arbeit findet, und nicht die Sorte Arbeit, die es hier gibt …«

      »So«, sagt Johannes Wiebe. »Und Sie meinen wirklich, es sieht anders aus – daheim?«

      »Ich meine? Ich weiß – ich war erst vor zwei Monaten drüben, auf Urlaub. Seit wann waren Sie nicht daheim?«

      »Es ist schon eine ganze Weile her.«

      »Dann werden Sie sich aber wundern! Da werden Sie aber die Augen aufmachen! – Oh, da werden Sie die Idioten hier vor der Tür schon besser verstehen. Begreifen Sie doch, Mann, nach fünfzehn Jahren Erniedrigung ist es wieder ein Glück, ein Deutscher zu sein!«

      »Ja, wirklich?« antwortet Johannes Wiebe. »Nein, das freut mich aber …«

      Doch es rührt ihn nicht sehr an. Noch nicht. Noch ist er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt: was werde ich anfangen? Was kann ich Mutter sagen? Wie werde ich mich mit Thomas stellen?

      Das sind die Fragen, die ihn beschäftigen, und wenn er all diese Rückwanderer, die eine neu aufgehende Sonne in die Heimat zieht, von ihren Erwartungen, Hoffnungen, Plänen reden hört, so berührt ihn das kaum. Er hat seine eigenen Sorgen, und zudem geht es ihm nicht gut.

      Der Druck in seinem Schädel wird immer stärker. Manchmal, wenn er auf Deck steht, ist ihm beinahe, als sei das Schiff unter ihm fortgefahren, und er schwebe frei und allein in der Luft, zwischen Wind und Wellen …

      ›Ich bin krank‹, sagt er sich dann. ›Ich muß krank sein. Aber das darf ich nicht sein. Auch noch krank nach Hause kommen – nein, das macht die Niederlage erst ganz schlimm! Im Bett liegen – und Thomas sieht auf mich herunter und sagt: Na, du Unglückshuhn, etwas anderes habe ich nie erwartet …‹

      Er geht mit allen Kräften, die ihm geblieben sind, gegen diese Krankheit an, aber sein Gesicht wird hohl dabei, seine Augen bekommen einen seltsamen Glanz.

      An einem der letzten Überfahrtstage klopft ihm der Schiffsarzt auf die Schulter: »Nun, was ist das mit Ihnen? Sie sehen mir aus, als ob Sie ein bißchen Fieber hätten!«

      »Ich? Aber kein Gedanke daran! Ich fühle mich ganz wohl«, lügt er.

      »Und sind in diesem Augenblick schneeweiß geworden. Nein, kommen Sie lieber einmal mit mir.«

      Er will sich wehren, er will nicht krank sein, aber der Doktor ist erbarmungslos.


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