Das Dorf: Der Golem (Band 5). Karl Olsberg

Das Dorf: Der Golem (Band 5) - Karl Olsberg


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Die Regel haben sie aufgestellt, nachdem Ruuna zur Hexe geworden war.“

      „Und dann? Seid ihr einfach wieder weggegangen?“

      „Nein. Ich hab ihnen erklärt, dass ich überhaupt nicht verrückt bin, weil ich nicht mehr in ihrem Dorf leben will, denn das Dorf am Rand der Schlucht sei viel schöner. Das wollten sie nicht glauben. Sie haben mich gefragt, was denn an diesem Dorf so toll sein soll. Und, na ja, da hab ich eben ein klein wenig übertrieben.“

      „Übertrieben?“, fragt Primo. „Inwiefern?“

      „Ist doch egal“, mischt sich Kolle ein. „Sie kommen her, sehen, dass es hier weder besser noch schlechter ist als bei ihnen zuhause, und gehen wieder weg. Wer weiß, vielleicht werden ja bei der Gelegenheit neue Freundschaften geschlossen.“

      „Wieso hat es eigentlich so lange gedauert, bis ihr zurückgekommen seid, wenn sie euch gar nicht ins Dorf gelassen haben?“

      „Wir haben Ruuna und Willert zum Sumpf begleitet“, erzählt Kolle. „Sie hat ein paar Pilze und Kräuter gesammelt, wir haben in ihrer alten Hütte übernachtet und sind am nächsten Tag aufgebrochen. Aber dann, als wir schon fast am Ostfluss waren, ist ihr eingefallen, dass sie die Pilze, die sie am Tag zuvor gesammelt hatte, in ihrer Hütte vergessen hatte. Also haben wir im alten Tempel übernachtet und sind am nächsten Tag zurück zum Sumpf gelaufen.“

      „Typisch Frau!“, kommentiert Primo. Als er Margis Blick bemerkt, verbessert er sich rasch: „Ich meinte, äh, Hexe. Typisch Hexe!“

      Margi schüttelt bloß den Kopf.

      „Als wir dann schließlich einen Tag später zum vierten Mal am Wüstendorf vorbeigekommen sind“, fährt Kolle fort, „ist Wumpus zu uns gekommen und hat uns aufgetragen, wir sollten hier im Dorf den Besuch einer ‚Delegation der höchsten Würdenträger und wichtigsten Bewohner des Wüstendorfs‘ ankündigen. Als ich ihn fragte, ob er denn überhaupt wisse, wie man zum Dorf an der Schlucht kommt, sagte er nein. Also hat Margi ihm eine Karte gemalt.“

      „Und du glaubst, die finden den Weg hierher?“

      „Na, das werden wir ja morgen sehen. Entweder sie kommen, oder sie kommen nicht. Wie dem auch sei, ich glaube, du solltest jetzt lieber nach Hause gehen, Primo. Die Sonne ist schon untergegangen.“

      „Okay. Jedenfalls schön, dass ihr wieder da seid! Bis morgen!“

      Als Primo schlafen geht, hat er gemischte Gefühle. Einerseits freut er sich, dass in dem kleinen Dorf endlich mal wieder was los ist. Andererseits hat er so eine Ahnung, dass dieser Besuch nicht ohne Folgen bleiben wird.

      3. Der Golem

      Am nächsten Tag finden überall im Dorf hektische Vorbereitungen statt. Getreide wird geerntet, Eier gesammelt, eine Kuh und ein Schwein geschlachtet. Porgo und Bendo stellen gemeinsam Tische und Bänke her, die neben der Schlucht aufgebaut werden, während die Frauen des Dorfs mit Kochen und Kuchenbacken beschäftigt sind. Birta läuft überall herum und erteilt Befehle, doch niemand nimmt sie ernst. Kaus, der Bauer, der mit der schwierigen Aufgabe der Fremdenführung betraut wurde, läuft herum und versucht, sich die Lage aller Straßen und Häuser des Dorfs genau einzuprägen.

      Primo und Kolle werden zusammen mit ihren Freundinnen ausgeschickt, um in der Nähe Blumen einzusammeln, mit denen die Banketttische dekoriert werden sollen.

      „Wo ist eigentlich Ruuna?“, fragt Primo, während er eine Sonnenblume pflückt. „Ich habe sie den ganzen Tag noch nicht gesehen.“

      „Sie ist mit Willert in den Wald zurückgekehrt“, erwidert Margi.

      „Will sie denn nicht dabei sein, wenn die Delegation aus dem Wüstendorf kommt?“

      „Doch. Ich glaube, sie bereitet etwas vor. Eine Überraschung, hat sie gesagt.“

      „Na, das kann ja heiter werden“, kommentiert Primo.

      Als sie jeder einen Arm voller bunter Blumen gesammelt haben, kehren sie zum Dorf zurück.

      „Hier sind die Blumen, die du haben wolltest, Birta“, sagt Primo zu der Gehilfin des Priesters, die gerade den Frauen Anweisungen gibt, wie sie die Speisen auf dem Tisch zu platzieren haben.

      „Und wo sind die Blauen?“, fragt Birta. „Ich sagte doch ausdrücklich, dass ihr Blumen in allen Farben sammeln sollt!“

      „Aber da waren keine“, rechtfertigt sich Primo. „Wir haben rote, gelbe und weiße Blumen gefunden, aber keine blauen.“

      „Das stimmt!“, bestätigt Golina.

      „Ihr habt bloß nicht gründlich genug gesucht!“, keift Birta. „Typisch! Ihr jungen Leute habt nichts als Flausen im Kopf. Wahrscheinlich habt ihr die ganze Zeit nur ...“

      „Wo soll ich den Fisch hinstellen?“, unterbricht sie Olum, der einen ganzen Arm voller frisch gefangener Fische dabei hat.

      „Igitt!“, ruft Birta. „Der ist ja noch roh! Der muss doch erst gebraten werden! Bei Notch, wo bleibt denn Hakun mit der Milch? Muss man denn hier alles selber machen?“

      Während Birta wie ein aufgescheuchtes Huhn herumläuft, verkrümeln sich die vier Freunde klammheimlich, bevor sie auf die Idee kommen kann, ihnen eine neue Aufgabe zu übertragen.

      „Was machen wir jetzt?“, fragt Primo.

      „Lass uns auf den Kirchturm klettern“, schlägt Golina vor. „Von dort oben können wir die Vorbereitungen beobachten und sehen die Besucher als Erste. Und vor allem findet uns Birta nicht.“

      „Auf dem Kirchturm versteckst du dich wohl gern“, kommentiert Primo, doch er bereut seine Bemerkung augenblicklich, als er sieht, wie Golina vor Scham errötet. Vor Kurzem hatte sie sich dort oben versteckt, um ihm eins auszuwischen, und damit Primo dazu gebracht, bis in den Nether zu gehen, um sie zu suchen.

      „Los, kommt jetzt!“, sagt Kolle. „Aber leise, damit Magolus nicht aufwacht!“

      Sie schleichen sich in die Kirche. Wie Kolle vermutet hatte, schläft der Priester vor dem Altar. Das Heilige Buch benutzt er als Kopfkissen.

      „Ob er wohl auf diese Weise im Traum Notchs Stimme hört?“, wundert sich Primo.

      „Psst!“, macht Golina. „Schnell jetzt, auf den Turm!“

      Die vier klettern die Leiter hinauf. Von hier oben hat man einen guten Überblick über das hektische Treiben und kann weit über die Wiese östlich des Dorfs bis zum fernen Ostfluss sehen.

      „Da kommt jemand!“, ruft Golina und zeigt auf zwei Gestalten, die am nördlichen Flussufer auftauchen. Doch es sind nur Ruuna und Willert.

      Allmählich kommen die Vorbereitungen zu ihrem Abschluss. Als die Sonne am Zenit steht, sind die Tafeln zum Bankett gedeckt. Magolus hat sein Schläfchen beendet und ist zusammen mit dem Rest der Dorfbewohner zum Fluss gegangen, um die Delegation aus dem Wüstendorf in Empfang zu nehmen.

      Nur, dass von dieser Delegation nirgends etwas zu sehen ist.

      Eine Weile steht das Empfangskomitee herum, dann kehrt es schließlich zurück auf die Wiese neben der Schlucht.

      „Das ist wieder mal typisch!“, schimpft Birta so laut, dass man sie auch oben auf dem Turm gut verstehen kann. „Da macht man sich all die Mühe, und dann kommen sie nicht mal pünktlich zum Mittagessen!“

      „Hat dieser Priester Wumpus denn überhaupt gesagt, wann genau sie hier eintreffen werden?“, fragt Primo Margi.

      „Nein. Er konnte ja auch gar nicht wissen, wie lange sie bis hierher brauchen würden.“

      „Wenn es keine feste Zeit gibt, zu der sie hier sein wollten, dann können sie auch nicht unpünktlich sein“, stellt Primo fest. „Vielleicht sollten wir das Birta und Magolus mal sagen.“

      „Vergiss es!“, meint Kolle. „Die hören dir sowieso nicht zu. Da können wir ebenso gut ...“

      „Da!“,


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