Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling
wird der junge Dschungelhahn wohl gründlich mausern.«
Petersen Sahib hatte seine Ohren überall, nicht das kleinste Geräusch entging ihm; und das war auch notwendig für einen Mann, der das schweigsamste von allen lebenden Wesen belauscht – den wilden Elefanten. Der Sahib, bequem auf dem breiten Rücken seiner Pudmini ausgestreckt, wandte sich dem Sprecher zu: »Was höre ich da? Ich habe noch niemals einen Flachlandtreiber gesehen, der auch nur einen toten Elefanten richtig zu seilen verstand.«
»Das ist kein Mann, sondern ein Knabe. Beim letzten Treiben ist er in die Keddah gelaufen und hat dem Barmao dort das Seil zugeworfen, als wir das junge Kalb mit der Blesse an der Schulter von seiner Mutter trennen wollten.«
Machua Appa deutete auf den kleinen Toomai, Petersen Sahib sah ihn an, und der kleine Toomai verbeugte sich bis zur Erde.
»Der Knirps da hat ein Seil geworfen? Er ist ja kaum drei Käse hoch. Komm mal her – wie heißt du denn?«
Der kleine Toomai fürchtete sich so, daß er kaum sprechen konnte. Aber Kala Nag war hinter ihm, und auf ein Zeichen mit der Hand nahm ihn der Elefant mit dem Rüssel hoch in die Luft und hielt ihn gerade vor den mächtigen Sahib. Da verdeckte der Knabe seine Augen mit den Händen – denn er war ja doch nur ein Kind und in allen Dingen, falls es sich nicht um Elefanten handelte, so scheu, wie nur ein Kind sein kann. »Oho!« sagte Petersen Sahib und strich sich lächelnd den langen Schnurrbart, »und aus welchem Grunde hast du die ›Schwarze Schlange‹ denn dieses Kunststück gelehrt? Wohl, damit du das Korn von den Dächern stehlen kannst, wenn es zum Trocknen ausliegt?«
»Nicht Korn, Beschützer der Armen – Melonen!« sagte der kleine Toomai, und alle ringsherum brachen in schallendes Gelächter aus. Die meisten hatten in ihrer Jugend den Elefanten dasselbe Kunststück beigebracht. Der kleine Toomai schwebte acht Fuß über dem Boden und wünschte sehnlichst, mindestens ebenso tief unter der Erde zu liegen.
»Er ist mein Sohn, Sahib«, sagte der große Toomai mürrisch. »Er ist ein Taugenichts und wird wohl im Gefängnis enden, Sahib!«
»Daran zweifle ich«, antwortete der mächtige Mann, und seine Augen sahen aus, als wollten sie sich in den alten Toomai hineinbohren. »Ein Knabe, der sich so jung in eine volle Keddah hineinwagt, endet nicht im Gefängnis. Hier hast du vier Annas, kaufe dir Zuckerwerk; denn du hast einen Kopf unter deinem großen Schopf. Später, wenn es soweit ist, kannst du vielleicht ein Jäger werden.« Des großen Toomai Gesicht zog sich noch mehr in die Länge. »Aber vergiß nicht«, fuhr der Sahib fort, »Keddahs sind keine Spielplätze für Kinder.«
»Darf ich denn niemals wieder hineingehen?« fragte der kleine Toomai mit stockender Stimme.
»Doch!« Petersen Sahib lachte verstohlen. »Sobald du den Tanz der Elefanten gesehen hast. Dann ist die rechte Zeit. Komme zu mir, wenn du die Elefanten hast tanzen sehen, dann stehen dir alle Keddahs offen.«
Wieder erscholl ein lautes Gelächter ringsherum; denn das ist ein alter Scherz der Elefantenjäger und bedeutet: niemals! Tief in den Dschungeln versteckt liegen weite, flach getretene Lichtungen, Ballsäle der Elefanten genannt; aber nur selten findet man sie durch Zufall, und noch nie sah ein menschliches Auge den Tanz der Elefanten. Wenn ein Treiber mit seiner Tapferkeit prahlt, dann fragen die anderen höhnend: »Wann hast denn du die Elefanten tanzen sehen?« Kala Nag ließ seinen kleinen Herrn zu Boden; der Knabe machte wiederum eine tiefe Verbeugung und ging mit dem grollenden Vater davon. Er gab das Silberstück seiner Mutter, die das kleine Brüderchen nährte; dann wurde die ganze Familie auf Kala Nags Rücken verstaut, und der lange Zug der murrenden und gurgelnden Elefanten setzte sich über den gewundenen Hügelpfad nach dem Flachland in Bewegung. Es wurde ein recht unruhiger Marsch, denn die neugefangenen Elefanten zeigten sich bei jeder Furt widerspenstig und bedurften fortwährend beruhigender Worte oder klatschender Stockhiebe.
Der große Toomai bearbeitete Kala Nag mit dem eisernen Stachel, denn er war ärgerlich; aber der kleine Toomai döste glückselig vor sich hin. Petersen Sahib hatte ihn zu sich gerufen und ihm sogar Geld gegeben, und so fühlte er sich wie ein Soldat, den der General aus Reih' und Glied gerufen und öffentlich gelobt hat.
»Was hat denn der Sahib mit dem Elefantentanz gemeint?« fragte er endlich leise seine Mutter.
Aber der Vater hörte ihn und sagte verächtlich: »Daß du niemals so ein Bergbüffel von Fährtensucher werden sollst, das meinte er. Heda! – ihr da vorn! – was versperrt den Weg?«
Ein assamesischer Treiber, zwei oder drei Elefanten voraus, rief ärgerlich: »Her mit deinem Kala Nag! Er soll dieses Kalb hier zur Vernunft bringen. Warum mußte Petersen Sahib gerade mich mit diesen Reisfeldeseln ins Flachland schicken! Bring dein Tier längsseits, Toomai, damit er den Schlingel hier mit den Stoßzähnen bearbeitet. Bei allen Göttern in den Bergen! ... Der Teufel ist in diese neuen Elefanten gefahren, oder sie wittern ihre Kameraden in der Dschungel.«
Kala Nag stieß den jungen Elefanten unsanft in die Rippen, und der alte Toomai knurrte: »Pah! Kameraden in der Dschungel! Hier in den Hügeln gibt es keine mehr, wir haben alle verjagt oder gefangen. Ihr versteht nur nicht zu treiben. Muß ich denn allein den ganzen Zug in Ordnung halten?«
»Hört nur!« höhnten die anderen Treiber. »Wir haben die Hügel gesäubert! Ho! Ho! Ihr seid ja mächtig gescheit, ihr Lümmels vom Flachland! Wer seine Nase nur jemals in die Dschungel gesteckt hat, der sollte doch wissen, daß die Elefanten ebensogut merken, wenn die Jagd zu Ende ist, wie wir. Und deshalb werden die wilden Elefanten heute nacht ... aber was soll ich meine Weisheit an diesen Sandhasen aus der Ebene verschwenden?«
»Was ... was werden die Elefanten heute nacht tun?« fragte der kleine Toomai.
»Ohe! Bist du auch da, Kleiner? Nun gut, ich werde dir's sagen, denn du hast mehr Verstand als die Schildkröten, deine Stammesgenossen. Tanzen werden sie heute nacht ... jawohl, tanzen! Und deshalb sollte dein weiser Vater, der alle Elefanten auf allen Hügeln gefangen hat – er sollte die Tiere an doppelte Ketten legen!«
»Dummes Zeug!« knurrte der große Toomai. »Vierzig Jahre lang haben wir beide, mein Vater und ich, Elefanten gewartet, und nie haben wir solches Mondscheingeschwätz von Elefantentänzen gehört.«
»Du natürlich nicht, denn so ein Flachlandigel kennt nur die vier Wände seiner elenden Hütte. Nun, von mir aus laß ruhig deine Elefanten ungefesselt heute nacht, dann wirst du ja sehen. Und von wegen tanzen! Ich habe mit eigenen Augen die Lichtung gesehen, wo ... Wie viele Krümmungen hat denn dieser Dihangfluß? Schon wieder eine Furt, und die Kälber müssen hindurchschwimmen. Das Ganze halt, ihr da hinten!«
So vollbrachten sie schwatzend und zankend den ersten Tagesmarsch; und als der Abend kam, schlugen sie flüchtig ein Lager auf.
Dort wurden die Arbeitselefanten an große Pfähle gefesselt, die neuen Tiere noch mit besonders starken Tauen angebunden und alle abgefüttert. Die Treiber von den Hügeln kehrten durch die Abenddämmerung zu Petersen Sahib zurück; sie rieten den Treibern vom Flachland nochmals, in dieser Nacht besonders wachsam zu sein, und lachten nur, als die Flachländer fragten: »Warum?« Der kleine Toomai saß vor Kala Nag und sah ihm zu, wie er die großen Bündel Gras in den Schlund steckte, bis der Berg vor ihm kleiner und kleiner wurde und zuletzt verschwand.
Dann, als es dunkelte, strich der kleine Toomai durch das Lager, um ein Tam-Tam zu suchen. Wenn einem indischen Kinde das Herz vor Freude überströmt, dann lärmt es nicht und springt herum, sondern setzt sich still irgendwohin und genießt sein Glücksgefühl ganz für sich allein. Und der mächtige Petersen Sahib, der Beschützer der Armen, der Herr der Dschungel, hatte mit dem kleinen Toomai gesprochen! Hätte der Junge nicht gefunden, was er suchte, so wäre ihm vielleicht das Herz gesprungen. Aber der Zuckerbäcker im Lager lieh ihm ein Tam-Tam – eine Trommel, die mit der flachen Hand geschlagen wird. Toomai ließ sich mit gekreuzten Beinen vor Kala Nag nieder, das Tam-Tam im Schoß; und glückselig träumend begann er die Trommel zu schlagen – tanke, tank – tanke, tank – tanke, tank. Die Sterne des nächtlichen Himmels sahen auf ihn herab; und er schlug und schlug, und je mehr er über die große Ehre nachdachte, die ihm widerfahren war, desto lauter hallte sein tanke, tank – tanke, tank – durch die einsame, warme Nacht. Es war keine