Rudyard Kipling - Gesammelte Werke. Rudyard Kipling
hornigen Augenlidern, oben auf dem dreieckigen Kopf, während er den gedunsenen Tonnenleib langsam mit den rindigen krummen Beinen nachzog. Dann lag er still. Der Schakal aber, so vertraut er auch mit der Art und Weise seines Gegenübers war, fuhr zum hundertsten Male entsetzt hoch, als er sah, wie täuschend der Mugger das Aussehen eines von den Wellen an das Ufer getriebenen Baumklotzes annahm. Er hatte sich sogar bemüht, genau in demselben Winkel zum Wasser zu liegen, wie ein natürlich gestrandeter Klotz in Hinsicht auf Strömung und Jahreszeit zum Stillstand gekommen wäre. Das aber war nur Sache der Gewohnheit, denn der Mugger war diesmal nur zu seinem Vergnügen an Land gekommen; aber ein Krokodil ist niemals satt, und hätte sich der Schakal durch die Ähnlichkeit täuschen lassen, würde er wohl kaum so lange gelebt haben, um darüber noch nachdenken zu können.
»Nichts hörte ich, mein Kind«, sagte der alte Mugger, eins seiner Augen schließend. »Ich hatte Wasser in den Ohren, und mir war ganz schwach vor Hunger. Seitdem man die Eisenbahnbrücke baute, liebt mich mein Dorfvolk nicht mehr, und das bricht mir das Herz.«
»Oh, Schmach und Schande!« sagte der Schakal. »Noch dazu ein so nobles Herz! Aber die Menschen sind sich alle gleich, nach meiner Meinung.«
»Kaum. Große Unterschiede gibt es da«, entgegnete der Mugger sanft. »Manche sind dürr wie Bootshaken, andere wieder fett wie junge Schak... Hunde. Nie werde ich Menschen ohne Grund schmähen; viele Sorten habe ich schon durchprobiert, und meine langjährige Erfahrung hat mir gezeigt, daß sie sehr gut sind, alle durch die Bank, Männer, Frauen und Kinder – vorzüglich finde ich sie. Und bedenke, Kind, wer die Welt verschmäht, der wird verschmäht.«
»Schmeichelei ist schlimmer als eine leere Konservenbüchse im Bauch. Aber was wir eben hörten, das ist Weisheit«, sagte der Adjutant und wechselte von einem Bein aufs andere.
»Dennoch, bedenke doch ihre Undankbarkeit gegen diesen Erhabenen«, flötete der Schakal sanft.
»Nein, nein, nicht Undankbarkeit!« verwahrte sich der Mugger. »Sie denken nur nicht an andere, das ist alles. Aber ich habe beobachtet, als ich an meinem Posten bei der Furt lag, daß die Stufen der neuen Brücke grausam schwer zu ersteigen sind, besonders für alte Leute und kleine Kinder. Die alten, in der Tat, kommen ja weniger in Betracht, aber traurig bin ich – aufrichtig betrübt – um der kleinen fetten Kinder willen. Ich hoffe aber, in einiger Zeit, wenn die Brücke nichts Neues mehr ist, dann werde ich die nackten braunen Beine meiner Leute wieder wacker durch die Furt planschen sehen wie ehedem. Dann kommt auch der alte Mugger wieder zu Ehren.«
»Ich sah aber doch Ringelblumenkränze an der Kante des Ghats entlangtreiben, erst heute nachmittag«, behauptete der Adjutant.
Ringelblumenkränze sind Zeichen der Verehrung in ganz Indien.
»Irrtum, Irrtum. Die Frau des Zuckerbäckers ist es gewesen. Von Jahr zu Jahr erblindet sie mehr und kann mich – den Mugger vom Ghat – nicht mehr von einem Holzklotz unterscheiden. Ich erkannte das Versehen, als sie die Kränze warf, denn ich lag unmittelbar am Gemäuer des Ghat. Hätte sie nur einen einzigen Schritt weiter abwärts getan, so würde ich ihr den Unterschied klargemacht haben. Indes – sie meinte es gut, und man muß den Willen für die Tat nehmen.«
»Was hat man von Blumenkränzen auf dem Kehrichthaufen?« fragte der Schakal, indes er sich flöhte, aber dabei stets ein wachsames Auge auf den »Beschützer der Armen« gerichtet hielt.
»Wahr, aber der Kehrichthaufen, der mich tragen wird, ist noch nicht begonnen. Fünfmal habe ich den Fluß vom Dorf zurückweichen und neues Land sich am Fuß der Straße bilden sehen. Fünfmal sah ich das Dorf neu erstehen an den Ufern, und fünf weitere Male noch wird es neu erbaut werden vor meinen Augen. Ich bin kein treuloser, fischjagender Gavial, ich bin der treue, ausharrende Wächter der Furt. Nicht umsonst trägt das Dorf meinen Namen, und ,wer lange wacht', sagt man, ,erhält endlich seinen Lohn'.«
»Lange, sehr lange habe ich gewacht, fast durch mein ganzes Leben, und mein Leben waren Bisse und Schläge«, klagte der Schakal.
»Ho! ho! ho!« krächzte der Adjutant,
»Der Schakal kam August zur Welt;
September hat's geregnet –
Sprach er: Daß so viel Regen fällt,
Ist mir noch nie begegnet!«
Der Adjutant hat eine unangenehme Eigentümlichkeit. Zuzeiten leidet er an plötzlichen Anfällen krampfartiger Unruhe in den Beinen; und obwohl er würdevoller anzusehen ist als jeder andere Kranich (die alle ungemein ehrbar sind), beginnt er dann doch, einen krüppelstelzigen Kriegstanz aufzuführen, bei dem er mit den halbgeöffneten Flügeln schlägt und den kahlen Kopf auf- und niederstößt; und aus Gründen, die nur ihm bekannt sind, kreischt er während des Tanzes die boshaftesten Bemerkungen heraus. Danach steht er mit einemmal wieder steif aufgerichtet da und sieht noch zehnmal adjutantenhafter aus als zuvor.
Der Schakal kniff den Schwanz ein, obwohl er schon drei Regenzeiten alt war; aber man darf einem, der einen meterlangen Schnabel hat und ihn wie einen Wurfspieß schwingen kann, keine Beleidigung übelnehmen. Der Adjutant war ein ausgemachter Feigling, aber der Schakal war es noch mehr.
»Leben müssen wir, bevor wir lernen«, sprach der Mugger, »und folgendes wäre zu sagen: kleine Schakale sind alltäglich, Kind, aber ein Mugger, wie ich, ist niemals alltäglich. Dennoch bin ich nicht stolz, denn Stolz bringt Verderben. Aber merke dir, es gibt ein Schicksal, und wider sein Schicksal soll keiner murren, der schwimmt, geht oder läuft. Ich bin wohl zufrieden mit dem Schicksal. Viel kann man erreichen mit etwas Glück, einem scharfen Auge und der Gewohnheit, zu prüfen, ob eine Bucht oder ein seichtes Wasser einen freien Ausgang hat, ehe man hineingeht.«
»Einst hörte ich, daß sogar der Beschützer der Armen einmal einen Irrtum beging«, sagte boshaft der Schakal.
»Allerdings, aber da half ihm sein Schicksal. Es war, bevor ich noch ganz ausgewachsen war, vor der letzten von den drei letzten Hungersnöten (bei den Rechten und Linken der Ganga, wie voll waren die Ströme in jenen Tagen!). Ja, ich war jung und unbedacht, und wenn die Flut kam – wer war froher als ich! Eine Kleinigkeit konnte mich damals glücklich machen. Das Dorf war überschwemmt von der Flut, und ich schwamm über den Ghat hinweg, weit hinein ins Land, nach den Reisfeldern, die tief bedeckt waren mit gutem Schlamm.
Ich erinnere mich, daß ich an dem Abend zwei Armbänder fand (aus Glas waren sie und machten mir nicht wenig Sorge), ja, Glasarmbänder; und auch eines Schuhs entsinne ich mich. Hätte ich nur beide Schuhe beseitigt! Aber mich hungerte. Später lernte ich mir besser zu helfen. Ja, und so fraß ich und ruhte mich dann aus. Aber als ich dann wieder nach dem Fluß zurück wollte, war die Flut gefallen, und ich mußte durch den Schlamm die Hauptstraße hinunterwaten. Ja, das tat ich! Da kam all mein Volk angelaufen, Priester, Weiber und Kinder, und ich blickte mit Wohlwollen auf sie. Schlamm ist kein guter Kampfplatz! Und ein Bootsmann rief: ›Nehmet Äxte und schlaget ihn tot, denn er ist der Mugger von der Furt!‹ – ›Nicht also‹, sagte der Brahmane, ›sehet, er treibt die Fluten vor sich her! Der Schutzgott ist es des Dorfes.‹ Darauf bewarfen sie mich mit Blumen, und zum Glück führte man eine Ziege über die Straße.«
»Wie gut – wie sehr gut ist doch Ziege«, unterbrach der Schakal.
»Haarig – zuviel Pelz, und wenn man eine im Wasser findet, hat sie oft einen krummen Haken irgendwo verborgen. Aber jene Ziege geruhte ich anzunehmen, und schritt hinab zum Ghat in großen Ehren. Später sandte mir mein Schicksal den Bootsmann, der mir den Schwanz mit der Axt abzuhacken gedacht hatte. Sein Boot strandete auf einer alten Sandbank, deren ihr euch wohl kaum entsinnt.«
»Alle sind wir nicht Schakale hier«, stichelte der Adjutant.
»War es die Sandbank, wo die steinbeladenen Boote sanken im Jahre der großen Dürre – eine lange Sandbank, die drei Überflutungen standhielt?«
»Zwei gab es«, verbesserte der Mugger, »eine obere und eine untere Sandbank.«
»Richtig, ich vergaß. Eine Rinne trennte sie, die später wieder austrocknete«, ergänzte der Adjutant, ungemein stolz auf sein Gedächtnis.
»Auf der unteren Sandbank,