Montag oder Die Reise nach innen. Peter Schmidt

Montag oder Die Reise nach innen - Peter Schmidt


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hat schon wieder seine dreckigen Socken im Badezimmer herumliegenlassen?« – dann meinte er damit, abgesehen von der bloß rhetorischen Frage: Es macht dich und uns alle glücklicher, wenn das Zeug mit seinem Käsegeruch nicht unnütz im Haus herumliegt.

      Aber was, wenn irgend jemand meine Socken gern roch? Wo blieben dann seine absolut gültigen Regeln?

      Diese Frage kann man jedem stellen, der einem irgendwelche Rezepte verkaufen will. Sei es nun die Regel, wie man keine Pickel kriegt, wie man sich vor Selbstmord oder Geschlechtskrankheiten schützt, wie man seine Depressionen los wird oder Verstimmungen überhaupt erst einmal als das identifiziert, was sie sind.

      Tatsächlich scheint es solche Regeln auch zu geben. Nur sind sie alles andere als allgemeingültig. Sie haben für den einzelnen keine Spur von Plausibilität, solange sie sich nicht in der Praxis bewähren. Und diese Bewährung kann im nächsten Moment in ihr Gegenteil umschlagen.

      Ich war damals schon ein beachtlicher Erkenntnistheoretiker, deshalb warf es mich kaum aus der Bahn, als mir meine Mutter die goldene Regel für meine weitere Ausbildung verkündete:

      »Wir haben über deine berufliche Zukunft nachgedacht, Marc, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es besser wäre, wenn ein Privatlehrer deine Ausbildung übernähme.«

      »Ein Privatlehrer? Du meinst in Physik?«

      »Nein, allgemein.«

      »Darf ich fragen, womit ich diese Auszeichnung verdiene? Meine Noten sind doch ganz ordentlich?«

      »Deine Lehrer glauben sogar einen – nun bleib mal auf dem Teppich – genialischen Zug bei dir zu erkennen. Allerdings mit einem deutlichen Hang zur Verwahrlosung, was deine schulischen Leistungen anbelangt.«

      »Anders ausgedrückt: Sie halten mich für begabt, aber faul?«

      »Ein guter Lehrer könnte dir den Einstieg ins Studium erleichtern. Wir möchten, dass du mit einer erstklassigen Abiturnote abschließt.«

      Also daher wehte der Wind! Sie wollten niemanden, der beim Abschluss kläglich versagte. Wahrscheinlich würde das meinen Vater ein halbes Dutzend Aufträge für Hochhäuser und meine Mutter ihren Sitz im Parlament kosten.

      »Und was sagt die Schulbehörde dazu?«

      »Kein Problem, es ist ja nur eine Zusatzausbildung. Sie wird dich von der Straße holen, Marc. Das ist Vaters größte Sorge. Er macht sich Gedanken darüber, wo du dich nach dem Gymnasium herumtreibst.«

      »Ich sitze meist in der Bibliothek, um meine Physikkenntnisse zu vervollständigen.«

      »Tatsächlich?« Sie warf mir eine ungläubigen Blick zu – so ungläubig wie manche Frauen, wenn ihr Angetrauter jeden Eid auf seine eheliche Treue schwört.

      »Deshalb könnt ihr euch das Geld für den Burschen sparen.«

      »Das würde die Sache allerdings ändern. Falls sich herausstellen sollte, dass du über ausreichende Kenntnisse verfügst, werden wir es einfach bei der Probezeit belassen.«

      »Heißt das, ihr habt schon jemanden für mich eingestellt? Wer ist den der Glückliche?«

      »Eine junge Physikstudentin.«

      Ich muss ziemlich entgeistert ausgesehen haben damals. Die Überraschung war ihnen allerdings gelungen. Irgendein pickeliges Wesen ohne Hüften mit dicken Brillengläsern, dachte ich. Oder noch schlimmer: mit Schlabberpullover ohne BH und kurzgeschnittenen Fingernägeln, das dauernd Pistazien kaute. Welches Mädchen, das gut aussieht, studiert schon Physik?

      »Frag mich jetzt bitte nicht, wie sie aussieht, Marc. Ausgesprochen hübsch.«

      »Im Ernst? Ihr habt sie doch nicht nach Schönheit ausgesucht?«

      »Man sagt, Karola sei die fähigste Studentin am Institut. Sie hat zwei Schulklassen übersprungen – mit Abiturnote 0,7.«

      Diese Zahl flößte ihr offensichtlich Ehrfurcht ein. Wie die meisten Sterblichen dachte sie ständig in Kategorien von Wettbewerb und Überlegenheit, und das mag auf den ersten Blick zwar ein harmloses und sogar erfolgreiches Vergnügen sein, verseucht aber den Verstand genauso schleichend und fast unwiderrufbar wie eine Giftmülldeponie das Erdreich.

      »Eine kleine Intelligenzbestie also – und auch noch hübsch?«

      »Du bist ein wahrer Glückspilz.«

      »Ihr wollt mich doch nicht mit ihr verkuppeln?«

      »Untersteh dich, auch nur an so etwas zu denken, Marc! Sie ist deine Lehrerin, nichts weiter. Vater vertraut darauf, dass deine vollmundigen Behauptungen von einem Leben ohne Frauen ernst gemeint sind.«

      Das hatte mir gerade noch gefehlt: Nachhilfestunden in Physik. Und dazu der Körpergeruch einer jungen intelligenten Frau, wenn sie sich am Schreibtisch über meine Schulter beugte. Wer sollte so etwas aushalten? Wenn ich es allerdings schaffte, meinen Vater davon zu überzeugen, dass ihre Arbeit so überflüssig war wie ein Kropf?

      Das ließ sich nur durch Leistung bewerkstelligen. Ich würde mein Interesse an der Malerei auf Eis legen müssen. Ich wusste, dass ich in der Lage war, gut und schnell zu lernen. Am besten veröffentlichte ich irgendeinen genialischen Aufsatz in einem Fachmagazin für Theoretische Physik. Und nachmittags würde ich mir jeden Tag einen Gang durchs Museum gönnen, als Belohnung für meine Disziplin.

      Karola war zwar hübsch, aber körperlich eher unscheinbar. Sie reichte mir gerade bis zu den Ohren. Sie liebte Pullover. Und das alles, ohne mein Sehzentrum durch breitflächige Fettpolster zu terrorisieren. Ihre Bewegungen waren so geschmeidig, als verbringe sie ihre Freizeit mit Yoga-Übungen. Bei alledem hatte sie eine Art, die Dinge anzugehen, die mir Achtung abnötigte. Nicht dieses zickige Gebaren, das sich emanzipierte Frauen antrainiert haben.

      Sie schien zu glauben, ich hätte noch nie im Leben etwas von Erotik oder Sex gehört, denn sie behandelte mich, als sei ich völlig geschlechtslos, als komme das alles erst in einer späteren Lebensphase.

      Nachdem Anja ihr gesagt hatte, ich hätte mich für die sexuelle Abstinenz entschieden, blickte sie mir einen Augenblick lang ausdruckslos in die Augen. Wieder hatte ich dieses verdammte Gefühl von Glas. Gehörte sie etwa zu den Gläsernen wie mein Vater? Ich versuchte ihre Gedanken zu lesen. Sie dachte: Wie kann sich jemand dafür entscheiden, Mönch zu werden, wenn er gar nicht weiß, wovon er redet?

      Ihr Zimmer im Dachgeschoss machte mich rasend, weil es wie ein einladendes Liebesnest wirkte, und zwar eines von der modernen Sorte, keines mit Plüsch und rotem Licht. Ich lag halbe Abende krank vor Eifersucht auf der Lauer, um herauszufinden, ob sie dort irgendwelche Freunde empfing. Aber entweder war sie cleverer als ich, oder sie hatte sich vorgenommen, während der Probezeit kein Risiko einzugehen.

      Immerhin wurde ich auf diese Weise von meinem Problem mit der Kunst ablenkt. Genauer gesagt, es normalisierte sich. Es verlor an Kraft.

      Die wenigen Augenblicke, in denen ich mich ins Nationalmuseum fortstahl, um einen Blick auf die Abgründe des Lebens, auf meine berufliche Zukunft zu werfen, oder auf das, woran ich als Maler anzuknüpfen gedachte, wirkten so besänftigend und anregend auf mich, dass ich eine geheimnisvolle Verbindung oder Spannung zwischen Karola, meiner paranoiden Eifersucht und der Galerie und Montag empfand.

      Bosch klaffende rote Wunde am Bauch erschien mir plötzlich weniger bedrohlich. Alle diese Bedenken waren nichts weiter als der Ausdruck eines übersättigten Gehirns. Was hinderte mich eigentlich daran, einen positiven Ton in meine Malerei zu bringen? Etwa die Vergangenheit? Die Tradition?

      Ich hatte meine Krise überwunden – dank eines Mädchens, das nach irgendeinem konventionellen Deodorants roch, vermischt mit billigem Studentenparfüm von den Verkaufsständen der Mensa. Ein weiterer Beleg dafür, wie leicht Frauen im Leben eines Mannes zum Katalysator werden können.

      Mich faszinierte Karolas helles Lachen, wenn sie mir mit unschuldsvoller Miene, als belehre sie einen unbegabten Schüler, klarzumachen versuchte, dass sich Naturgesetze immer nur falsifizieren aber niemals verifizieren ließen und ich mit der ganzen Leidenschaft


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