Lausbubengeschichten & Tante Frieda - Teil 1. Ludwig Thoma

Lausbubengeschichten & Tante Frieda - Teil 1 - Ludwig Thoma


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und fragt, wie es uns geht.«

       Meine Mutter hat gesagt, daß etwas geschehen muß, sie weiß noch nicht, was.

       Auf einmal ist ihnen eingefallen, ob ich vielleicht in der Vakanz in die Volksschule gehen kann,

       der Herr Lehrer tut ihnen gewiß den Gefallen.

       Ich habe gesagt, das geht nicht, weil ich schon in die zweite Klasse von der Lateinschule komme,

       und wenn es die anderen erfahren, ist es eine furchtbare Schande vor meinen Kommilitonen.

       Lieber will ich nichts mehr anfangen und sehr fleißig sein.

       Meine liebe Mutter sagte zu meiner Schwester: »Du hörst es, daß er jetzt anders werden will, und

       wenn es für ihn doch so peinlich ist wegen der Kolimitonen, wollen wir noch einmal warten. Sie

       kann sich keine lateinischen Worte merken. Ich war froh, daß es so vorbeigegangen ist, und ich

       habe mich recht zusammengenommen.

       Einen Tag ist es gutgegangen, aber am Mittwoch habe ich es nicht mehr ausgehalten.

       Neben uns wohnt der Geheimrat Bischof in der Sommerfrische. Seine Frau kann mich nicht

       leiden, und wenn ich bloß an den Zaun hinkomme, schreit sie zu ihrer Magd: »Elis, geben Sie

       acht, der Lausbube ist da ...«

       Sie haben eine Angorakatze; die darf immer dabeisitzen, wenn sie Kaffee trinken im Freien, und

       die Frau Geheimrat fragt: »Mag Miezchen ein bißchen Milch? Mag Miezchen vielleicht auch ein

       bißchen Honig?«

       Als wenn sie ja sagen könnte oder ein kleines Kind wäre.

       Am Mittwoch ist die Katze bei uns herüben gewesen, und unsere Magd hat sie gefüttert. Da habe

       ich sie genommen, wie es niemand gesehen hat, und habe sie eingesperrt im Stall, wo ich früher

       zwei Könighasen hatte.

       Dann habe ich aufgepaßt, wie sie Kaffee getrunken haben. Die Frau Geheimrat war schon da und

       hat gerufen:

       »Miezi! Miezi! Elis, haben Sie Miezchen nicht gesehen?« Aber die Magd hat es nicht gewußt,

       und sie haben sich hingesetzt, und ich habe hinter dem Vorhang hinübergeschaut.

       Dann hat die Frau Geheimrat zu ihrem Mann gesagt: »Eugen, hast du Miezchen nicht gesehen?«

       Und er hat gesagt: »Vüloicht, ich woiß es nücht.« Und dann hat er wieder in der Zeitung gelesen.

       Aber die Frau Geheimrat war ganz nachdenklich, und wie sie ein Butterbrot geschmiert hat, hat

       sie gesagt:

       »Ich kann mir nicht denken, wo Miezchen bleibt. Sie fängt doch keine Mäuse nicht? Indes bin ich

       geschwind in den Stall und habe die Katze genommen. Ich habe ihr an den Schweif einen

       Pulverfrosch gebunden und bin hinten an das Haus vom Geheimrat am Zaun und habe den Frosch

       angezündet. Dann habe ich die Katze freigelassen. Sie ist gleich durch den Zaun geschloffen und

       furchtbar gelaufen.

       Die Magd hat geschrien: »Frau Geheimrat, Mieze kommt schon.« Und dann habe ich die Stimme

       von ihr gehört, wie sie gesagt hat: »Wo ist nur mein Kätzchen? Da bist du ja! Aber was hat das

       Tierchen am Schweif?« Dann hat es furchtbar gekracht und gezischt, und sie haben geschrien und

       die Tassen am Boden hingeschmissen, und wie es still war, hat der Geheimrat gesagt: »Das üst

       wüder düser ruchlose Lauspube gewösen.«

       Ich habe mich im Zimmer von meiner Schwester versteckt; da kann man in unseren Garten

       hinunterschauen. Meine Mutter und Anna haben auch Kaffee getrunken, und meine liebe Mutter

       sagte gerade: »Siehst du, Ännchen, Ludwig ist nicht so schlimm; man muß ihn nur zu behandeln

       verstehen. Gestern hat er den ganzen Tag gelernt, und es ist gut, daß wir ihn nicht vor seinen

       Kolimitonen blamiert haben.«

       Und Anna sagte: »Ach möchte bloß wissen, warum der Herr Amtsrichter nicht stehengeblieben

       ist.«

       Jetzt ist auf einmal am Eingang von unserem Garten der Geheimrat und die Frau Geheimrat

       gewesen, und meine Mutter sagte: »Ännchen, sitzt meine Haube nicht schief? Ich glaube gar,

       Geheimrats machen uns Besuch.«

       Und ist aufgestanden und ihnen entgegengegangen, und ich hörte, daß sie gesagt hat: »Nein, das

       ist lieb von Ihnen, daß Sie kommen...« Aber der Geheimrat hat ein Gesicht gemacht, als wenn er

       mit einer Leiche geht, und sie ist ganz rot gewesen und hat den abgebrannten Frosch in der Hand

       gehabt und hat erzählt, daß die Katze jetzt wahnsinnig ist und drei Tassen kaputt sind. Und daß es

       niemand anderer getan hat wie ich. Da sind meiner Mutter die Tränen heruntergelaufen, und der

       Geheimrat hat gesagt: »Woinen Sü nur, gute Frau! Woinen Sü über Ohren mißratenen Sohn!«

       Und dann haben sie verlangt, daß meine Mutter die Tassen bezahlt, und eine kostet zwei Mark,

       weil es so gutes Porzellan war.

       Ich bin furchtbar zornig geworden, wie ich gesehen habe, daß meine alte Mutter den kleinen,

       alten Geldbeutel herausgetan hat, und ihre Hände waren ganz zittrig, wie sie das Geld aufgezählt

       hat.

       Die Frau Geheimrat hat es geschwind eingesteckt und hat gesagt, das Schrecklichste ist, daß die

       arme Katze wahnsinnig geworden ist, aber sie wollen es nicht anzeigen aus Rücksicht auf meine

       Mutter. Dann sind sie gegangen, und er hat noch gesagt: »Der Hümmel prüft Sü hart mit Ühre

       Künde.«

       Ich habe noch länger in den Garten hinuntergeschaut. Da ist meine Mutter am Tisch gesessen und

       hat sich mit ihrem Sacktuch die Tränen abgewischt, aber es sind immer neue gekommen, und bei

       Ännchen auch. Das Butterbrot ist auf dem Teller gewesen, und sie haben es nicht mehr essen

       mögen. Ich bin ganz traurig geworden, und ich bin fort, daß sie mich nicht gesehen haben.

       Ich habe gedacht, wie es gemein ist von dem Geheimrat, daß er das Geld genommen hat, und wie

       ich ihm dafür etwas antun muß. Ich möchte die Katze kaputtmachen, daß es niemand merkt, und

       ihr den Schweif abschneiden. Wenn sie dann ruft: »Wo ist denn nur unser Miezchen?«, schmeiße

       ich den Schweif über den Zaun hinüber. Aber ich muß mich noch besinnen, wie ich es mache,

       daß es niemand merkt. Da bin ich wieder lustig geworden, weil ich gedacht habe, was sie für ein

       Gesicht machen wird, wenn sie bloß mehr den Schweif sieht. Dann bin ich heim zum Essen

       gegangen. Anna ist schon an der Tür gestanden und hat gesagt, daß ich allein essen muß in

       meinem Zimmer und daß ich morgen in die Schule gehen muß. Der Herr Lehrer Wagner hat es

       angenommen und hat versprochen, daß er mit mir streng ist.

       Ich habe schimpfen gewollt, weil es doch eine Schande ist, wenn ein Lateinschüler mit den

       dummen Schulkindern zusammensitzt, aber ich habe gedacht, daß meine Mutter so geweint hat.

       Und da habe ich mir alles gefallen lassen.

       Ich bin am andern Tag in die Schule gegangen.


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