Sehnsucht nach Zärtlichkeit. Hans-Joachim Koehl

Sehnsucht nach Zärtlichkeit - Hans-Joachim Koehl


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gefiltert und konnten nicht zu ihnen durchdringen und die Zellen frühzeitig zerstören. Von diesem Wissen hatten meine Leute nicht den leisesten Schimmer.

      Die dicke Wolkendecke verschaffte ihnen ein langes Leben. Bis zu tausend Erdenjahre konnten die Menschen Fleischlinge existieren. In unserer Zeitrechnung war es nur ein Tag. Doch hier auf der Erde zählte eine andere Zeitspanne. Die Männer, die am Ufer an uns vorbeizogen, sahen wie ein langer, sich windender Wurm aus. Sie waren um Brustkorb und Schultern mit einem Tau fest verbunden und zogen damit einen Lastkahn gegen die leichte Strömung. Schiffe wurden gezogen, gerudert oder gesegelt. Es war ein identischer Lastkahn, wie ich einen hatte: flach und breit. Flussaufwärts wurden Felle, Leder, gesalzener Fisch, Taue und Handwerkswaren transportiert. Eins der besten Geschäfte waren Waffen. Begehrt waren junge Frauen und Pfeilspitzen aus einem dunkelroten Metall. Diese drangen in die dicken Felle der großen Tiere besser ein als hölzerne. Alles wurde getauscht: Männer zum Ziehen der Kähne, Kinder und Frauen für die Felder und sonstige Arbeiten.

      Vom Oberlauf des Flusses kamen Menschen nicht immer wieder zurück, stattdessen gelbes Metall, Holz und behauene Steine. Im oberen Flusslauf am Ende des Euphrat gab es einen kleinen Gebirgsbach. An dessen Ufern wurde Gold aus dem Schwemmsand gewaschen, das war seit ewigen Zeiten bekannt, denn der Bach begrenzte die Nordostseite der Täler vom Garten Eden. Die Flüsse Tigris und Euphrat sind seine Brüder im Westen und Osten bis auf den heutigen Tag.

      Am Tauschplatz der Waren entstanden kleinere Siedlungen, die durch unsere Hilfe schnell größer wurden. Die Handelsplätze und Speicher wurden befestigt, bewacht und wuchsen zu Trutzburgen.

      Am Ufer wurde mithilfe langer Bohlen vom Land aus unser Schiff entladen.

      „Sei gegrüßt Haleb. Wie war die Reise?“

      Der Mann, der vor mir stand, war einen Kopf größer als alle anderen. Selbst unter seinem Gewand konnte man noch den muskulösen Körper erkennen. Die Haut war dunkel, die Haare fielen ihm schwarz auf die Schultern und ein Goldband hielt die Pracht zusammen. Sein Gesicht war auf den ersten Blick ebenmäßig. Trotzdem senkten alle den Blick vor ihm, denn sie fürchteten seine Augen. Seine ganze Ausstrahlung hatte etwas Gewalttätiges, Furcht einflößendes. Schon als Knabe war er außergewöhnlich stark, schweigsam — ja finster!

      Bisweilen ging ihm selbst seine Mutter aus dem Weg. Als er kaum geboren war, wollte ihn seine Mutter nicht mehr stillen. Sie kam zu mir und beschwerte sich: “Du hast einen Sohn gezeugt, der mir in die Brust beißt, wenn die Milch nicht schnell genug kommt. Die Schmerzen sind unerträglich: Soll ihn doch eine Amme stillen!“ Aber auch die Amme schrie vor Schmerz. So wurde er mit Kamel- und Ziegenmilch gestillt. Er war nicht wählerisch — Hauptsache satt werden.

      Er lernte gut und verstand es meisterhaft die Menschen in seiner näheren Umgebung in seinen Bann zu ziehen und zu manipulieren, um seinen Willen durchzusetzen. Als Gleichaltrige noch Knaben waren, war er schon ein Mann. Durch seine immense Kraft zerbrachen seine Bögen aus Bambus oder Holz. Ich fertigte ihm einen aus dem Schädelknochen und Horn einer Antilope. Diesen Bogen hat er noch immer.

      Ich bin stolz auf meine Söhne. Alle drei sind wahre Giganten an Körpergröße und Kraft; kein Mensch kann es mit ihnen aufnehmen.

      Haleb liebt die Jagd; es ist ihm egal was er jagt, Hauptsache es hat Beine. Sinks ist hinterlistig, schlau und boshaft. Betschep liebt den Kampf über alles und seine Frauen samt Kinderschar. Alle drei waren schon als Kinder gewalttätig; auch untereinander.

      Einmal, bei einem Abendmahl lagen wir ums Feuer. Da versuchte Sinks seinem Bruder Haleb ein Stück Fleisch von dessen Holzspieß zu entwenden. Als er die Hand mit dem Fleisch langsam zurückzog, nagelte Haleb den Arm von Sinks mit einem Messer auf die Holzplatte. Sofort stürzte sich Betschep auf Haleb. Haleb war noch dabei das Messer aus Holz und Arm zu ziehen, als ein gewaltiger Schlag von Betschep ihn zu Boden riss. Betschep stürzte sich auf den am Boden Liegenden, doch geschickt rollte sich Haleb weg, sprang auf und stürzte sich von hinten auf Betschep, riss ihn mit der linken Hand an den Haaren und die rechte Faust schmetterte auf die rechte Niere. Betschep schrie auf und blieb am Boden stöhnend liegen.

      Sinks hatte sich inzwischen die Armwunde abgebunden. Er benutzte das Kopftuch einer Frau, die hinter ihm saß. Aus der Wunde quoll dickes dunkelrotes, fast schwarzes Blut. Doch es gab kein Jammern und kein Geschrei! Er öffnete und schloss seine Faust und dann stürzte er sich auf Haleb. Sein wütender Kampfesschrei warnte Haleb, sofort warf er sich zur Seite, so fiel Sinks auf Betschep der den Angriff abwehren musste!

      Jetzt kämpfte jeder gegen jeden! Keiner von uns wagte es, die drei zu trennen. Alle anderen Anwesenden schnappten sich ein Stück Fleisch, Brot oder eine Schüssel mit Brei und setzten die Mahlzeit draußen fort.

      Erst als unser großes Zelt über den Kämpfern zusammenbrach, kam einer nach dem anderen heraus gekrochen; alle blutverschmiert! Seit diesem Tage liegen sie nur noch getrennt an der Tafel.

      Haleb war mir am liebsten von den dreien. Nicht weil er mein Erstgeborener war, … vielleicht, weil er so finster, so verschlossen war. Ich konnte es nicht genau definieren; solche Gedanken waren rein menschlicher Natur und ich vergaß manchmal, dass wir Lichtgestalten die Menschen lediglich als Wohnung benutzten.

      Vor nicht allzu langer Zeiten waren wir auf der Jagd und hatten schon einen ganzen Tag auf Lauer gelegen. Uns wäre ein Löwe genau so lieb gewesen wie eine Antilope; selbst mit einem Hasen hätten wir zufrieden sein können. Doch auch in der Dämmerung kam kein Tier zur Quelle. Haleb war voller Zorn. Er sprach nicht, doch wer ihn nur ein wenig kannte, ging ihm jetzt besser aus dem Weg. Als es ganz dunkel wurde, brachen wir die Jagd ab.

      Ein Jagdhelfer, ein junger Sklave mit schwarzer Haut und lustigem Gemüt, den ich gegen einen Sack Aussaat getauscht hatte, rannte und sprang durch die Büsche und rief: „Die Jagd ist aus, wir gehen nach Haus!“ Da hörte ich das Singen eines Pfeils und Halebs Worte: “Wer ... sagt ... das?“ Der Ton dieser Stimme ließ mich schaudern. Der Knabe fiel mit einem spitzen, erstaunten Schrei, als könne er nicht verstehen, dass eins seiner Beine ihn nicht mehr trug. Halebs Pfeil stecke in seinem Oberschenkel. Nun … er war mein Sklave! Wäre er Halebs Sklave gewesen, hätte er die Attacke nicht überlebt. Als Haleb begann, die Frauen in unserem Haus zu schlagen, die ihm nicht zu Willen waren, sandte ich ihn fort und gab ihm eine Aufgabe, bei der er sich bewähren konnte.

      Wir konnten ihn nicht mehr ertragen. Die Sippe hatte nur Frieden, wenn er auf der Jagd war. Sein liebstes Wild waren Raubkatzen; vor allem die Löwen. Die Felle waren sehr begehrt. Er tauschte sie gegen alles, was er benötigte. Bewunderung und Angst vor ihm wechselten sich ab. Ich kannte keinen, der mit ihm vertraut war. Haleb brauchte ein Ziel, eine Aufgabe.

      Ich hatte auf dem Fluss drei Handelsschiffe; hier sollte er von einem den Handel übernehmen. Die ständige Bewegung eines Schiffes war meiner Meinung nach genau das Richtige für diesen unruhigen Geist. Als er alles gelernt hatte, was nötig war, um einen Schiffskahn zu führen, wollte er selbst das Kommando übernehmen. Der Bootsführer lehnte lachend ab: „Das musst du mit deinem Vater ausmachen.“ Zwei Bootsleute standen schmunzelnd dabei.

      Schon als Kind ertrug Haleb es nicht, ausgelacht zu werden. Den zwei Bootsleuten schlug er blitzschnell die Köpfe zusammen, sodass sie wie Eierschalen platzten. Der entsetzte Schiffsführer rettete sich mit einem Sprung in den Fluss. Seitdem führt Haleb das Kommando. Und bisher zu unseren Gunsten.

      „Seid gegrüßt, Vater, die Reise hat sich gelohnt. Die neuen Speere und der Schild, die du mir schenktest, kamen gut zum Einsatz. Als wir am oberen Fluss an eine Biegung kamen, war eine Trosse von Ufer zu Ufer gespannt. Dort sind seichte Stellen, und als wir aufliefen, wollten sie uns niedermachen.

      Dreißig Mann war die Rotte stark. Vom Ufer stürmten sie auf uns zu; doch wir waren vorbereitet. Die Pfeile lagen auf den Sehnen. Einige konnten fliehen. Fünf hab ich dir als Sklaven mitgebracht, die anderen mussten wir im Kampf erschlagen.“

      Er sprühte vor Eifer und ich hatte den Eindruck, mit dem Erschlagen könnte er jeden Moment wieder anfangen.

      Rund


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