Vom Menschenrätsel. Rudolf Steiner

Vom Menschenrätsel - Rudolf Steiner


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Fanatismus« den Sinn blenden lässt, dem erscheint die oft so bitter werdende Ablehnung einer geistgemäßen Naturanschauung, wie sie Schelling erstrebte, doch nicht anders, als wenn ein Liebhaber des Photographierens sagte: ich mache von dem Menschen genaue Bilder, die alles wiedergeben, was an ihm ist: man komme mir doch dieser Naturtreue gegenüber nicht mit dem Porträt eines Malers.

      Mit der erweckten geistigen Anschauung wollte Schelling den »Geist der Natur« finden, der nicht nur in der sinnlichen Wahrnehmung, sondern auch in dem, was man Naturgesetze nennt, bloß seinen physiognomischen Ausdruck hat. Es ist bedeutungsvoll, sich vor die Seele zu stellen, welch gewaltigen Eindruck er mit einem solchen Streben auf diejenigen Menschen unter seinen Zeitgenossen machte, die ein offenes Gemüt für die Art hatten, wie dieses Streben aus seiner geistdurchleuchteten, machtvollen Persönlichkeit hervorbrach. Es gibt eine Schilderung, die ein liebenswürdig-geistvoller Denker, Gotthilf Heinrich Schubert, gegeben hat von den Eindrücken, die er von Schellings Wirksamkeit in Jena empfangen hat. »Was war es« – so schreibt Schubert –, »das Jünglinge wie gereifte Männer von fern und nahe so mächtig zu Schellings Vorlesungen hinzog? War es nur die Persönlichkeit des Mannes oder der eigentümliche Reiz seines mündlichen Vortrags, darinnen diese anziehende Kraft lag? ... Das war es nicht allein... In seinem lebendigen Worte lag allerdings eine hinnehmende Kraft, welcher, wo sie nur einige Empfänglichkeit traf, keine der jungen Seelen sich erwehren konnte. Es möchte schwer sein, einem Leser unserer Zeit« (Schubert schreibt 1854 nieder, was er in den neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts mit Schelling erlebt hatte), »der nicht wie ich jugendlich teilnehmender Hörer war, es begreiflich zu machen, wie es mir, wenn Schelling zu uns sprach, öfter so zumute wurde, als ob ich Dante, den Seher einer nur dem geweihten Auge geöffneten Jenseitswelt, lese oder hörte. Der mächtige Inhalt, der in seiner wie mit mathematischer Schärfe im Lapidarstile abgemessenen Rede lag, erschien mir wie ein gebundener Prometheus, dessen Bande zu lösen und aus dessen Hand das unverlöschende Feuer zu empfangen die Aufgabe des verstehenden Geistes ist ... . Aber weder die Persönlichkeit noch die belebende Kraft der mündlichen Mitteilung konnten es allein sein, welche für die Schellingsche Weltanschauung alsbald nach ihrem öffentlichen Kundwerden durch Schriften eine Teilnahme und eine Aufregung für oder wider ihre Richtung hervorrief, wie dies vor- und nachher in langer Zeit keine andere literarische Erscheinung ähnlicher Art vermocht hat. Man wird es da, wo es sich um sinnlich-wahrnehmbare Dinge oder natürliche Erscheinungen handelt, einem Lehrer oder Schriftsteller sogleich anmerken, ob er aus eigener Anschauung und Erfahrung spricht, oder bloß von dem redet, was er von andern gehört, ja, nach seiner eigenen selbstgemachten Vorstellung sich ausgedacht hat ... Auf die gleiche Weise wie mit der äußeren Erfahrung verhält es sich mit der inneren. Es gibt eine Wirklichkeit von höherer Art, deren Sein der erkennende Geist in uns mit derselben Sicherheit und Gewissheit erfahren kann, als unser Leib durch seine Sinne das Sein der äußeren sichtbaren Natur erfährt. Diese, die Wirklichkeit der leiblichen Dinge, stellt sich unseren wahrnehmenden Sinnen als eine Tat eben derselben schaffenden Kraft dar, durch welche auch unsere leibliche Natur zum Werden gekommen. Das Sein der Sichtbarkeit ist in gleicher Weise eine wirkliche Tatsache als das Sein des wahrnehmenden Sinnes. Auch dem erkennenden Geiste in uns hat sich die Wirklichkeit der höheren Art als geistig-leibliche Tatsache genaht; er wird ihrer innewerden, wenn sich sein eigenes Erkennen zu einem Anerkennen dessen erhebt, von welchem er erkannt und aus welchem nach gleichmäßiger Ordnung die Wirklichkeit des leiblichen wie des geistigen Werdens hervorgeht. Und jenes Innewerden einer geistigen, göttlichen Wirklichkeit, in der wir selber leben, weben und sind, ist der höchste Gewinn des Erdenlebens und des Forschens nach Weisheit ... . Schon zu meiner Zeit gab es unter den Jünglingen, die ihn hörten, solche, welche es ahnten, was er unter der intellektuellen Anschauung meinte, durch welche unser Geist den unendlichen Urgrund alles Seins und Werdens erfassen muss.«

      Geist in der Natur suchte Schelling durch die intellektuelle Anschauung. Das Geistige, das aus der Kraft seines Schaffens die Natur heraussprießen ließ. Lebendiger Leib dieses Geistigen war einst diese Natur, wie des Menschen Leib der der Seele ist. Nun breitet er sich aus, dieser Leib des Weltengeistes, in seinen Zügen das offenbarend, was ihm einst das Geistige einverleibt hat, in seinem Werden und Weben die Gebärden zeigend, die Wirkungen des Geistigen darstellen. Vorangehen musste dieses Geistwirken im Weltenleibe dem gegenwärtigen Zustande der Welt, damit er sich verhärte und im Mineralreiche ein Knochensystem, im Pflanzenreiche ein Nervensystem, im Tierreiche einen seelischen Vorläufer des Menschen zeuge. So ward der Weltenleib aus seiner Jugend in sein Alter eingeführt; das gegenwärtige Mineral-, Pflanzen- und Tierreich sind die gewissermaßen verhärteten Erzeugnisse dessen, was dereinst geist-leiblich in einem Werden vollbracht wurde, das gegenwärtig erloschen ist. Aus dem Schoße des Altersleibes der Welt aber konnte die schaffende Geistigkeit erstehen lassen den seelen-geistbegabten Menschen, in dessen Innerem der Erkenntnis die Ideen aufleuchten, mit denen zuerst die schaffende Geistigkeit den Weltleib wirkte. Wie verzaubert ruht in der gegenwärtigen Natur der einst in ihr lebendig- wirksame Geist; in der Menschenseele wird er entzaubert. (Diese Darstellung des Verhältnisses Schellings zur Natur ist gewiss nicht nur keine wörtliche, sondern nicht einmal eine solche in Vorstellungen, die Schelling selbst gebraucht hat. Doch bin ich der Ansicht, dass man in solcher Kürze treu nur dann wiedergeben kann, wenn man den Geist einer Anschauung ins Auge fasst, und, um ihn auszudrücken, Vorstellungen gebraucht, die in freier Art sich ergeben, um in wenigen Worten zu sagen, was die Persönlichkeit, von der man spricht, in einer Reihe ausführlicher Werke ausgesprochen hat. Die eigenen Worte dieser Persönlichkeit können, zu diesem Ziel gebraucht, deren Geist nur entstellen.)

      Mit einer solchen Art, sich zu dem »Geiste der Natur« und zu dessen Verhältnis zum Menschengeiste zu stellen, empfand sich Schelling vor der Notwendigkeit, eine Anschauung auch nun darüber zu gewinnen, wie dasjenige in der Welt aufzufassen ist, das störend in den Gang der Weltereignisse eingreift. Indem die Seele sich an die allwaltende Ideenwelt hingibt, wird sie deren fortschreitendes Schaffen erkennend erleben. Doch drängt sich, wie von einer anderen Seite des Weltdaseins, die Störung, das Übel, das Böse an die Seele heran. In dieses Feld kommt die erkennende Seele mit der Ideenwelt zunächst nicht hinein; es grenzt an sie wie der Schatten an das Licht. Wie das Licht nicht im Schattenraume anwesend sein kann, so auch nicht die im ersten Erkenntnisanlauf von der Seele unternommenen Tätigkeiten im Reiche der Störungen, des Übels, des Bösen. Im Suchen nach einer Möglichkeit, in dieses Gebiet einzudringen, fand Schelling Anregung durch diejenige Persönlichkeit, die aus dem einfachsten deutschen Volksempfinden heraus die Lösung hoher Welträtsel versucht hat: durch Jakob Böhme. Gewiss, Jakob Böhme hat über Weltanschauungsfragen viel gelesen und auch auf andere Art durch die Bildungswege viel aufgenommen, die sich dem einfachen Volksmanne in der deutschen Entwicklung des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts boten; das Beste aber, das in Jakob Böhmes Schriften auf so ungelehrte Art pulsiert, ist volkstümlicher Erkenntnisweg, ist ein Ergebnis des Volksgemütes selber. Und Schelling hat heraufgehoben in die Art der denkerischen Betrachtung, was dieses Volksgemüt in Jakob Böhmes ungelehrter, aber erleuchteter Seele erschaut hat. Es gehört zu den herrlichsten Beobachtungen, die man in der Weltliteratur machen kann, Jakob Böhmes elementarische Gemütsanschauung durch die philosophische Sprache in Schellings Abhandlung »Über das Wesen der menschlichen Freiheit« leuchten zu sehen. In dieser elementarischen Gemütsanschauung waltet die tiefsinnige Einsicht, dass niemand zu einer befriedigenden Weltanschauung kommen kann, der auf seinem Erkenntniswege nur die Mittel des denkenden Begreifens mitnimmt. In den Umkreis dessen, was denkendes Begreifen ist, schlägt aus den Weltentiefen etwas herein, das umfassender, mächtiger ist als dieses denkende Begreifen. Doch nicht mächtiger, als was die Seele in sich erleben kann, wenn ihr das denkende Begreifen nur als Glied ihres eigenen Wesens erscheint. Will man etwas begreifen, so muss man verstehen, wie es notwendig mit einem andern zusammenhängt. Die Dinge der Welt hängen aber wohl an ihrer Oberfläche, doch nicht im tiefsten Grunde ihres Wesens notwendig zusammen. In der Welt waltet Freiheit. Und nur der begreift die Welt, der in dem notwendigen Gange der Naturgesetze das Walten freier übersinnlicher Geistigkeit schaut. Die Freiheit als Tatsache kann immer mit logischen Gründen widerlegt werden. Wer das durchschaut, auf den macht keine Widerlegung der Freiheitsidee einen Eindruck.

      Die urgesunde Erkenntnisart Jakob Böhmes, seine ursprüngliche volkssinngemäße Gemütserkenntnis schaute die Freiheit als durchwebend und durchwirkend alle Notwendigkeit, auch die naturgemäße. Und Schelling, von einer geistgemäßen Naturanschauung


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