Ein Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen in acht Meditationen. Rudolf Steiner
Seele die Augenblicke kommen, in denen sie zu sich selber so spricht: Du musst dich allem entziehen können, was dir eine Außenwelt geben kann, wenn du dir nicht ein Geständnis abpressen lassen willst, mit dem sich nicht leben lässt, nämlich du seiest nur der sich selbst erlebende Widersinn.
Was du da draußen wahrnimmst, es ist da ohne dich; es war ohne dich und wird ohne dich sein. Warum empfinden sich die Farben in dir, da dein Empfinden für sie doch bedeutungslos sein könnte? Warum bilden die Stoffe und Kräfte der Außenwelt deinen Leib? Er belebt sich zu deiner äußeren Erscheinung. Die Außenwelt gestaltet sich zu dir. Du wirst gewahr, dass du diesen Leib brauchst. Weil du ohne deine Sinne, welche nur Er dir einbilden kann, zunächst gar nicht etwas in dir erleben könntest. Du wärest, so wie du vorerst bist, leer ohne deinen Leib. Er gibt dir innere Fülle und Inhalt.
Und dann können alle die Überlegungen auftreten, ohne welche ein menschliches Dasein nicht bleiben kann, wenn es nicht in gewissen Zeiten, die für jeden Menschen kommen, mit sich in einen unerträglichen Widerspruch geraten will. Dieser Leib - er lebt so, dass er jetzt Ausdruck ist des seelischen Erlebens. Seine Vorgänge sind von der Art, dass die Seele durch ihn lebt und sich in ihm erlebt. Das wird einmal nicht so sein. Was in dem Leibe lebt, wird einmal ganz anderen Gesetzen unterworfen sein als jetzt, da es für mich verläuft, für mein seelisches Erleben. Es wird den Gesetzen unterworfen sein, nach denen Stoffe und Kräfte draußen in der Natur sich verhalten, Gesetzen, die nichts mehr mit mir und meinem Leben zu tun haben. Der Leib, dem ich mein seelisches Erleben verdanke, wird in den allgemeinen Weltverlauf aufgenommen sein und sich in demselben so verhalten, dass er mit allem, was ich in mir erlebe, nichts mehr gemeinsam haben wird.
Eine solche Überlegung kann alle Schauer des Todesgedankens vor das innere Erleben bringen, ohne dass sich in diesen Eindruck die bloß persönlichen Empfindungen mischen, welche in der Seele gewöhnlich mit diesem Gedanken verbunden sind. Solche Empfindungen bewirken, dass ihm gegenüber die ruhige, gelassene Stimmung nicht leicht sich einstellt, die zur erkennenden Betrachtung notwendig ist.
Es ist nur zu begreiflich, dass der Mensch ein Wissen gewinnen will über den Tod und über ein Leben der Seele unabhängig von der Auflösung des Leibes. Die Art, wie er zu den Fragen steht, die hier in Betracht kommen, ist, wie kaum irgend etwas andres in der Welt, geeignet, den sachlichen Blick zu trüben und Antworten als gültig hinzunehmen, welche vom Wunsche eingegeben sind. Man kann aber über nichts eine wahre Erkenntnis auf geistigem Gebiete erhalten, bei dem man nicht wie ein völlig Unbeteiligter das »Nein« ebenso willig hinnimmt wie das »Ja«. Und man wird nur gewissenhaft in sich selbst zu blicken brauchen, um sich völlig klar darüber zu sein, dass man nicht mit demselben Gleichmut die Erkenntnis hinnehmen würde, mit dem Tode des Leibes erlischt auch das seelische Leben, wie die andre, die von dem Fortbestand der Seele nach dem Tode spricht. Gewiss, es gibt Menschen, die völlig ehrlich an die Vernichtung der Seele mit der Auflösung des Leibeslebens glauben, und die mit einem solchen Gedanken sich ihr Leben einrichten. Doch auch für diese gilt, dass sie mit ihren Gefühlen keineswegs unbefangen diesem Gedanken gegenüberstehen. Sie lassen sich durch die Schrecken der Vernichtung allerdings nicht dazu hinreißen, die Gründe der Erkenntnis, welche für sie deutlich sprechen, von dem Wunsche übertönt zu fühlen, der nach einem Fortleben zielt. Insofern sind die Vorstellungen solcher Menschen oft sachlicher als diejenigen der andern, welche, ohne dies zu wissen, sich Gründe für das Fortleben vorspiegeln oder vorspiegeln lassen, weil in ihren geheimen Seelengründen eben die Begierde nach solchem Fortleben brennt. Doch ist bei den Unsterblichkeitsleugnern die Befangenheit eine nicht weniger große. Sie ist nur anders geartet. Es gibt unter ihnen solche, welche sich eine gewisse Vorstellung von dem machen, was Leben und Dasein heißt. Diese Vorstellung führt sie dazu, bestimmte Bedingungen denken zu müssen, unter denen dieses Leben nur allein möglich ist. So wie sie nun das Dasein ansehen, ergibt sich ihnen, dass die Bedingungen des seelischen Lebens nicht mehr vorhanden sein können, wenn der Leib wegfällt. Solche Menschen bemerken nicht, dass sie sich erst eine bestimmte Vorstellung gebildet haben, wie Leben nur sein könne, und dass sie allein deshalb nicht glauben können, es dauere nach dem Tode fort, weil sich aus ihrer Vorstellung heraus keine Möglichkeit ergibt, sich ein leibfreies Dasein zu denken. Sie sind zwar nicht durch ihre Wünsche, wohl aber durch die Vorstellungen befangen, von denen sie nun eben nicht loskommen können. Es gibt noch viele Befangenheiten auf diesem Gebiete. Man kann immer nur einzelne Beispiele dessen anführen, was in dieser Art alles vorhanden ist.
Der Gedanke, dass der Leib, in dessen Vorgängen sich die Seele auslebt, einmal der Außenwelt verfallen werde und Gesetzen folgen, die in keinem Verhältnisse stehen zum inneren Erleben, er lässt das Todeserlebnis so vor die Seele treten, dass kein Wunsch, kein persönliches Interesse sich in die Betrachtung einzumischen brauchen; dass dieses Erlebnis zu einer reinen, unpersönlichen Erkenntnisfrage führen kann. Es wird sich aber dann auch bald die Empfindung ergeben, dass der Todesgedanke nicht um seiner selbst willen bedeutsam ist, sondern deshalb, weil er Licht verbreiten kann über das Leben. Man wird zu der Ansicht kommen müssen, dass das Rätsel des Lebens zu erkennen ist durch das Wesen des Todes.
Dass die Seele nach ihrer Fortdauer verlangt, sollte unter allen Umständen dazu führen, sie misstrauisch zu machen gegen alle Meinungen, welche sie sich über diese Fortdauer bildet. Denn warum sollten sich die Tatsachen der Welt kümmern um das, was die Seele empfindet. Sie mag nach ihren Bedürfnissen sich selber sinnlos fühlen, wenn sie denken müsste, sie könnte, einer Flamme gleich, die aus dem Brennmaterial sich ergibt, aus dem Stoffe ihres Leibes aufflackern und dann wieder verlöschen. Es könnte sich dies doch so verhalten, auch wenn es als sinnlos empfunden würde.
Wenn die Seele den Blick zum Leibe wendet, so soll sie auch nur mit dem rechnen, was er ihr zeigen kann. Es scheint da, als ob in der Natur die Gesetze wirkten, welche die Stoffe und Kräfte in ein Wechselspiel bringen, und als ob diese Gesetze den Leib beherrschten, und ihn nach einiger Zeit wieder in das allgemeine Wechselspiel einbezögen.
Man mag diesen Gedanken nun wenden, wie man will: er ist naturwissenschaftlich wohl brauchbar, doch er erweist sich der wahren Wirklichkeit gegenüber als ganz unmöglich. Man kann finden, dass er allein wissenschaftlich klar, nüchtern, und alles andre nur subjektiver Glaube sei; man kann sich dies wohl einbilden. Man kann es aber bei wirklicher Unbefangenheit nicht festhalten. Und darauf kommt es an. Nicht was die Seele durch ihr Wesen als notwendig empfindet, kommt in Betracht, sondern dasjenige, was die Außenwelt offenbart, welcher der Leib entnommen ist. Diese Außenwelt nimmt seine Stoffe und Kräfte nach dem Tode in sich auf. In ihr folgen sie dann Gesetzen, welchen ganz gleichgültig ist, was im menschlichen Leibe während des Lebens vorgeht. Diese Gesetze (die physischer und chemischer Art sind) stellen sich zu dem Leibe nicht anders als zu jedem andern leblosen Dinge der Außenwelt. Es ist unmöglich, etwas anderes zu denken, als dass dieses gleichgültige Verhältnis der Außenwelt zum Menschenleibe nicht erst mit dem Tode eintritt, sondern dass es auch schon während des Lebens besteht. Nicht aus dem Leben kann man eine Vorstellung gewinnen über den Anteil der sinnlichen Außenwelt an dem Menschenleibe, sondern allein dadurch, dass man denkt: alles, was da an dir ist als Träger deiner Sinne, als Vermittler von Vorgängen, durch welche deine Seele lebt, das wird von der Welt, welche du wahrnimmst, so behandelt, wie dir die Vorstellung ergibt, die über dein Leben hinaus schweift. Die damit rechnet, dass eine Zeit kommen werde, in der du alles dieses nicht mehr an dir hast, worin du dich jetzt erlebst. Jede andere Vorstellung über das Verhältnis der sinnlichen Außenwelt zum Leibe lässt durch sich selber erfühlen, dass sie gegenüber der Wirklichkeit nicht haltbar ist. Die Vorstellung aber, dass erst nach dem Tode der wirkliche Anteil der Außenwelt an dem Leibe zutage tritt, kommt mit nichts in Konflikt, was wahrhaft in Außenwelt und Innenwelt erlebt wird. Die Seele fühlt nichts Unerträgliches bei dem Gedanken, dass ihre Stoffe und Kräfte Vorgängen der Außenwelt verfallen, die mit ihrem eigenen Leben nichts zu tun haben. Sie kann in ihren Tiefen bei vollkommen unbefangener Hingabe an das Leben keinen aus dem Leibe aufsteigenden Wunsch entdecken, der ihr den Gedanken unbehaglich machte an die Auflösung nach dem Tode. Das Unerträgliche tritt erst dann ein, wenn die Vorstellung gebildet werden sollte, die in die Außenwelt zurückkehrenden Stoffe und Kräfte nehmen die sich erlebende Seele mit. Eine solche Vorstellung wäre aus demselben Grunde unerträglich wie jede andre, die sich nicht naturgemäß aus der Hingabe an die Offenbarung der Außenwelt ergibt.
Der Außenwelt während des Lebens