Steintränen. Manja Gautschi

Steintränen - Manja Gautschi


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Wem oder was sollte er noch glauben? Er drückte sich ganz in seinen Sitz hinein, blickte den schlafenden Zylin gegenüber an und versuchte wie alle etwas Schlaf zu finden, was angesichts seiner aufgeregten Stimmung und der vielen ungeklärten Fragen in seinem Kopf gerade sehr schwer war.

      Es wurde still im vom Autopilot geflogenen Jagdgleiter, nur noch das leise Rauschen des Antriebs und ab und zu ein Schnarchen waren zu hören.

      5 - Mara & Boris - Allein in die Steinberge

      „Und ich sag’s nochmal: Ich find’s nicht gut!“ dabei haute Boris mit seiner geballten Faust auf den Tisch, sodass einem Angst und Bange wurde, denn der Tisch knackte gefährlich unter der Wucht des Faustschlags. „Bscht!“ fauchte Mara zurück und hielt sich den Zeigefinger vor den Mund „Es muss ja nicht gleich jeder wissen, dass ich heute alleine zum Sammeln aufbreche!“

      Mara und Boris standen sich am Küchentisch gegenüber. Boris Me war ein grosser Mann mit bereits ergrauenden Haaren, der es sich, was Essen anging, gut gehen liess, unschwer an seiner gut gepolsterten Figur zu erkennen. Er hatte eine laute, bestimmte Stimme und man sah ihm seine Gutmütigkeit eigentlich schon von weitem an. Trotzdem wirkte er sehr bedrohlich, wenn er wütend war, wie eben jetzt.

      „Ich sollte mitkommen.“ sprach Boris etwas leiser weiter. „Nein“ wieder Mara „ich gehe alleine, wie immer, nach all den Geschehnissen der letzten Tage, brauche ich jetzt eine klitze kleine Auszeit für mich ganz alleine.“ Mara unterstützte ihre Worte indem sie mit dem rechten Daumen und Zeigefinger vor ihren Augen das ‚klitze klein’ als Distanz dazwischen zeigte. „Und...“ sie senkte ihre Hand „...ich muss Steintränen sammeln, weil ich den gesamten Vorrat für deine Rettungsaktion aufgebraucht habe. Ich soll auch Aron und Ilrimi welche mitbringen.“

      Boris wechselte die Taktik, er gab sich jetzt besorgt und meinte „Ich mein ja bloss. Du weißt doch, es sind gefährliche Zeiten und schon viele Steintränen-Sammler sind wie vom Erdboden verschluckt verschwunden. Ich mach mir Sorgen Mara.“ Mara dachte nach „Boris“ fing sie an und fuhr nun ebenso sehr viel verständnisvoller und ruhiger fort „Deine Sorgen in Ehren, ich verstehe deine Besorgnis, aber ich möchte wirklich alleine gehen, ich brauche diese Zeit für mich. Ich bin schon lange kein kleines Mädchen mehr und kann auf mich aufpassen. Du weißt, dass ich das kann. Schliesslich war ich es, die dich...“ das Gespräch wurde abrupt vom ‚KlingelKlingel’ der Apotheken-Ladentür unterbrochen, beide blickten in Richtung Ladeneingang. Doreka, eine ältere Bewohnerin Rupes und gute Bekannte, betrat soeben die Apotheke und winkte den beiden durch die offene Küchentür fröhlich zu „Guten Tag Ihr Lieben“. Sie trat an den Ladentisch und wartete geduldig auf Bedienung.

      Mara und Boris führten nun schon seit Jahren die einzige Apotheke, die es in Rupes, Steinweltens inoffizielle Hauptstadt, je gegeben hatte. Nachdem sich Boris und Mara den Respekt und das Vertrauen der eigenwilligen Rupianer jahrelang erst erarbeiten mussten, war die Apotheke heute ein gern besuchtes Geschäft und Boris Wissen über Heilmittel und Tinkturen ebenso bewundert wie beliebt.

      Die Apotheke befand sich an einer Seitenstrasse. Von dieser gelangte man direkt auf die Hauptstrasse, die über den Marktplatz und quer durch ganz Rupes führte. Boris Haus bestand neben dem Apothekerladen mit kleinem Labor, Lager und dem Wohnteil noch aus 4 Pferdeställen, die um einen kleinen Hinterhof herum platziert waren. Der Hinterhof war über zwei Eingänge erreichbar: eine Tür von der Küche aus und einen eigenen Eingang hinter dem Haus. Es war ein gewöhnliches, traditionelles rupianisches Steinhaus, das schon seit Beginn der Besiedlung von Steinwelten an existierte. Boris hatte es vom vorherigen Apotheker übernehmen können.

      Die ganze Stadt Rupes war überhaupt sehr übersichtlich und zum Teil eng und klein gebaut. Stets lag eine familiäre, freundliche Stimmung in den Strassen. Man kannte sich, alles ging mit einer Ruhe vor sich einher, die jeden Besucher ansteckte. Nur war es schwer, als Fremder überhaupt in die Stadt zu gelangen, geschweige denn Kontakt mit den Rupianiern zu finden, denn Fremden gegenüber waren alle immer erst einmal misstrauisch und unfreundlich. Da verwundert die überdimensional hohe Stadtmauer ohne Tor, welche die Stadt umschliesst nicht. Nur demjenigen, der bei den Stadtwachen bekannt war oder eine Kontaktperson in Rupes als Leumund nennen konnte, war es möglich den unterirdischen, von rupianischen Wachen bewachten Tunnel in die Stadt zu passieren.

      Einzig dort, wo die Stadt an den grossen Grünen See herangebaut worden war, gab es keine Mauer, die Stadt wurde mit einer mitten durch den See laufenden Linie an Wasser-Minen und Wachbooten vor unerwünschtem Besuch geschützt.

      Eine weitere Eigenheit der gesamten Stadt und ihrer Umgebung war der weitgehende Verzicht auf technisches Gerät. Die einzig vorhandene Technik waren die Überwachungsanlagen, die vor allem einen unerwünschten Besuch aus der Luft abzuwehren hatten und ein paar unbedingt notwendige Gerätschaften im Verwaltungsgebäude zur Kommunikation mit Rotsand, der offiziellen Hauptstadt auf der gegenüber liegenden Seeseite. Während die eigenwilligen Steintränensammler in Rupes lebten, war Rotsand der Umschlagplatz der Steintränen, wo sich sämtliche Händler aus dem gesamten bekannten Universum tummelten. Rotsand war das pure Gegenteil von Rupes, aber beide Seiten existieren friedlich neben-, von- und miteinander.

      Weil die Rupianer strikt auf technische Transportmittel verzichten, existiert nur ein offizieller Handelsweg zwischen Rupes und Rotsand: ein Zweitagesritt zu Pferd dem Grünen See entlang, durch den an den See grenzenden Seewald hindurch.

      Und da Mara, im Gegensatz zu Boris, in Rupes aufgewachsen war, gehörte sie genau zu diesen eigenwilligen Sturköpfen. Boris sah ein, dass er sie nicht mehr umstimmen konnte. „Weiber!“ schüttelte er verärgert den Kopf und ging Doreka im Laden bedienen.

      Derweil verliess Mara die zum Laden angrenzende Küche durch die Holztür, die zum Hinterhof führte. Dort warteten bereits ihre Wellenterstute Custa und ein bepacktes braunes Lastenpferd auf sie, denn sie wäre tatsächlich so oder so losgeritten und hatte schon lange alles gepackt. Custa wartete also ganz ungeduldig und scharte heftig im Stroh als sie Mara kommen sah. Aufgeregt nickte sie mit dem Kopf und begrüsste ihre Herrin.

      Die Wakaner hatten die Wellentere mitgebracht. Ein pferdegrosses Reittier mit dem Verhalten eines Hundes. Auf den ersten Blick sah Custa auch aus wie ein Pferd mit weichem Angorafell, nur dass sie anstelle der Hufe vier riesige Pfoten besass.

      Custa wurde damals zusammen mit Mara gefunden und zwischen den beiden entwickelte sich eine unheimliche Bindung. Sie beschützten sich gegenseitig und Custa liess niemanden ausser Mara an sich heran. So erstaunte es nicht, dass Custa zwar einen Sattel trug, aber kein Zaumzeug, sie kommunizierten telepathisch und jeder spürte immer wie es dem anderen ging.

      Gerade als Mara auf Custa losreiten wollte trat Boris in den Hof. „He!“ rief er und Mara drehte sich im Sattel um. Boris lief zu ihr hin „Auf Wiedersehen und pass auf dich auf.“ sagte er. „Natürlich, Boris.“ bestätigte Mara. Boris nickte, klopfte mit der rechten Hand auf Custas Hals und wies Custa an „Dass du mir ja auf sie aufpasst!“ Custa drehte den Kopf zu Boris hin und schleckte seine Wange mit ihrer grossen, sabbernden Zunge ab. „Ähh...! Das ist einfach jedes Mal ecklig.“ war Boris Kommentar dazu. Er stiess Custas Kopf freundschaftlich beiseite und wischte sich mit dem Handrücken den Schleim von der Wange, während Mara herzlich lachte. „Jetzt haut schon ab.“ sagte Boris weiter, gab Custa einen Klapps aufs Hinterteil und lief zurück zur Holztür. Mara ritt los, es war noch früher Vormittag und sie wollte bis zum Eindunkeln in den Steinbergen sein.

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