Der Professor mit dem Katzenfell. Gerd Schuster
selber gleich in mehrfacher Hinsicht segensreich. Vielleicht hörten seine Körperhaare auf, sich von ihm zu verabschieden oder sprossen sogar wieder neu! Da das Patent einer derartigen Glatzenkur unermesslichen Wert besäße, könnte ihn Sammi zum wohlbehaarten Krösus machen!
Schaffte er es dagegen in jahrzehntelanger einsamer Fron, die linguistischen Wurzeln des Sumerischen zu entdecken, würden zwei oder drei Fachzeitschriften Beiträge von ihm erbitten und etwa genau so viele Monatsblätter über ihn schreiben. Es würden auch ein paar lobende Mails oder Briefe von Kollegen eintreffen, die wie er 5000 Jahre alten Staub schluckten. Vielleicht überreichte man ihm sogar einen Preis, den auf der Welt maximal fünfhundert Wissenschaftler kannten, und der statt mit Geld allein mit Ehre dotiert war.
Wenn er weiter die erste Hochsprache der Menschheit, die erstaunlicherweise, wie es schien, mit keiner anderen bekannten Sprache verwandt war, mit Baskisch, Bantu oder Burushaski verglich, würde er – das war schmerzhaft klar – kahl werden wie eine Billardkugel. Aber wollte er das? Nein, nein und nochmals nein!
Die Glatze war nicht tragisch, und die verschwundenen Bein-, Achsel- und Schamhaare sah keiner, oder man hielt ihn für gut rasiert. Aber bei Augenbrauen und Wimpern hörte der Spaß endgültig auf! Je mehr er davon verlor und das Aussehen eines Molches annahm, desto mehr würden seine Lehrveranstaltungen verwaisen, und seine Lieblingsstudentin Mara käme nicht unregelmäßig wie bisher, sondern überhaupt nicht mehr in sein Keilschrift-Hauptseminar, donnerstags um elf Uhr c. t. in Raum 107 im Institut am Allendeplatz 1.
Mit ihr würde er die einzige nicht-akademische Motivation verlieren, in die Hochschule zu pilgern, und seinen einzigen ein wenig lasziven Tagtraum. Wenn er sich nicht mehr auf den Donnerstagmorgen freuen konnte, bot der Job keinen einzigen Lichtblick mehr; denn die einstmals recht große Freude an der Lehre hatten ihm die Kollegen gründlich ausgetrieben. Dann blieben ihm nur Mobbing, Mühsal, Monotonie und Melancholie – eine Misere ohne Ende!
Wer wollte schon einen Dozenten, der aussah, als habe er stundenlang in Natronlauge gelegen? Sollte er seine Brauen aufmalen wie viele Frauen? Nein, erstens konnte er das nicht, und zweitens würde man ihn dann obendrein noch für schwul halten! Beim Hodenbruch des Enmerkar, Meskiaggaschers mißratenem erstgeborenem Sohn! Sein Leben war eine Sackgasse! Es war ein Gefängnis, ein Labyrinth behördengrauer Hochschul-Korridore und mit Keilschrifttafeln vollgepackter Museumskeller, aus dem es kein Entkommen gab.
Nicht einmal, was Katzen anbelangte, war ihm das Schicksal hold gewesen. Erst mit 37 hatte er erkannt, dass es Katzenhalter gab und vom Leben Benachteiligte. Dass Hunde Herrchen hatten, Katzen aber Bedienstete, und dass die geistigen Eigenschaften vieler Haustiere und ihr emotionales Potenzial von der Wissenschaft sträflich unterschätzt wurden.
Hätte er im ersten Semester die Bekanntschaft eines der Schlaf- und Lebenskünstler mit den Schnurrhaaren gemacht, wäre vielleicht alles anders gelaufen.
Aber er war mit Hunden aufgewachsen, Dackeln und einem Schäferhund. Das waren nette und treue Tiere gewesen, die er gern eine Minute hinter den Ohren gekrault hatte, und die manchmal neben ihm auf der Couch gelegen hatten, wenn er als Jugendlicher fernsah. Aber sie waren zu schmutzig gewesen und hatten zu sehr gestunken, um mit ihnen zu schmusen oder sie gar mit ins Bett zu nehmen. Er hatte sie gern gehabt, aber nicht geliebt wie Sammi.
Vielleicht waren die Hunde daran schuld gewesen, dass ihn Zoologie früher nicht gereizt hatte. Aber heute hatte er erkannt, dass es – ganz abgesehen von den möglicherweise lukrativen Geheimnissen seiner Katze – Vorteile für Universitätslehrer haben konnte, wenn ihr Lehrstoff keine 5000 Jahre auf dem Buckel hatte und die Studienobjekte nicht zu Staub zerfallen waren, sondern lebten wie Sammuramat.
Sebastian Schlichtkohl schlug mit größter Vorsicht das dünne Sommer-Federbett zurück. Maximale Behutsamkeit war angesagt; denn wurde die Decke zu rasch aufgeklappt, verstand Sammi das als rüde Aufforderung, das Bett sofort zu räumen und rannte in wilder Wut davon. Dabei trampelte sie nicht selten mit Pfoten, die spitz, eisenhart und bleischwer waren und sich wie die Pfennigabsätze einer dicken Frau anfühlten, über ihn hinweg, bohrte ihm dabei die eine oder andere Kralle ins Fleisch und plumpste wie ein Kartoffelsack auf den Boden.
Wie die kleine Katze es anstellte, sich so schwer zu machen, und wie sie ihre Samtpfoten in stählerne Stößel verwandeln konnte, waren zwei weitere ihrer vielen Geheimnisse.
Sammi tat so, als bemerke sie nicht, dass die Decke gelüftet wurde. Den Professor konnte sie aber nicht täuschen: Schlichtkohl sah, dass sie ihren Rücken mit der beinahe verbissenen Konzentration putzte, die Katzen bei der Fellreinigung besonders dann aufbrachten, wenn sie damit eine Emotion wie Ärger, Unsicherheit oder Scham tarnen wollten.
Sie warf den nach hinten gedrehten Kopf mit Schwung in die Luft, riss mit lautem Schmatzen den Rachen auf und ließ die Zunge auf das Fell niedersausen wie Bauern im Mittelalter ihre Dreschflegel auf angehäufte Getreideähren.
Es sah anstrengend aus, strapaziös für Skelett, Muskeln, Bänder und Sehnen, und war es wohl auch. »Entschuldige, meine Süße!«, sagte Schlichtkohl sanft, »ich wollte dich nicht wecken. Es waren wieder mal deine Kitzelhaare an meiner Nase, weißt du! Du müsstest es ja langsam kennen!«
Sammi unterbrach die Fellpflege einige Sekunden lang und schaute zu Schlichtkohl auf. Ihre wegen des Lampenlichts zu Schlitzen verengten flaschengrünen Augen blitzten ihn verdrießlich an. »Queck!«, sagte sie – und putzte weiter. Es klang tadelnd und gleichzeitig schnippisch. »Queck«, wusste der Professor, war ein Laut mäßigen Grolls, eine Art milden Verweises; ein Katzenwort, das etwa »Unerhört!«, »Muss das sein?« oder »Immer dieser Ärger!« bedeutete. Sammi war nicht wirklich böse, meinte aber, so tun zu müssen.
Wenn sie nicht gerade zusammengerollt auf einem Sessel, seinem Bett oder dem Sofa schlief und keine »Sprechstunde« hatte, antwortete die Katze so gut wie immer, wenn er sie ansprach. Sie war eine kleine Plaudertasche, und das war ein Segen, denn der Kater Utnapischtim – wahrscheinlich lag er unter dem Bett im Gästezimmer und bewachte seinen Hort von Plastiktüten – sagte kein Sterbenswörtchen. Er ließ sich nicht einmal anfassen, und zu sehen bekam man ihn nur zur Fütterung, wenn er Hochsprung und Fliegen übte oder wenn ihn das sehr seltene Gelüst überkam, in einem seiner Aldi- oder Spar-Beutel geschaukelt zu werden. Nach dem, war er durchgemacht hatte, war seine Scheu aber kein Wunder.
Schlichtkohl wartete eine Putzpause ab und streichelte ganz vorsichtig Sammis Bauch. An vorlesungsfreien Tagen sprach manchmal überhaupt niemand mit ihm – von Sammi abgesehen. Busfahrer, Verkäufer und Kassiererinnen, mit denen man aus purer Notwendigkeit Worte wechselte, zählten nicht. Das war, wenn es hoch kam, Informationsaustausch, aber kein Zwiegespräch. Danach sehnte er sich aber wie jeder Mensch.
»Komm, leg dich wieder hin!«, bat Schlichtkohl. »Lass uns weiterschlafen! Ich hab morgen Vormittag ein Seminar.« Er streichelte sanft über Kopf und Rücken der Katze und fasste prompt in ein paar spuckefeuchte Stellen. Aber das störte ihn nicht. Wie konnte man sich vor Katzenspeichel ekeln, wenn er als Putzmittel für derart blütenweiße Pfoten und ein ebensolches Lätzchen sorgte und die Mieze nicht nur säuberte, sondern ihr noch dazu einen Geruch verlieh wie frisch gelüftete Wäsche? Das war noch ein Wunder. Hatte je ein Biochemiker die Enzyme in der Katzenspucke untersucht?
Er drückte sanft auf den seidenweichen Rücken, um seinen Worten Gewicht zu verleihen. Aber das mochte Sammi nicht – natürlich. Zur Abwehr der Bevormundung machte sie einen Buckel, stemmte ihre Beine so steif wie die stählernen Pfeiler einer Bohrinsel ins Laken und starrte ihn tadelnd an.
Schlichtkohl seufzte wieder. Zwar war es sicherlich korrekt, dass es Katzenhalter gab und vom Leben Benachteiligte; aber diese schliefen bestimmt besser. Als Herrchen war man aber den extremen Rhythmen des Katzenschlafes ausgesetzt: Einmal – besonders im Winter – lag Sammi die ganze Nacht wie ein warmes Samtkissen an seinem Bauch. Dann wieder sprang sie schon nach fünf Minuten aus dem Bett, kehrte nach einiger Zeit zurück, piepste um Einlass, stupste ihn mit ihrer feuchten Nase an oder kitzelte ihn mit ihren Schnurrhaaren wach.
Sie schmiegte sich an ihn und erbebte vor Schnurren, machte aber bald den nächsten Ausflug, weil irgendein kätzisches Bedürfnis sie dazu trieb, bat zehn Minuten später piepsend um Öffnung der Decke,