Wie wir aus Stroh Gold machen können. Dr. Hans Rosenkranz
schätzen ihren Wirkungsgrad durchschnittlich bei 40%, den ihrer Mitarbeiter und des gesamten Unternehmens durchschnittlich bei ungefähr 10–20% ein. Wie kann das sein? Wie kommt so eine erschreckend niedrige Nutzungsrate des vorhandenen Potenzials zustande? Liegt es an den gesellschaftlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen? Was geschieht mit den übrigen 60–80% der Ressourcen der Manager und Mitarbeiter – werden sie bewusst zurückgehalten, oder verpuffen sie quasi „nebenbei“ als Reibungsenergie? Sicherlich gibt es hierfür viele Gründe, die bei einer eingehenden Analyse herausgefunden werden können. Ein bestimmender davon ist höchstwahrscheinlich die globale Werteverunsicherung. Rat- und Orientierungslosigkeit machen sich in einer Welt breit, die mehr von Negativität und Konkurrenz als von Vertrauen und Kooperation gekennzeichnet ist.
Führung auf humanistischen Werten begründet, tut in solcher Zeit bitter Not.
Das individuelle Wertesystem ist vergleichbar mit einem Führungskompass – es dient zur Orientierung, wenn Verhaltensentscheidungen zu treffen sind, es hilft die Komplexität zu reduzieren durch digitale Bewertungskategorien wie „gut oder schlecht“, „richtig oder falsch“. Damit Führungskräfte die Komplexität und die Widersprüchlichkeiten ihrer Führungsaufgabe bewältigen können, bedarf es also einer wesentlichen Voraussetzung: eines richtungsweisenden und jederzeit abrufbaren individuellen Wertesystems. Wollen Führungskräfte ihrer führenden Verantwortung gegenüber sich selbst und gegenüber anderen gerecht werden, so müssen sie einen verlässlichen Zugang zu ihrem individuellen Orientierungssystem entwickeln. Ich erlebe Unternehmer und Führungskräfte, die viel Zeit darauf verwenden, einen reflektierten Zugang zu ihren Glaubensüberzeugungen, zu ihren Ziel- und Handlungstheorien und zu ihren bewusst und unbewusst praktizierten Handlungsstrategien zu finden. Selbsterkenntnis und Selbstführung bilden eine gute Basis für Führungskräfte, die eine Rolle im Prozess des Wertewandels übernehmen wollen. So steht es jedem von uns frei, sich selbst und andere mit den eigenen positiven und negativen Emotionen zu konfrontieren und zu prüfen, was sich aus diesem Stehen zum eigenen emotionalen Potenzial ergibt. Ein solcher Versuch basiert auf einer „Habeas Emotum“-Prämisse. Nämlich: „Nütze deine emotionalen Ressourcen, du hast keine anderen“.
Wir haben die Chance durch Persönlichkeits-, Team- und Organisationsentwicklung die bisher wert-„losen“ brachliegenden und auf fast geheimnisvolle Art und Weise zurückgehaltenen Ressourcen wieder aufzuspüren, sie zu aktivieren und in der Zusammenarbeit – schließlich sind wir als soziale Wesen aufeinander angewiesen – zu multiplizieren. Hierin sehe ich eine vornehme Aufgabe von Führung, sich selbst als Führungskraft, die Mitarbeiter und Gruppen, ja sogar das gesamte Unternehmen durch Energieumwandlung zu qualifizieren. Führung findet ihre Berechtigung, wenn durch sie ein energetischer Mehrwert an Leistung und Lebensqualität für Einzelne, Familien, Gruppen und ganze Unternehmen entsteht. Mit allem was wir tun oder lassen treffen wir auch implizit Entscheidungen über die Nutzung unserer Ressourcen und Energien. Deswegen sind Führungskräfte gute oder schlechte Energiemanager.
Im gruppendynamischen Seminar, wenn die Teilnehmer tagelang nach der Lösung von Engpassproblemen gesucht haben, entsteht meist in der Mitte der Veranstaltung ein Bewusstsein dafür, wie durch Denken, Fühlen und Handeln humane Energien verändert und gewandelt werden können. Die Teilnehmer lernen, Ängste, Aggressionen, Resignation, oft auch Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung zu spüren, sie zu erkennen und sie konstruktiv auszudrücken. Sie verbinden ihren Gefühlsausdruck mit konkreten Beobachtungen und lassen sich damit auf einen erstaunlichen Prozess ein. Das, was sie vorher als beängstigend erlebt haben, wird leichter und löst vieles im Aussprechen. Es entsteht ein kathartischer Effekt für den Sender, er befreit sich von seinen negativen Emotionen ohne andere zu verletzen. Der Empfänger erfährt etwas über seine Wirkung, ein erster Schritt zur Autonomie als Kennzeichen von authentischer Führungskompetenz: Sowohl Sender als auch Empfänger lernen durch Tun. Dieser Rückkoppelungsprozess hilft, wenn er gut angeleitet wird, negativ Hemmendes in kreativ Wachsendes umzuwandeln. Negative Widerstandsenergie kann zu Problemlösungsenergie (Rosenkranz, 2006) gewandelt werden.
„Die Basis für Lern- und Veränderungserfolg sind Self-Leadership-Fähigkeiten“, die sich z.B. durch Selbsterinnerungsstrategien erfolgreich qualifizieren lassen (Koch, 2015). Wie dieser soziale Lernprozess – gleichsam aus „Stroh Gold zu machen“ – professionell durch angeleitete Selbsterfahrung unterstützt werden kann, ist Ziel dieser Veröffentlichung.
Bewusst geplantes Werte- und Changemanagement bedeutet, solche Energieumwandlung im Unternehmen und in der Gesellschaft einzuleiten. Führungskräfte können so Manager eines Wertewandels werden.
Veränderung dieser Art kann gelingen, wenn Führungskräfte bereit sind, sich zu allererst mit ihrem eigenen Wertverständnis und ihrer eigenen Philosophie sozialen Handelns auseinander zu setzen und ihre Führungsrolle neu zu definieren. Ihr Selbstverständnis müsste dann nicht nur die Aufgaben- und Expertenrolle und die Rolle des Hüters der Geschäftsordnung umfassen. Wenn Führung sich nur auf Materialistisches und dessen Ausführung konzentriert, so stellt sie sich nicht der eigentlichen Frage ihrer Sinnhaftigkeit und Legitimität. Der Abgleich von Werten mit einem an Menschlichkeit orientierten Leitbild und einer darauf hin abgestimmten Zieltheorie tut Not und gehört zu meinem Verständnis von Führung. Mir schwebt das Leitbild eines ganzheitlichen Energiemanagers vor, der bereit und fähig ist, rationale und emotionale Führung zu lernen und seine Zieltheorie permanent mit seinem praktizierten Führungsverhalten abzugleichen. Alfred Herrhausen, der ehemalige Chef der Deutschen Bank, der zu früh sterben musste, trifft die Quintessenz dieses Gedankens: „Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage.“ (Hambrecht, 2010)
Theorie und Praxis sozialen Handelns
Weißt du, was du denkst, fühlst und tust?
Wollen wir aus der Unmündigkeit des „Nichtwissens was wir wollen und tun“ heraustreten, können wir uns unsere Werte und Glaubensüberzeugungen bewusst machen und uns mit unserer eigenen Theorie und Praxis sozialen Handelns auseinandersetzen.
Vor 40 Jahren erlebte ich bei einem Internship der National Training Laboratories in Bethel/USA eine Methode (Bolman, 1974), die mich mit meinem eigenen Werteverständnis konfrontierte. Ich war so beeindruckt von dieser Erfahrung, dass ich diese Methode weiterentwickelt habe und sie bis heute verwende, besonders bei den Seminaren Konflikt- und Changemanagement.
Dieses Modell geht davon aus, dass wir unsere Grundüberzeugungen und Wertvorstellungen von Annahmen und Hypothesen über uns selbst, über andere und über das Leben ableiten. Daraus entwickeln wir eine Zieltheorie, ein System von zusammenhängenden, manchmal auch konkurrierenden Zielen. In einer Handlungstheorie entwerfen wir einen Plan zur Umsetzung unserer Ziele in die Praxis. Auch wenn es uns nicht bewusst sein mag, richtet sich unser praktisches Verhalten nach dieser individuellen Theorie sozialen Handelns.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich zwischen unseren Zielen und unserem Verhalten Diskrepanzen ergeben. Für achtsame Personen ist es ein lebenslanges Anliegen diese Diskrepanz möglichst klein zu halten.
Mit dem folgenden Schaubild und den im Anhang angefügten Übungen können Sie Ihre eigene Theorie und Strategie sozialen Handelns herausfinden.
Wie finde ich meine eigene Theorie sozialen Handelns?
Zielsystem: Welche Ziele habe ich bewusst aufgestellt? Wie bereit bin ich, meine globalen Ziele zu operationalisieren? Was halte ich von den Menschen, dem Leben, der Liebe, Beziehungen, Konflikten, dem Rauchen, dem Essen…
Wie kommt das in meinen Zielformulierungen zum Ausdruck?
Handlungstheorie: Wie sollte ich aufgrund der ausformulierten Zieltheorie handeln?
Mein tatsächliches