Die Zufluchtsoase. Weise Meise

Die Zufluchtsoase - Weise Meise


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Sache geht«, übernahm die Schwarzhaarige Tatiana Krapp diesen Part. Alle lachten vergnügt und konnten es kaum erwarten, ihre Mission anzutreten. Elisabeth und Kirsten setzten sich in Elisabeths grauen Audi und vertrauten Tati und Tina Kirstens schwarzen BMW an, mit dem sie hinter ihrer neuen Chefin hinterherfuhren. Dieses TnT-Duo war niemand anderes als die beiden Mädels, die noch vor rund zweieinhalb Wochen einen Rachefeldzug gegen den mobilen Pflegedienst führen wollten und sich deshalb auf Elisabeths Balkon abgeseilt hatten. Diese war von ihrem Gerechtigkeitssinn und ihrem Tatendrang so beeindruckt, dass sie die beiden als absolut zuverlässige Charakterperlen kennenlernte, die in ihrem bisherigen Leben jede Menge Pech gehabt hatten. Darum weihte sie dieses TnT-Duo in ihre geheimsten Pläne ein und war ihnen seither eine manchmal strenge, aber immer gerechte Chefin.

      Die vier Abenteurerinnen genossen die Sonne, die vielen verschiedenen Gegenden und die herrlichen Landschaften, die an ihnen vorbeizogen. Sie nutzten die Zeit, wenigstens mit einer von Ihnen über alles Mögliche zu plaudern. »Sag mal, hast du eigentlich schon einen Namen für deine eigene Flüchtlingsunterkunft?«, wollte Kirsten nach langem wissen. »Das wird die Zufluchtsoase!«, antwortete Elisabeth wie aus der Pistole geschossen. Das freudige Funkeln in ihren Augen, vertrieb jede Müdigkeit in ihrem Gesicht. »Bist du sicher, dass ich dich nicht doch noch Ablösen soll?«, sah Kirsten sie prüfend von der Seite an. »Wozu? In knapp zwei Stunden sind wir am Ziel und dann geht's erst richtig los.« Mit einem Schlag war sie wieder hellwach: »Da ist etwas, was ich dir nebst allem anderen noch ganz vergessen habe zu erzählen: Die geheimnisvollen A4-grossen Briefumschläge, die ich in meinem Picknickkorb mitgebracht habe, sind nichts anderes als sogenannte Wettbewerbsumschläge, das Ergebnis meines selbstentwickelten Auswahlkonzeptes.« - »Willst du das Selektionieren nicht lieber den Rechtspopulisten überlassen? Ich dachte du möchtest dich um diejenigen kümmern, die dir das Schicksal zuspielt?«, war Kirsten irritiert. Elisabeth schwieg für einen Augenblick und dachte nach. Sie meinte es mit diesen Flüchtlingen doch genauso gut wie alle anderen. Dass ihr eine ihrer besten Freundinnen Rechtspopulismus vorwirft, nur weil sie implizierte, dass Europa nicht ganz Afrika aufnehmen kann, verletzte sie doch sehr. Und das ohne sie vorher anzuhören! Schliesslich rang sie sich zum Erklären durch. »Ich bin die Allerletzte, die Nazimethoden anwendet. Drum habe ich mir folgendes überlegt, um auf sie zuzugehen: Wir bauen ein Vertrauensverhältnis zu ihnen auf, indem wir sie einerseits auf das verhältnismässig harte Erwerbsleben in der westlichen Hemisphäre vorbereiten und gleichzeitig zu einer warmen, typisch europäischen Mahlzeit einladen. Dazu habe ich folgenden Wettbewerb entworfen. In jedem dieser Briefumschläge befindet sich ein Getreideriegel, ein Kugelschreiber, ein A4-Beilagekarton als Schreibunterlage sowie ein A4 Blatt, das auf der Vorder- und der Rückseite beschriftet ist. Dieses A4 Blatt ist nichts anderes als mein ganz persönlicher Auswahlwettbewerb und trägt deshalb auch die Überschrift ˃Wie ich meiner neuen Heimat diene˂, wo man seine Zukunftspläne und Absichten aufschreiben kann- auf Arabisch, versteht sich. Zuunterst auf dieser Vorderseite ist ein Feld in das man den Vor- und Nachnamen in europäischer Blockschrift reinschreiben kann und ein Feld, in das man einen Identifizierungscode setzt, den man bei der Rangverkündigung am Abend des darauffolgenden Tages nochmals auswendig aufschreiben muss, um sich zu identifizieren. Auf der Rückseite steht, dass es einen Deutsch- und einen Bewerbungskurs zu gewinnen gibt und weshalb ein solcher Bewerbungskurs in der westlichen Hemisphäre sinnvoll ist. Zusätzlich zu diesen Kursen gewinnen die Glücklichen einen Schlafplatz in meiner frischrenovierten Zufluchtsoase. Das ist gewissermassen der Hauptgewinn, von dem sie erst bei der Rangverkündigung erfahren werden.« - »Okay, okay«, meinte Kirsten versöhnlich »ich sehe wie du's gut meinst: Aber wie willst du das ganze logistisch hinkriegen? Wie willst du dafür sorgen, dass die ausgefüllten Wettbewerbe wieder zu dir zurückkommen?«, gähnte sie. »Das steht auf der Rückseite dieses A4Blattes«, fuhr Elisabeth unbeirrt fort »in deren oberen Hälfte sind die Zusatzgewinne, also der Deutsch- und der Bewerbungskurs beschrieben und in der unteren Hälfte gibt es zwei Terminabschnitte, die wir noch handschriftlich ergänzen müssen. Dazu komme ich noch. Also: Der erste Terminabschnitt trägt die Überschrift ˃Abgabetermin˂ und beinhaltet zwei leere Linien, die ich noch situationsgemäss ausfüllen werde. In die erste leere Linie werde ich den Abgabeort aufschreiben und in die nachfolgende zweite Linie den Abgabezeitrahmen. Der Abgabeort wird höchstwahrscheinlich unter einer öffentlichen Uhr in einem Hauptbahnhofgebäude sein und eine Stunde dauern.« Kirsten war vor nervöser Müdigkeit richtig blass um die Nase. Doch Elisabeth war voll in ihrem Element, ihren Auswahlwettbewerb zu erklären. »Analog zum Terminabschnitt ˃Abgabetermin˂ ist dann der letzte Abschnitt namens ˃Rangverkündigungstermin˂ gestaltet. Sobald wir einen Wirt gefunden haben, der uns am Abend des darauffolgenden Tages einen Tisch für vierzehn Personen zur Verfügung stellt, uns ein schlichtes Menu kocht und unser Vorhaben unterstützt, werde ich dessen Adresse in die erste Ortszeile schreiben. Nach der Zeitangabe folgt der Vermerk, dass es bei dieser Rangverkündigung für jede und jeden ein Abendessen gibt: Dies kann eine Riesenpfanne voll Risotto, Ravioli, Spaghetti oder was auch immer am unkompliziertesten zum Zubereiten ist, sein.« Kirsten war gnadenlos ehrlich und schüttelte den Kopf: »Also die auserkorenen Flüchtlinge werden mit Massenunterkunftsnahrung in einem à la carte-Ambiente beglückt. Das ist ziemlich frustrierend, anderen bei der Essensauslese zuzusehen. Mal ganz abgesehen von der Weinauslese.« Elisabeth dachte nach, ob sie noch sonst irgendeine positive Besonderheit an ihrem Auswahlwettbewerb hervorheben konnte. »Nun, vielleicht hast du Recht und wir können den glücklich auserkorenen auch einfach Pizza bestellen und die Rangverkündigung unter freiem Himmel durchführen. Bevor ich es vergesse: In der oberen Hälfte der zweiten Seite steht ganz explizit, dass nur zehn solche Umschläge verteilt wurden und von diesen die drei besten Aufsätze von Frauen und die drei besten Aufsätze von Männern ausgesucht werden.« Zu Elisabeths Erstaunen hörte Kirsten immer noch aufmerksam zu und schlief noch nicht auf dem kuschligen Beifahrersitz. Sie nickte und schien stattdessen nachzudenken. »Ich wusste gar nicht, dass du Arabisch kannst!«, nahm sie den Gesprächsfaden nach einer ganzen Weile wieder auf. »Den Wunsch jemanden zuerst kennen zu lernen, bevor man ihn in sein frischrenoviertes Haus einziehen lässt, kann ich ja bestens nachvollziehen«, versuchte sie, dieses nervige Rekrutierungsverfahren zu verhindern. »Aber findest du dies nicht grundsätzlich eine Menge Arbeit, die wir uns sparen können? Ich meine, ein Vertrauensverhältnis kann man doch auch nur bei einem von den Flüchtlingen selbst ausgesuchten Nachtessen in einem gemütlichen Restaurant aufbauen. Ich bin sicher, dass zwei Dreigangmenus mehr bringen als zehn trostlose ˃Eingänger˂. Das wird sie an die aktuelle Flüchtlingsunterkunft erinnern, wodurch sie sich vielleicht sogar verarscht fühlen könnten.« Sie machte eine Pause und überlegte fieberhaft, wie sie ihrer Freundin diese Schnapsidee ausreden konnte. »Ausserdem bietet das den frisch Angekommenen doch eine angenehme Englisch- oder je nachdem sogar eine angenehme Deutschübung.« - »Ich weiss, dass sich das vielleicht brutal und etwas verrückt anhört:«, erklärte sich Elisabeth weiter. »Aber ich möchte den bildungsfernen Kriegsflüchtlingen, den Vorzug geben; denn diese hatten aufgrund des plötzlichen Bürgerkriegs wahrscheinlich noch nicht die Gelegenheit, sich aus der Armut zu befreien, um Fremdsprachen zu lernen. Wenn ich meinen Wettbewerb auf Spanisch, Englisch oder gar auf Deutsch durchführe riskiere ich, hauptsächlich Wirtschaftsflüchtlinge mitzunehmen, die vielleicht gar keine Kriegsflüchtlinge sind.« Kirsten schüttelte entnervt den Kopf: »Als ob das eine Rolle spielt! Halt sofort an! Wir haben einiges zu klären!« Mit betonter Gelassenheit parkte Elisabeth ihren Audi am Strassenrand. »Um auf deine Frage zurückzukommen«, fuhr Elisabeth fort. »Ich selbst kann kein Arabisch. Ich kenne jedoch jemanden, der Inhaber einer Übersetzungsagentur ist und dies für mich erledigt- das Übersetzten und Auswerten dieses Wettbewerbes, meine ich.« - »Ist alles in Ordnung bei Euch? Ist doch noch jemandem übel geworden?«, meinte Tina besorgt, als sich mit Tati dazugesellte. »Wir haben nur Gesprächsbedarf, das ist alles. Ich und Lis müssen überprüfen, ob wir dieselbe Philosophie in dieser Mission haben: Sie will ihren Wohnraum lieber verlosen und das Geld unter anderem für einen Übersetzer ausgeben, anstatt einfach diejenigen aufzunehmen, die uns das Schicksal zuspielt«, schnaubte Kirsten. Tati und Tina tauschten einen ratlosen Blick. »Ganz ehrlich, Leute: Ich bin so ziemlich irritiert: Wusstet ihr von ihrem Selektionswettbewerb?« Die beiden nickten und sahen hilflos zu ihrer lächelnden Chefin rüber. »Ein Wettbewerb zu veranstalten, um sie auf den Leistungsdruck im Westen vorzubereiten, kann ich an sich nachvollziehen. Aber müsste der Gewinn eines solchen Wettbewerbes nicht das ganze frisch renovierte Haus sein?« - »Nein«, begann Tati


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