Die Entführung der MS Hansa Stavanger. Frederik Euskirchen
ich aus dem Fenster nach dem Skiff schaue, das sich fast schon querab befindet, sehe ich noch, dass einer der Piraten uns mit einer Handbewegung zum Stoppen auffordert. Kurz, nachdem ich mich abwende, höre ich den 1. Offizier meine Befürchtungen bestätigen – sie feuern mit einer RPG. Einen knappen Moment später kann man den Einschlag hören, es war an der Steuerbordseite zwei Decks unter der Brücke, der Feueralarm ertönt umgehend.
Dem Raketenbeschuss folgen noch Schnellfeuersalven. Während ich noch das Telefon in der Hand habe und mich, soweit das Kabel es zulässt, möglichst weit in Richtung Brückenmitte auf den Boden lege, hat sich auch der Rest der Brückenmannschaft auf den Boden geworfen. Immerhin wird mit den AKs auch in Richtung Brücke gefeuert. Schon während der Warnung des 1. Offiziers suchen wir Deckung, wobei das Ruder nicht besetzt ist. Das Schiff nun einfach weiterfahren zu lassen, würde es den Piraten zu einfach machen, mit ihrem bevorstehenden Boardingversuch.
Daher melde ich mich kurz von UKMTO ab und verlasse die Kommunikationsecke, um das Ruder zunächst auf Knien nach Steuerbord zu legen und das nötige Manöver selber durchzuführen.
Dabei ist es allerdings nötig, das Skiff zu sehen. Ich stehe auf. Da ich von meinem Standpunkt das Skiff nicht mehr sehen konnte, wusste ich, dass sie weit genug vorne sind, um das empfohlene Hart-Steuerbord-Manöver durchzuführen. Sinn ist es, das Skiff abzudrängen. Hätten sie also weiter hinten am Heck angegriffen, hätte ich das Ruder in die andere Richtung legen müssen.
Die Position des Skiffs ungefähr im Auge zu behalten ist daher sehr wichtig.
Dieser Angriff wird letztendlich abgebrochen, wir lassen das Schiff ausdrehen und fahren weiter, in der Hoffnung, dass sie aufgeben. Auch der Offizier von UKMTO gratuliert schon: ”Yeah, well done! Great! Taff man!”
Doch kurze Zeit später folgt schon die zweite Attacke, welche von Backbord kommt, ungefähr innerhalb von fünf Minuten nach dem ersten Angriff. In der kurzen Zeit hat sich durch den Raketeneinschlag in der Kapitänskammer schon ein Feuer entwickelt.
Deshalb werden zwischen beiden Attacken unser Rudergänger Jack und Vlad zum Feuer runtergeschickt, um ggf. zu löschen (unwahrscheinlich bei den hohen Temperaturen), zumindest den Verschlusszustand herzustellen und um unsere Pässe, Zertifikate zu holen.
Zum Glück war keiner mehr unten, als die Piraten sich zu ihrem zweiten Versuch an Backbordseite querab näherten, denn auch hier wurden wir wieder mit dem RPG beschossen. Diesmal schlug es ebenfalls nur zwei Decks unter der Brücke ein. Die Nachbarkammer vom Kapitän, ein Brand entsteht jedoch nicht.
Diesen Angriff können wir mit einer Wende nach backbord auf das Skiff hinzu abwehren. Wieder fielen die Piraten ab und blieben längere Zeit achteraus.
Die Anweisungen und Hilfestellungen des UKMTO sind zum Glück sehr klar und doch detailliert genug, sodass sie uns tatsächlich in der Situation weiterhelfen. Sie sind ein guter Gegenpol zu unserem Kapitän, der leider keine großen Anweisungen gibt. Die Anweisungen, die ich von dem UKMTO erhalte, sagt er einfach weiter. Das sorgt nicht nur einmal für Verwirrung, es sind Hilfestellungen, die er von mir weitergesagt bekommt und auf unsere Situation zuschneiden soll. Aber nein, wenn ich sage “sobald sie querab sind, sollen wir hart rüber“ kommt von ihm die Anweisung an Jack “Hard a port”. Viel zu früh. “No. Continue the Zick Zack” kommt von mir. “Wenn sie querab sind, Herr Kapitän, dann können wir rüber” “Ja musst Du sagen!”….
Vlad und ich hätten uns ein wenig mehr Koordination von unserem Vorgesetzten erwartet. Mehrmals schauen wir uns mit hochgezogenen Augenbrauen kurz an. Anstatt klarer Anweisungen kommt nur das plumpe Wiederholen von bereits Gesagtem oder unwahre Hiobsbotschaften wie: “Oh nein, sind die schon an Bord, ach du Scheiße. Nein, nein doch nicht, ist ok, fahren wir weiter.”
Jeder im Team kennt seine Aufgabe und führt diese auch mit Bedacht aus. Wieso kann er nicht irgendwo stehen, die Informationen empfangen, die Situation beurteilen und seine Entscheidung treffen.
Mit dem Rumgelaufe und immer was anderes Getue stört er uns fast schon.
Ich bin froh, dass Vlad und Jack mit oben sind. Sie begreifen die Situation und vor allem die Prozedur, die uns UKMTO versucht zu vermitteln.
Nach der zweiten missglückten Attacke fällt das Skiff weit zurück.
Zunächst denke ich, sie hätten keinen Sprit mehr, allerdings stecken sie lediglich die Tanks um. Wir rufen schon vor Freude, dass wir es geschafft haben, genau wie UKMTO auch wieder mitjubelt und sich ebenfalls wieder zu früh freut. Rasch nehmen sie wieder Fahrt auf.
Auch wenn es nur eine kleine Distanz zwischen uns geschaffen hat, ich sage UKMTO, dass ich im Moment erst mal genug weiß und ich auch noch die Reederei anrufen muss.
Es wird nicht lange dauern und ich sage, dass ich zurückrufe.
Auf unserer 24 h-Hotline in der Reederei meldet sich sofort jemand, den Namen verstehe ich nicht ganz, aber ich meine es ist einer unserer Inspektoren. Ich sage, wer ich bin, auf welchem Schiff ich bin und dass wir unter Piratenattacke sind. “Ok, verstanden, wir melden uns wenn wir noch was brauchen.” Ein bisschen verwirrt bin ich schon von der knappen Antwort, aber man geht anscheinend davon aus, dass wir schon gefangen sind und ein Unterhändler oder Pirat neben uns steht, denn sicherlich ist schon der Alarm unseres SSAS in Hamburg eingegangen. Man hat sich wohl schon auf die Verhandlungen eingestellt, was das bedeutet, kann ich zu der Zeit noch nicht verstehen, ich war erst mal verwundert über die knappe Antwort.
Egal, wir müssen uns jetzt konzentrieren, denn schon unmittelbar nach meinem Anruf beginnen die Piraten ihre dritte Attacke.
Diese erfolgte wieder von steuerbord, ungefähr zehn Minuten nach dem letzten Angriff.
Ich komme wieder mit UKMTO in Kontakt.
Während ich die Situation erläutere, kommt es erneut zu einem Beschuss mit RPG, allerdings ohne Treffer. Das Geschoss verfehlte die Brücke nur knapp und flog über die Aufbauten hinweg. Ob sie tatsächlich in die Brücke schießen wollten, weiß ich nicht, immerhin explodieren die Geschosse nach ca. vier Sekunden, vielleicht wollen sie uns mit einer Explosion über unseren Köpfen nur einschüchtern.
Das Skiff versucht, wieder an der gleichen Stelle steuerbords längsseits zu gehen.
Jack ist kurz noch mal unten beim Feuer und durch den erneuten Beschuss ist er im Moment nicht am Ruder.
Da es der Zeitpunkt zum Beidrehen ist, melde ich mich vom Telefon ab und gehe ans Ruder.
Wie zuvor auch versuche ich, mit einem Steuerbord-Manöver das Skiff abzudrängen.
Der Kapitän steht derweilen näher am Brückenfenster und gibt plötzlich die Anweisung, das Ruder nach Backbord zu legen. Zunächst ging ich davon aus, die Piraten versuchen erneut die Seite zu wechseln, allerdings wäre dies in so kurzer Zeit nicht möglich gewesen.
Da hat der Kapitän schon ins Ruder gegriffen, nach backbord gedrückt und sich sogar draufgestützt.
Wie er mir später erklärt, habe er versuchen wollen, damit die Bordwand zu erhöhen.
Doch erstens dauert dieser Vorgang etwas und zweitens verliert das Schiff damit seine Momente zu dem Skiff hin, dessen Besatzung es nun erleichtert wird zu boarden.
Was nun auch passiert ist.
Ich überlasse das Ruder und gehe zurück auf meine Station. Kurze Zeit später kann Vlad das Ruder wieder übernehmen und der Kapitän steht am Fenster … “Sie sind an Bord!”
“Wirklich? Sehen Sie es? Steht jemand an Deck?”, frage ich.
“Ja, ja, sind an Bord, sind an Bord!”
Ich gebe es niedergeschlagen an den UKMTO-Offizier wieder.
Er ist sichtlich enttäuscht und zum ersten Mal wird mir klar, dass auch er wirklich mitgefiebert und -gehofft hat. “FUCK! Oh no, I am sorry! You did well, man. I am sorry for you. All the best, good luck!”
Das gleiche denke ich