Skyline Deluxe. Marianne Le Soleil Levant

Skyline Deluxe - Marianne Le Soleil Levant


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so zweckgebun­denen, wie durch Smogerosion verwitterten Zweistöckern einfach­ster Art und Weise mit Standardfenstern und Blechdächern, und darüber seine Gedanken schweifen zu lassen, kam er immer wieder auf das anwesende Publikum zurück. Hier tauchten natürlich alle Sorten menschlicher Besucher auf. Unrasierte Einzelgänger, welchen die vergangene Nacht und sehr wahrscheinlich auch die vorangegangenen in Gesicht und Haltung zum Ausdruck verhalfen, schienen es hier eilig zu haben, wieder woanders hinzukommen, nicht ohne irgendwie trotzdem die selbstverständlich kostenfrei zur Verfügung stehende, englische Presse in Anspruch genommen zu haben. Man fragte sich, wozu dieser, offensichtlich durch sein schulterfreies Trägershirt und die kurzen Hosen, deren Musterung sie eindeutig als aus dem Fundus des Touristenmarktes stammend, und ihn selbst damit ziemlich sicher als solchen auswiesen, eine zwar unter Seinesgleichen gängige, aber der exklusiven Umgebung entgegen eine Unansehnlichkeit bot, in seinem genusssüchtigen Trieb die dahingehenden Möglichkeiten der Stadt auszunutzen, die neuesten Meldungen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Politik kennen wollte. Für eine Rasur nahm er sich offenbar schon länger nicht die Zeit. Die Zeitung zurücklassend war er bereits nach weniger als 20 Minuten wieder verschwunden. In etwa ähnlich gering energetischer Körperbeugung, wie er erschienen war. Nur irgendwie schneller in der Bewegung. Nicht sehr schnell.

      Irgendwie war das Hotel voller Japaner.

      Tom war das schon am Nachmittag aufgefallen. Alte, Junge, Familien, mehrere Generationen groß, Männergruppen, nicht nur japanische. Ein paar Deutsche. Ehepaare, mit und ohne Kind. Gemeinsam reisende Frauen. Das waren oft Deutsche.

      Darunter eine Dreiergruppe, die ausführlich die Tagesplanung im Sinne eines sogenannten Pool-Tages diskutierte.

      In fast klischeehafter Gründlichkeit musste anscheinend bei Deutschen auch diese Entspannungsperiode gut vorbereitet und einvernehmlich abgesprochen sein. Durchgesprochen.

      Wie sollte man auch das Herumliegen am Pool quasi planlos dem Zufall überlassen?

      Es stellte sich heraus, dass der weibliche Generalstab allen Grund hatte, die Sache nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, da es sich offenbar um den Abreisetag handelte und man damit natürlich Vorsicht walten lassen müsse, den Blick auf die Uhr nicht aus den Augen zu verlieren. Jedenfalls wolle man sich keinem weiteren Stress oder Zeitdruck hingeben, sondern nun dem Ende der Reise entgegen abschalten. Eben deshalb wollte man die verbleibende Zeit, genauer gesagt deren Nutzung, bestens eingeteilt haben.

      Der wahrnehmbare Organisationseifer der Damen untermauerte die Überzeugungskraft des Ansinnens in Toms Verständnis nicht. Wenn er dabei an die entspannte Gelassenheit der Thai sogar während konkret gerichteter Tätigkeiten dachte, schien ihm der vergleichsweise angestrengte Perfektionswillen der drei Mädchen allein in der reinen Planungsphase leicht überzogen. Dabei kam der bei Frauenfreundinnen immer wieder aufkommende, unbedingte Wunsch hinzu, eine irgendwie demokratiesinnige Vollkommenheit im Übereinkommen aller abgestimmten Verlaufsereignisse her­stellen zu müssen. Eine spätere Abweichung davon schien kaum vorstellbar. Sicher nicht ohne neuerlichen Disput mit abschlie­ßendem Votum. Einmal blickten sie konspirativ zu Tom herüber. Vielleicht hatte er zu unvorsichtig oft auf sie gestarrt und ließ sie eventuell vermuten, er hätte Interesse an ihrem Gespräch. Sie konnten nicht wissen, dass er Deutsch verstand. Sie dachten wohl eher, er hinge typisch männlichen Wunschvorstellungen angesichts dreier Frauen nach. Zu oft mussten sie das auf ihrer Reise bei anderen allein reisenden Männern erlebt haben. Tom hielt allesamt für nicht sonderlich attraktiv und bemühte sich um einen ungerühr­ten Gesichtsausdruck. Ausdrücklich ungerührt. Darüber verging deren Verdacht etwas irritiert. Womöglich verspürten sie durch seine zu betonte Abwendung als Indiz seinen Spott über das tatsächlich belauschte Gespräch. Ihm war es nicht wichtig, was sie dachten.

      Eine Gruppe arabisch wirkender junger Männer. Unangemessen wieder die Trägershirts und kurzen Hosen. Waren das nicht Moslems? Kleidete man sich als solcher nicht züchtiger?

      An anderen Tischen bequem, aber standesgemäß gekleidete Europäerinnen. Eher wohlhabend. Die Geschäftsleute waren wohl schon weg. So früh stand Tom nicht auf.

      Zwei junge Japanerinnen in Shorts hüpften zum Tisch ihrer deutlich älteren Verwandten, vielleicht Eltern und einem jungen, der ihr Bruder zu sein schien. Sehr fröhlich machten sie sich sogleich auf den Weg zum Buffet und kamen mit aufgetürmten Tellern zurück. Auffällig waren die wirklich echt zu kurzen Hot-Pants und unter den engen T-Shirts fehlenden BHs. Für hiesige Verhältnisse und vielleicht überhaupt eine zu billige Optik. Tom hatte nichts dagegen und da es sich nicht um Thai handelte, fand auch hier die sprichwörtliche Toleranz Anwendung. Wen interessierte schon, wie japanische Mädchen herumliefen. Sie waren ja in Obhut der Verwandtschaft. Bald schon entfloh die Bagage gemeinsam an den Pool und machte Digitalfotos von sich in den Stühlen. Der alte Herr streng blickend, kicherten die Mädchen in den Shorts dafür ständig. Die Dame mit fürsorglichem Blick um alles bemüht, die erfreuliche Situation zu bewahren, und der Sohn aufrichtig eifrig dem folgend.

      Tom holte sich jetzt auch eine Zeitung. Schon der Comics wegen.

      Obwohl er beim Betreten des Restaurants die gefalteten Zeitungen im Tresen der Empfangsdame wahrgenommen hatte, fragte er nun blöd, ob es eine Zeitung gäbe. Er hatte einfach vergessen, wo sie waren. Das angenehme Fräulein lächelte über seine leichte, Tageszeit bedingte, geistige Unpässlichkeit, die ihr nur zu bewusst war und gab ihm mit einer dezenten Kopfbewegung einen kollegialen Wink zur Auffrischung seines Gedächtnisses. Da fiel es ihm auch gleich wieder ein und es war ihm etwas unangenehm, ertappt worden zu sein. Natürlich durfte sich die jüngere Hotelangestellte keineswegs ein Urteil oder Bewertung des älteren Gastes erlauben. Ein kurzer Blick der neuerlichen Verständigung zwischen den beiden sagte ihm schnell, wie wohlwollend das Personal seine Pflichten, eben mögliche Fehlleistungen der Gäste auszugleichen und für deren absolutes Wohlbefinden zu sorgen, dabei so professionell zu sein, die Kleinigkeiten auch sofort wieder zu vergessen und sich weiter den angenehmen Seiten des Lebens zuzuwenden. Ihre Reaktion einer dem Anlass entsprechend kaum wahrnehmbaren Kenntnisnahme seines anfragenden Blickes, ob er sich doch derlei geringen Irrtum ohne Hohn fürchten zu müssen, erlauben dürfe, wobei er sich gerne für den unnötigen Aufwand seiner kleinen Dummheit entschuldige, folgte die deutliche Wiederaufnahme des Gespräches mit ihrer Kollegin in eifrigem Ton, was eindeutig bestätigte, die amüsante Bagatelle sei durchaus in seinem Sinne bereits vergessen, besser übersehen und liebens­würdig als Zeichen seiner Liebenswürdigkeit verbucht worden.

      Diese Kommunikation lief in Sekunden ab und basierte einerseits auf den in diesem Land bekannten Konventionen über menschliche Eigenschaften und deren bestmögliche Behandlung sowie vielmehr über ein wirklich gesundes, nonverbales Verständnis zwischen den Menschen, das gerade in dieser Klasse und ihrer bewusst angenehmen, sanften, bedrohungsfreien, freundlichen, ruhigen, von Stressreizen freigehaltenen Atmosphäre herrschte. Man unterstellte einfach keine bösen Absichten und fand dann einig zu klarer Sicht der Dinge. Tom liebte es, in einer Position unantastbarer Anerkenn­tnis, bei mitfühlender Akzeptanz seiner Schwächen zu agieren und gestand dies allen anderen nur allzu gerne zu. Das war so komfor­tabel und begründete wiederum diese wunderbare Atmosphäre frei von unerwarteten Schrecken, wegen umfassendem Verständnis und Konsenswillen auf Basis einer gegenseitigen Gelassenheit, dem anderen seine Freiheit zu gewähren. Jegliche Furcht schwand dahin, denn wenn man sicher sein konnte, dass alle oder nur die meisten mitmachten, würde alles trotzdem auftauchende Übel letztlich ver­schwinden. Bis dahin war man schließlich in der Überzahl.

      So sah die Lösung wohl aus.

      Das Ereignis hatte sein Bewusstsein über die eigentypische Morgentrance wiedererweckt. Vorsichtig kehrte er mit seiner Zeitung an den Tisch zurück und versuchte, beim Niedersetzen nicht daran zu stoßen, damit nicht auch noch Kaffee verschüttet würde. Jetzt wirkte er wieder ein wenig zwangsneurotisch bei der Neuausrichtung seiner Frühstücksgeschirre. Schließlich brauchte er Platz für die Zeitung. Wahrscheinlich war das alles ganz normal, nur dass Tom sich ein bisschen beobachtet fühlte. Er schloss unbewusst von seiner Beobachtungsneugier darauf. Dabei wollte er einerseits nicht auffallen und andererseits standesgemäß wirken. Er war einfach ein bisschen unsicher. Das lag an der Morgentrance. Der Kaffee wirkte noch nicht richtig. Letztlich schwankte sein Zustand zwischen einem sehr souveränen Genuss sich in diesem Oberklasse-Rahmen


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