Pfad des Feuers. Alexander Mosca Spatz

Pfad des Feuers - Alexander Mosca Spatz


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sich unter die wundervollen Prachtbauten des Erzbischofs, dessen Residenz im Herzen der Altstadt thronte. In der Altstadt stand die große Universität, der ganze Stolz des Reiches.

      Vom ganzen Kontinent her kamen die Bewerber für einen Studienplatz und es wurde alles getan, um dort aufgenommen zu werden. Mit einem erfolgreichen Abschluss in der Universität von Moréngard konnte man beinahe alles erreichen – egal in welchem Land.

      Die Altstadt war daher das Zentrum des Wissens und der Geistes – und Naturwissenschaften der Stadt. Studenten standen an den schönen Straßen, gaben ihre lyrischen Werke zum Besten und hofften auf positive Resonanz beim Publikum, Sänger und Barden zogen durch die Gassen und gaben bereitwillig Vorstellungen, Priester und Erfinder erprobten auf den Plätzen ihre neusten Erfindungen und stellten diese zur Schau.

      Nur die reichen und gebildeten Leute fanden ein Einlass in die Altstadt und nur die Besten unter ihnen bekamen eine Chance, sich ihren Traum zu erfüllen. Die allgemeine Bildung unterlag laut eines Edikts des Letzten Herrschers den Priestern, die die Kinder Moréngards Lesen und Schreiben, Rechnen und logisches Denken lehrten. Jedoch war die Schule all jenen vorbehalten, die diese auch bezahlen konnten und so kam es, dass die meisten Einwohner der Unterstadt ihre Kinder lieber bei sich behielten und sie in einen Beruf einführten, anstatt es erst auf die Schule zu schicken.

      Im Süden der Stadt lag eines der größten Viertel der Stadt, laut der Adeligen der Schandfleck ihres schönen Moréngards: das Hafenviertel.

      Riesige Gebäude aus Holz, erbaut von einer Rasse vor den Menschen, streckten ihre Spitzen Richtung Himmel aus, alle untereinander verbunden durch Vordächer auf jeder Etage. Tief unten im unendlichen Labyrinth der Hafenstadt gab es daher selbst an sonnigen Tagen kein Licht und Fackeln waren verboten, da ein Funke an der richtigen Stelle genügen würde, um die gesamte Hafenstadt in Flammen aufgehen zu lassen.

      In der Hafenstadt lebten die Menschen, die nichts hatten. Bettler und Kranke verzogen sich zu den Docks und versuchten dort von einem Kapitän als Arbeiter genommen zu werden, doch die meisten zogen im Alter dorthin, um zu sterben oder sich zu verstecken.

      Kaum jemand der Garnison, geschweige denn Paladine, verirrten sich in die Hafenstadt.

      In den dunklen Gassen des Labyrinths waren schon viele Leute einfach verloren gegangen und nie wieder aufgetaucht und jemand, der nicht dort aufgewachsen war, der hatte keine Chance, den Weg wieder zurückzufinden; es gab nur eine große Straße in der Hafenstadt, die direkt zu den Docks führte, die Portamaris. Durch ein großes Tor, das die Hafenstadt von den anderen Vierteln der Stadt trennte, kamen die Händler und Handwerker der anderen Viertel, um ihre Waren auf die Schiffe zu schaffen. Billige Bordelle und Spelunken, in denen man Söldner anheuern konnte, reihten sich in das Straßenbild und jeder Verbrecher Moréngards hatte dort mindestens einen Unterschlupf. Die Namen – und Gesetzlosen verkrochen sich hierher, um ungestört ihren Tagewerken nachzugehen, in der Hoffnung jemanden zu finden, der genug bei sich hatte, um sich von dem Raub wenigstens einen Laib Brot zu kaufen.

      Da keine gesetzliche Macht in der Hafenstadt vorhanden war, sorgten die Söldner des Händlerkönigs für die nötige Ruhe. Savaron, der reichste Mann Ascéntas, regierte praktisch das Hafenviertel und organisierte von seinem Hausschiff aus die Geschäfte seiner Untergebenen.

      Die grobschlächtigen Söldner des Händlerkönigs waren mehr Schläger als wirklich Ordnungskräfte oder Soldaten und sie hielten sich auch vorwiegend auf der Portamaris und den Docks auf, wo der eigentliche Handel ablief. Fernab der Docks und der Anlegestellen versank die Hafenstadt jedoch im Dunkeln der Gesetzlosigkeit und jeder war auf sich alleine gestellt. Es war ein schrecklicher Ort voller Gefahren und Krankheiten und jeder, der mundtot gemacht, aber nicht getötet werden durfte, wurde einfach in die Hafenstadt deportiert … dort erledigte sich das Problem meist von allein.

      Ein großer Fluss durchtrennte Moréngard genau in der Mitte, fuhr zwischen die Viertel wie eine Klinge und trennte damit streng Reich von Arm, da er zwischen Unterstadt und Oberstadt entlang floss und das Hafenviertel in eine kleine Insel verwandelte, die durch Mauern und Tore von den anderen Vierteln isoliert war. Dank der Kanalisation, die sich unter der gesamten Stadt hindurchzog, brachen nur selten Krankheiten und Seuchen aus und man munkelte, unter der Kanalisation gäbe es Katakomben, deren Eingänge der Orden sorgfältig verschlossen hielt.

      In der Mitte der Stadt, umgeben von den reißenden Wassern des Flusses stand die Festung des Ordens, das Haus des Letzten Herrschers. Majestätische Hallen und Türme ragten dort aus der Erde, reckten sich gen Himmel und die Gebäude der Festung überragten jedes andere Gebäude in der Stadt, selbst die Hochhäuser des Hafenviertels. Goldene Kuppeln bildeten die Dächer der Tanzsäle der Ordensfestung, mit Silber bekleidete Wälle und mit dem Symbol des Ordensdrachens bestückte Fahnen erhoben sich in die Höhe.

      Ein stetiger Fluss von Schiffen brachte Vorräte und Waffen in die Festung, damit diese selbst während einer Zeit der Belagerung lange standhalten könnte, bis Verstärkung eintraf. Die Festung war das Heiligtum der Stadt und symbolisierte all das, was die Pracht von Moréngard ausmachte. Die Festung war das Herz der Stadt und des Reiches zugleich; hier wurden die Gesetze ihres Gottes gemacht, hier wurden die Befehle ausgesprochen, die das Leben der gewöhnlichen Bürger bestimmten. Der Gilderat, der alle vier Jahre durch das Volk gewählt wurde, hatte etwas Einfluss auf die Gesetzgebung, jedoch konnte der Letzte Herrscher jeden Gesetzesvorschlag ablehnen und selbst über den Protest des Gilderats hinweg einen Entschluss fällen – der Gilderat war mehr eine Institution der kleinen Probleme, denn wirklich mitbestimmend für das Schicksal des Reiches. Es war eine schöne Fassade, die Illusion der Freiheit, die der Letzte Herrscher dem gemeinen Volk ließ, während er in Wirklichkeit alle Fäden zur Bestimmung neuer Gesetze in der Hand hielt und nicht zögerte, diese auch zu verwenden – und das würde sich nie wieder ändern.

      Der Letzte Herrscher und seine Macht waren ewig, für alle Zeit. Sich Hoffnung auf eine Änderung zu machen, würde nur unweigerlich dazu führen, dass die Exekutoren einen holten.

      Gedankenverloren kämmte Luciana sich die langen blonden Haare.

      Sie lächelte in den Spiegel und ignorierte das Geschrei einer Frau draußen auf der Straße; es geschah öfter, dass das benachbarte Ehepaar in Streit auseinander ging und einmal waren sogar die Wachen der Gilde angerückt, um die Situation zu beruhigen. Luciana hatte Mitleid mit der Frau.

      Ihr Mann betrog sie bei jeder Gelegenheit und sie konnte sich nicht von ihm trennen, da sie sonst als Prostituierte arbeiten müsste, wollte sie auf den Straßen überleben.

      Noch ein Grund mehr, mich niemals an einen Mann zu binden. Bisher haben sie mich alle sitzen lassen, wenn ich sie gebraucht hätte … warum sollte sich das jemals ändern?

      Sie legte ein schlichtes schwarzes Abendkleid an; auf Schmuck verzichtete sie gänzlich.

      Weder war sie zu einem Abendessen verabredet noch waren Schmuckstücke in einem Handgemenge sonderlich praktisch. Das war das erste, was man ihr während der Ausbildung zur Gardistin beigebracht hatte. Je weniger Last der Körper zu tragen hatte, desto besser.

      Zwar hatte sie ein Treffen mit einem General des Ordens, aber bis zur Taverne 'Zur Silberklinge' war es ein weiter Weg und da konnte allerhand passieren – auch wenn sie von einer Kutsche dorthin gebracht würde.

      „Luciana!“, rief jemand von unten und Luciana hielt inne, der Kamm in ihrer Hand erstarrte und sie legte ihn vorsichtig nieder. Normalerweise rief ihre Stiefschwester Alicia sie nicht, sondern kam immer zu ihr hinauf. Meistens bedeutete ihr Ruf, dass etwas geschehen war …

      Alicia und sie schlugen sich seit acht Jahren alleine durch; seit ihre Zieh – und Alicias leibliche Eltern bei einem Unfall gestorben waren. Luciana fuhr in Gedanken über die kleine Narbe an ihrem Arm, die geblieben war, als man sie aus den Trümmern ihres alten Elternhauses gezogen hatte, rußverschmiert und halb tot. Alicia hatte ebenfalls überlebt – ihre Zieheltern nicht.

      Jegliche Erinnerungen an jene Nacht hatten sie erfolgreich verdrängt und wenn Luciana versuchte, sich zu erinnern, sah sie nur noch Flammen und hörte den Schrei ihrer Ziehmutter.

      'Kontrolliere es!', hallte der Ruf ihrer Mutter


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