Mausetot auf hoher See. Inge Hirschmann

Mausetot auf hoher See - Inge Hirschmann


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Papiere brauchte, musste man nehmen, was gerade im Angebot war. Unter diesen Umständen war es fast ein Wunder zu nennen, dass sich die Reederei überhaupt erst mit seiner Bewerbung befasst hatte. Ein Vorteil war wohl gewesen, dass er sie gleich persönlich vorbeigebracht hatte. Selbstbewusst und voller Elan war er dabei aufgetreten - hatte er doch gerade erst die geniale Eingebung erfahren gehabt, wie er dem Paten von Hallerbach doch noch beikommen könnte, ohne für den Rest seines vermutlich viel zu kurzen Lebens dessen Killer von der Russenmafia am Hals zu haben - und wie er seine Familie vor der rachsüchtigen Mischpoke schützen würde, die ja nur mehr aus seinem Onkel bestand (die Familie, nicht die Mischpoke). Der Oheim immerhin war unter seinem echten Namen Max Leitner an Bord, als ganz normaler Passagier.

      Wahrscheinlich hatten Adams große graublaue Augen beim Vorstellungsgespräch ziemlich abenteuerlustig gefunkelt und sein gesamtes Selbst diese große Vorfreude ausgestrahlt, diese Aufbruchslust zu neuen Horizonten. Keine Ahnung, woher er das hatte: Seinen Vater hatte er nie kennengelernt, aber vermutlich kam diese Charaktereigenschaft von ihm. Obwohl seine Mutter in jüngeren Jahren schon auch ein rechter Zugvogel gewesen sein musste, wenn man seinem Onkel Max glauben wollte. Im Lichte solcher Hochstimmung war der IQ-Test auch bemerkenswert gut ausgefallen. Sicherheitsleute an Bord eines Schiffes mussten sich jedes noch so kleine Detail merken können. Da das bei Polizisten genauso war, hatte ihm diese Prüfung ebenso wenige Schwierigkeiten bereitet wie der Reaktionstest. Irgendwann später, als sie auch noch geschaut hatten, wie es mit seinen Selbstverteidigungskenntnissen stand, war er dann schon mal ein wenig stutzig geworden. »Darf ich eine Frage stellen?«, hatte er das gestrenge Dreigestirn (Sandtner, Reedereimann und Stellvertreter des Quartiermeisters) gefragt. Und dann: »Wie oft wird dieses Schiff eigentlich von Piraten überfallen?«

      Woraufhin alle drei erst einmal leicht zusammengezuckt waren und dann hellauf gelacht hatten. Am wenigsten lang hatte Edmund Sandtner gelacht und sich dann zu der folgenden Aussage durchgerungen:

      »Das vielleicht nicht gerade. Aber Sie werden schon noch die Gelegenheit erhalten, Ihre Fähigkeiten und Ihre erstklassige Fitness einzusetzen. Wenn die nächste Fahrt so verläuft wie alle... Tatsache ist, die Kreuzfahrtindustrie ist ein Wachstumszweig und nicht besonders versessen darauf, negative Schlagzeilen an die Presse zu liefern. Keine Reederei, die sich damit ihr Geld verdient, ist das. Also, wenn Sie nichts in den Nachrichten hören von schweren Zwischenfällen, Mord und Totschlag auf hoher See, dann heißt das nicht, dass es sie nicht gibt. Verstehen Sie mich?«

      An diesem Punkt hatte Adam den Arbeitsvertrag schon unterschrieben gehabt und auch die Schweigeklausel. Der Arbeitsvertrag sah eine viermonatige Probezeit vor, die Klausel nicht. Und die Reederei gebot über ein Heer von Anwälten.

      »Jetzt merken Sie gut auf, Asbeck: Sehen Sie das Gebäude da, das mit den postmodernen Arkaden? Also, nach jeder Fahrt steht dort drüben zuverlässig ein Mann von der Bild-Zeitung und wartet auf redselige Crewmitglieder. Leute vom Sicherheitsdienst sind besonders gefragt. Wenn wir Sie mit diesem Mann reden sehen, sind Sie gefeuert, klar?«

      »Klar, Chef!«, sagte Adam und hätte beinahe salutiert. Außerdem verkniff er es sich gerade noch, zu betonen, dass man als Polizist auch keine Insiderinformationen an die Presse geben durfte.

      »Und seien Sie pünktlich: Am dreiundzwanzigsten um neun Uhr früh stechen wir in See, von dem Pier da hinten aus. Sie müssen spätestens am Mittag zuvor da sein. Und packen Sie ein paar Energieriegel ein: Der Dienst ist anstrengend. Doppelschichten sind nicht jedermanns Sache.«

      Sechs Wochen nach diesem Gespräch hatte er angefangen, sich zu fragen, ob er wohl auf das übliche Landratten-Veräppeln hereingefallen war. Dieses Schiff war nicht krimineller als ein Altenheim, und von den ganzen juristisch verfolgbaren Verstößen gegen die Zehn Gebote kam allenfalls Diebstahl hin und wieder vor. Schmuck wurde geklaut, ab und an auch Bargeld - das eher seltener, weil ja auf Kreuzfahrtschiffen alles über die Bordkarte verrechnet wurde außer der Arztbesuch und das Casino -, das eine oder andere Handtäschchen, sogar einmal ein Hörgerät der neuesten Generation.

      Das Laster der Lüsternheit in all seinen Varianten fristete bei dem Altersdurchschnitt an Bord eher ein Schattendasein, obwohl tatsächlich hin und wieder ein Spanner von sich reden machte. Aber nichts Gravierendes halt. Um Vergewaltigungen möglich zu machen, hätte der Schiffsarzt Viagra im Sortiment haben müssen. Da nichts dergleichen vorkam, hatte er das wohl nicht. Die Reederei zahlte ihm ein festes Gehalt, weswegen er nicht gewinnmaximierend denken musste, sonst hätte er diese Lücke in seinem Medikamentensortiment gewiss schon bitter bereut. Anders als an Land war auf Schiffen das Edikt von Salerno außer Kraft gesetzt, das den Beruf des Arztes streng von dem des Apothekers trennte. Der Doc gab also auch die Medikamente aus, die er vorher verordnet hatte. Genau genommen war hierfür in der Hauptsache die Bordkrankenschwester zuständig, eine niedliche Blonde mit einer wilden Gelfrisur und einem Haufen Energie. Die würde sie auch benötigen - in einem zweiköpfigen medizinischen Team für siebzehnhundert Senioren und neunhundert Mann Besatzung, die auch nicht immer immun gegen sämtliche Krankheiten waren.

      Ab und an flippte jemand aus, weil er zuviel getrunken hatte, woraufhin ihm in schlimmeren Fällen eine Laktoseinfusion (kostenpflichtig, in bar zu bezahlen) und in unbedenklichen eine Schlafkabine (Ausnüchterungszelle auf Deck eins) zuteil wurde. Eine richtige Zelle war das allerdings nicht, stattdessen ein abschließbares Kabuff von Kabine mit Kunststoffboden statt Teppich und weißer Baumwollbettwäsche, die Kochtemperaturen vertrug. Nicht zu vergessen die flüssigkeitsabweisende Molton-Einlage über der Matratze.

      Jeder Sicherheitsmann verfügte aus Hygienegründen über die besagten Latexhandschuhe. Außerdem über Handschellen und ein Pfefferspray. Eins von der Sorte, für die man nur volljährig sein musste und nicht mal den Kleinen Waffenschein benötigte. Spielzeug, aber besser als gar nichts.

      Aber es waren schon auch richtige Gefängniszellen an Bord, tief im Bauch des Schiffes auf Deck A, dem Vorhof zur Hölle

      - also zum Maschinenraum, wo es unerträglich heiß und nervenaufreibend laut war. Diese Räumlichkeiten trugen den schönen Spitznamen »Rattenkäfige«. Acht an der Zahl. So viele, hatte Adam im ersten Schreck gedacht, als Sandtner sie das erste Mal erwähnt hatte. Und das, nachdem Adam schon die eine oder andere Woche an Bord war.

      »Und wofür - für wen sind die, Chef?«

      Da hatte Sandtner so ein wölfisches Grinsen aufgesetzt. Adam erinnerte er immer stark an einen emeritierten bayerischen Politiker in jüngeren Jahren, was vielleicht nur an der Gleichheit der Vornamen lag. Aber er war auch ein bisschen dieser Typ: dunkelblondes, ergrautes Haar, hohe Stirn, strenger Blick. Und eine hellwache Intelligenz hinter den etwas stechenden, dunkelbraunen Augen. Dass dieser Mann schon so einiges erlebt hatte, konnte und wollte er wohl auch nicht verheimlichen. Außer natürlich der Presse gegenüber.

      »Warten Sie's ab, Asbeck: Bisher hat sich noch jedesmal ein

      Vögelchen gefunden, das in einen der Käfige gesteckt werden musste. Die sind nämlich mehr für den Bereich ›Delikte am Menschen‹. Oder haben Sie geglaubt, mit ihren Jiu-Jitsu-Künsten nur Taschendiebe und Grapscher beeindrucken zu müssen?«

      Die Rattenkäfige also...

      Adam hatte damit gerechnet, seinen nahezu allmächtigen Vorgesetzten eine Woche lang vollbimsen zu müssen, bis der sie ihm zeigen würde. Oder besser gleich den direkten Weg über Jochen Kornreder zu versuchen, seinen neuen Kumpan an Bord, mit dem er sich die Kabine teilte. Was heißt, Kabine: eher ein größeres Klo, das, wäre es ein separater Wohncontainer gewesen, sich mit etwas Training zur Not noch mit einer Sackkarre hätte transportieren lassen. Und das für zwei ausgewachsene Männer! Es ging aber das Gerücht, dass auf Schiffen unter anderer Flagge als der deutschen durchaus auch Sechserkabinen vorkommen sollten.

      Freilich hätte er auch auf eigene Faust losziehen können mit seiner Chipkarte, die fast überall sperrte, und den Kerker eigenhändig suchen. Aber er war erst einmal dort unten gewesen im Bauch des fast dreihundert Meter langen Schiffes und hatte seitdem eine Heidenangst, sich zu verirren. Deck A und B waren ein Labyrinth von Hogwarts'schen Ausmaßen. Eigentlich war seine Orientierung ziemlich gut, nur nicht in Gängen, die noch nie einen rechten Winkel gesehen hatten, und unter jeglichem Ausschluss von Tageslicht.

      Aber


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