Ein undurchsichtiger Gentleman.. Catherine St.John
Imprint
Ein undurchsichtiger Gentleman. Historischer Roman
Catherine St.John
Published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Copyright: © 2019 R. John 85540 Haar
Cover: Edmund Blair Leighton: The Gallant Suitor
ISBN 9783750247581
Kapitel 1
Annabelle saß im gelben Salon in Beech House und stickte unkonzentriert an einem Taschentuch für ihren lieben Stephen. Das S hatte sie schon aus kleinen blauen Blümchen fertiggestellt und sie fand, es sei recht hübsch geworden, auch wenn sie sich da selbst loben musste.
Nun sah sie einige Momente lang versonnen vor sich hin und lächelte unwillkürlich, als sie an Stephen dachte. So stattlich, so liebenswürdig, so zärtlich… Noch einige Wochen, dann wäre sie mit ihm verheiratet und lebte mit ihm in Norton House. Sie könnten sich so oft küssen, wie sie nur wollten – und auch noch mehr… Bei diesem Gedanken war ihr Gesicht direkt etwas warm geworden, obwohl es in dem nach Norden gelegenen Salon mit seinem nur allzu dürftigen Kaminfeuer eher kühl zu sein pflegte.
Hoffentlich kam er bald aus York zurück, wenn er seine Geschäfte erledigt hatte! Konnte Lord Norton sich nicht einmal selbst um die Angelegenheiten seines Gutes und seines Vermögens kümmern, anstatt dauernd ihren Verlobten loszuschicken?
Sie klagte ihr Leid ihrer Mutter, als diese sich zu ihr setzte. „Aber Schäfchen, Stephen muss doch lernen, dies alles zu tun, schließlich ist er Lord Nortons Erbe! Er kann doch nicht nur hier sitzen und dir schöntun! Eines Tages muss er sich um alles kümmern, soll er dann völlig ahnungslos sein?“
„Nein, natürlich nicht, Mama. Ich weiß das ja selbst, aber ich würde ihn so gerne sehen! Mit ihm lachen, mit ihm sprechen, über unsere Zukunft, über – ach, über alles eben.“
„Das verstehe ich doch, aber du musst auch vernünftig sein. Deine Ehe wird sicher sehr glücklich werden, denn immerhin liebt ihr euch – aber eine ununterbrochene romantische Idylle solltest du dir nicht erwarten. Diese ewigen Romane, die du so gerne liest, zeigen schließlich nicht das wahre Leben.“
„Ja, Mama. Das weiß ich doch!“
Das klang nach einer Mischung aus Trotz und Langeweile, denn Annabelle hörte diese Ermahnungen schließlich nicht zum ersten Mal.
„In den nächsten Tagen sollten wir nach London fahren, um deine Ausstattung zusammenzustellen“, überlegte Lady Horbury. Prompt erwachten Annabelles Lebensgeister wieder. „London? Oh, wie nett! Können wir uns dort etwas ansehen?“
„Was würdest du denn gerne sehen?“, fragte Lady Horbury amüsiert zurück. Das Mädchen war zwar recht gescheit, aber manchmal doch noch etwas unreif, trotz ihrer fast zwanzig Jahre. Die Jüngste eben…
„Alle diese schönen Häuser, in denen der Adel wohnt… und die eleganten Läden.“ Sie seufzte unwillkürlich.
„Du weißt, dass gerade keine Saison ist? Wahrscheinlich stehen die vornehmen Stadthäuser in Mayfair zum größten Teil zurzeit leer. Niemand von unseren Bekannten weilt vermutlich gerade in London.“
„Natürlich weiß ich das. Johns Freund Hertwood ist doch auch schon nach Berkshire zurückgekehrt, das hat John mir erzählt. Lady Hertwood soll guter Hoffnung sein, heißt es… und Cecilia Herrion ist verlobt!“
Von dem verfänglichen Thema „guter Hoffnung“ wollte ihre Mutter rasch ablenken, bevor sie womöglich nach unschicklichen Einzelheiten gefragt werden konnte. „Ja, du hast Recht“, sagte sie also schnell, „und mit Lord Lynet obendrein.“
„Dafür hätte sie eigentlich gar nicht nach London fahren müssen, oder?“
„Warum sollte sie denn nicht? Vielleicht war sie sich einfach noch nicht ganz sicher, ob Lynet der Richtige ist.“
„Aber wenn man einen Mann liebt, weiß man das doch? Ich weiß doch auch, dass Stephen der Richtige ist, er ist so reizend zu mir, so klug und vernünftig - und er sieht auch so gut aus…“
Lady Horbury freute sich im Stillen, dass Annabelle so begeistert von Stephen sprach – eine Liebesheirat war doch immer schön. Außerdem war Stephen wirklich der richtige Gemahl für ihre manchmal noch etwas naive Tochter – nachsichtig, fürsorglich, beschützend und sehr, sehr verliebt. Auch Herkunft und Vermögen waren genau von der Art, wie man sie sich wünschte – also warum die Hochzeit verschieben? Gewiss würde Annabelle in der Ehe noch etwas reifen…
„Also fahren wir sobald wie möglich nach London, nicht wahr? Wir beide und John. Und meine Mary, die sich dort auch um dich kümmern wird. Ich werde Lady Norton fragen, ob es etwas gibt, was du nicht in die Ehe mitbringen musst, weil es in Norton House schon überreichlich vorhanden ist.“
Annabelle kicherte. „Tischwäsche, vermute ich. Die hält doch ewig - und in jeder Generation kommt ein Dutzend von allem dazu.“
„Da könntest du Recht haben“, antwortete ihre Mutter etwas abwesend und verließ leise murmelnd den Salon. Annabelle verstand nur Leibwäsche, Handtücher, Tageskleider…
Tageskleider – das klang interessant. Ein halbes Dutzend würde sie wohl brauchen, zusätzlich zu ihrer schon vorhandenen Garderobe. Die allzu mädchenhaften Gewänder sollte sie allerdings dann wohl hier lassen: Schluss mit weißen Rüschen, jetzt gab es kräftigere Farben! Und vielleicht sogar Seide… nein, nicht tagsüber, schade.
Lady Horbury musste, während sie sich im Morgenzimmer an eine Liste des Benötigten machte, zugeben, dass Annabelle, obwohl sie noch ein rechter Kindskopf sein konnte, doch immerhin praktisches Geschick hatte und durchaus imstande war, einen Haushalt zu führen. Sie hatte sie gut erzogen, lobte sie sich selbst. Und alles Übrige würde dann schon noch kommen, spätestens mit dem ersten Kind. Sie lächelte versonnen: ihr kleines Mädchen als Mutter… kaum vorstellbar!
Am Nachmittag besuchten sie die Nortons in Norton House, wo Annabelle sich sofort mit Susan Norton, ihrer jüngsten Schwägerin in spe, in eine Sofaecke zurückzog und aufgeregt von ihren London-Plänen zu wispern begann.
Susan quiekte begeistert, aber bevor sie Annabelle an ihrer reichen London-Erfahrung nach einer Saison teilhaben lassen konnte, mahnte die schreckliche Charlotte schon wieder: „Susan, nicht diese albernen Geräusche! Wie willst du so jemals einen Mann finden?“
Susan verdrehte routiniert die Augen zum Himmel. „Ich finde nicht, dass du die Richtige bist, mir Vorträge über das Einfangen eines Ehemanns zu halten!“
„Ich bin viel älter als – ach, wozu rede ich denn?“
Offensichtlich war ihr gerade eingefallen, dass sie zügig auf die Dreißig losmarschierte.
„Eben!“, gluckste Susan. „Ich hatte ja immerhin schon drei Anträge – und du?“
Charlotte fauchte etwas Unverständliches und stürzte aus dem Salon, wenigstens ohne mit der Türe zu knallen.
Lady Norton, rüde aus ihrem hauswirtschaftlichen Gespräch mit Lady Horbury gerissen, seufzte und schüttelte den Kopf, kommentierte aber das Verhalten ihrer uncharmanten Ältesten nicht weiter, schließlich war es ohnehin allen vertraut.
„Gut, dass sie weg ist mit ihrem Fasttagsgesicht“, tuschelte Susan sofort. „Pass auf, wenn du nach London kommst, gibt es die schicksten Modeläden in der Bond Street. Und dann soll ja der Pantheon Bazaar wieder eröffnet worden sein, den habe ich während meiner Saison leider verpasst. Und hast du schon einmal von Astley´s Amphitheater gehört? Die tollsten Vorstellungen!“
Lady Horbury schüttelte tadelnd den Kopf. „Liebe Susan, wir müssen Annabelles Trousseau zusammenstellen, da haben wir bestenfalls Zeit für ein wenig Kunst und einige Spaziergänge. Der liebe John wird uns begleiten. Aber Astley´s kommt gar nicht in Frage!“
„Schade.“ Susan zog ein enttäuschtes Gesicht, obwohl sie doch ohnehin nicht mit nach London reisen würde.
„Übrigens hattest du Recht, Annabelle“, wurde ihre Mutter wieder etwas milder, „Lady