Anea. Wolfgang Greuloch

Anea - Wolfgang Greuloch


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die Finger erstaunlich feingliedrig. Das Gesicht, rund, grün, mit winzigsten Schuppen; ein Mund, der nach vorne ragt, mit gewölbte Lippen, gleichmäßig grün. Die Augen, weder Entenaugen noch Echsenaugen, gelbe Menschenaugen. Sie weiß es einfach.

      Auch das Wesen mustert sie aufmerksam, dann winkt es mit einem seiner langen Finger. ‚Komm her’, sagt die Geste.

      Sie folgt dem Wesen. Sie streifen eine Zeit lang durch den Wald. Unvermittelt hält das Wesen an, wendet sich ihr zu. Sie kann keinen besonderen Grund erkennen, weswegen das Wesen gerade an diesem Ort innehält. Es ist groß, zwei Köpfe größer als sie.

      „Dein Name ist Anea!“

      Name? Was ist ein Name?

      ‚Alles hat einen Namen, deiner sei fortan Anea beschloss der Creator’, hört sie eine Stimme aus dem Nichts, ohne dass Larus den breiten rudimentären Schnabel-Mund bewegt.

      „Ich bin Larus. Der Creator beauftragte mich dich zu empfangen und dir deine Ausrüstung zu übergeben und dir die erste Aufgabe zu erklären.“

      Aufgabe?

      „Du bist nackt, hier ist ein Kleid.“

      Nackt?

      Und Larus reicht ihr ein einfaches Kleid aus hellem Tuch, mit einem Loch für den Kopf und zwei kurzen Ärmeln, das Kleid endet über ihren Knien, einen bastartiger Gürtel schlingt sie um die Taille.

      „Hier ist dein Mantel“, sagt das Wesen und hält ihr einen langes Bekleidungsstück hin.

      „Das ist ein ganz besonderer Mantel. Er wärmt dich bei Kälte, er kühlt dich bei Hitze“.

      Kälte? Hitze?

      „Seine Farbe passt sich der Umgebung an“, fährt Larus fort. „Jetzt erscheint er grün, so grün wie die Pflanzen um uns herum. Draußen in der Wüste nimmt er die Farbe des Sandes an, du wirst sehen. Und wenn du die Kapuze über den Kopf ziehst, bist du unsichtbar - Hier deine Schuhe.“

      Er reicht ihr einen sonderbaren grünen Beutel mit Öffnungen.

      „Das sind Schuhe aus dem Blattwerk des Clantusbaumes: einem Baum mit ganz besonderen zähen Blättern. Ich habe sie für dich angefertigt. Sie sind widerstandsfähig und verfallen nur sehr langsam. Mit den Schnüren hier, kannst du den Schaft zusammenbinden.“

      Er reicht ihr faserige Schnüre. Sie schlüpft in die grünen Beutel und schnürt sie an Knöchel und Bein fest.

      „Hier deine Waffe.“

      Er hält ihr auf ausgestreckter Handfläche einen länglichen Gegenstand entgegen, der in das grüne Material aus dem auch die Schuhe bestehen, eingepackt ist. An einem Ende ragt ein Griff heraus.

      „Eine Waffe? Was ist das? Und wofür brauche ich das?“, fragt sie.

      „Das wirst du sehen, wenn du dich wehren musst. – Nimm den Pugio.“ Er zieht die Waffe am Griff aus der kunstvoll gewickelten Blätterscheide. Ein matt glänzendes, grauschwarzes Ding kommt hervor, mit einer leichten Einschnürung nach dem Heft bevor es schmal und dünn zur Spitze ausläuft, ein Handschutz und einen Knauf bieten einen festen Griff. Die Waffe ist mindestens doppelt so lang, wie es die Länge der Scheide vorgibt, länger als ihr Unterarm. Larus dreht den Pugio im Licht des Waldes, die Klinge spiegelt kein Licht, sie wirkt bedrohlich.

      „Die Waffe birgt Kniffe. Der erste Kniff ist dir aufgefallen, die Klinge ist mehr als doppelt so lang wie die Scheide. Und der zweite Kniff ist: Eine Schneide der Klinge ist mit einem todbringenden Gift bedeckt, nur du kannst die Schneide erkennen.“

      Er beugt sich nach vorne, legt den Pugio flach auf seinen großen Handteller einer Hand und legt einen Finger auf eine Klingenseite.

      „Schau genau hin, nur du und kein anderer wird die Seite erkennen. Ich werde die Seite vergessen, wenn du gegangen bist.“

      Anea schaut auf die Waffe. Sie sieht merkwürdige Zeichen in der Mitte der Klinge, aber dann erkennt sie die vergiftete Seite der Klinge.

      „Wenn du einen Feind mit dieser Seite verletzt, wird er in wenigen Sekunden in Starre verfallen und nach wenigen Augenblicken ausgelöscht sein.“

      Larus steckt den Pugio wieder zurück. An der Scheide ist ein breites faseriges Band befestigtes, welches jenem, mit dem sie die Beutelschuhe schnürte, ähnelt. Anea nimmt den Dolch, hängt ihn um. Er baumelt nun an ihrer linken Körperseite.

      „Jetzt bist du bereit.“

      „Du sprachst von einer Aufgabe?“, fragt Anea.

      „Ich führe dich durch den Wald. Dann gehst du in Richtung der Mittagssonne weiter, bis du in ein schönes Land vor einer Bergkette kommst. Du erkennst den Ort daran, da die Berge besonders schroff aus dem Land hervortreten, manchmal sonderbar sind und steile Hänge besitzen. In dem fruchtbaren Land vor den Bergen leben die Icks. Es sind friedliche Wesen. Sie leben in einer geheimnisvollen Verbindung mit den Yps, die in den Bergen, in Höhlen leben, regelmäßig das Land überfallen und Kinder der Icks rauben und in ihre Höhlen verschleppen. Was dort mit diesen Kindern passiert ist unbekannt. Das Verhalten der Icks ist seltsam. Sie leisten keinen Widerstand, obwohl sie zahlreicher sind als die Yps. Es wäre ein Leichtes für sie, eine Truppe aufzustellen, zu bewaffnen und den Yps zu trotzen. Aber sie tun es nicht. Sie überlassen ihre Kinder den Yps. Ein dunkles Geheimnis liegt über den beiden Völkern. Finde heraus, woraus es besteht. Befreie die Kinder aus den Händen der Yps und bringe sie zurück. Das wird dir Aufschluss geben.“

      Ein Geheimnis?

      „Was ist ein Geheimnis?“, fragt Anea.

      Einen Augenblick später.

      „Ja ich weiß. Ein Geheimnis ist etwas das keiner wissen darf, außer ganz wenige.“

      „So ist es. Und du sollst herausfinden, was dieses Geheimnis ist. Wir gehen.“

      Larus schreitet voran, schaut nicht nach hinten. Er ist gewiss, sie folgt ihm. Manchmal scheint er mit dem grünen Dickicht zu verschmelzen, gleitet behänd zwischen riesigen Farnzweigen, von den Bäumen hängenden Pflanzenschlingen und in den Weg ragende Zweige hindurch und vorbei. Anea folgt ihm. Sie merkt, dass der Mantel Schutz vor zurückschnellenden Ästen und dicken Farnzweigen bietet.

      So wandern sie schweigsam hintereinander durch Dickicht und Unterholz, bis das Licht der Sonne, das vermehrt bis an den weichen Boden dringt, das Ende des Waldes ankündigt. Larus verharrt plötzlich und dreht sich zu Anea um:

      „Da vorne endet der Wald. Meine Mission ist hier erfüllt, vorerst. Du gehst weiter wie beschrieben. Merke dir die Stelle genau, an der du aus dem Wald trittst, denn zurück zu mir findest du nur an diesem Ort, aber das wird dir nicht schwer fallen. Wenn du zurück bist, brauchst du nicht lange zu warten. Ich werde da sein.“

      Anea schaut nach vorne, in Richtung Waldgrenze. Sie hört einen seltsamen sanften Akkord aus drei Tönen in ihrem Inneren, dreht sich um, aber Larus ist verschwunden.

      Anea geht weiter, wenige Schritte, und sie schaut auf eine weitläufige, hügelige Wiesenlandschaft, manchmal unterbrochen durch lockeren Baumbestand, durch Hecken umrahmte Felder, das Gelände stetig ansteigend, in schroffe Hügelformationen übergehend, manche Hügel geformt wie Kegel, manchmal aufgeworfen zu einer steilen, von Granitfelsen durchzogenen Wand, deren Ende die Landschaft auf ein höheres Plateau zu heben scheint. Hinter diesen Hügel lugen graue und glitzernd weiße Bergspitzen hervor.

      Achtung!

      Sie muss sich die Stelle merken. Sie schaut nach rechts den Waldsaum entlang, registriert die Formation des Geländes, sie schaut nach links, sieht die in der Ferne aufragende Bergspitze, blickt nach vorne, verankert die geometrische Struktur der Felder in ihrem Inneren.

      Sie weiß, sie wird die Stelle wieder finden.

      Anea wandert in Richtung Sonne, die nicht mehr bedrohlich über ihr steht, wie im Wüstenstreifen aus dem sie kam, sondern ihr Licht schräg über die Berge auf die Landschaft wirft.

      Anea wandert ruhig und ausdauernd. Bald findet


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