Digitalisierung im deutschen Mittelstand. Gerald Lembke
realisiert: Im ersten Semester lag der Fokus auf der theoretischen und wissenschaftlichen Vorarbeit. Es galt, die für den Forschungszweck optimale Primärforschungsmethode durch eine Nutzwertanalyse zu ermitteln. Das episodische Interview in Form eines halbstrukturierten Leitfadens stellte sich dabei als geeignetste Methode heraus. Zusätzlich wurde entschieden, dass für die Erstellung des Interviewleitfadens eine qualitative Inhaltsanalyse aktueller und zukunftsorientierter Literatur notwendig ist. Diese wissenschaftlichen Grundlagen bildeten die Basis für die praktische Umsetzung im anschließenden Semester.
Wie ist diese Studie aufgebaut?
Diese Studie konzentriert sich auf das zweite Teilprojekt und damit insbesondere auf die Durchführung der Umfrage und die Ergebnisdarstellung. Nachfolgend wird zunächst das Forschungsdesign vorgestellt und die wissenschaftlich-methodische Basis des Projekts detailliert beschrieben. In Kapitel 3 werden acht Entwicklungen vorgestellt, die mit dem Megatrend der Digitalisierung einhergehen – auch als Trendsäulen der Digitalisierung bezeichnet.
Diese Trends bilden den Kerninhalt der Interviews mit den Unternehmen. Im anschließenden Kapitel 4 werden die ersten säulenspezifischen Ergebnisse dargelegt. Hierzu wurden die befragten Unternehmen in acht Branchen unterteilt. Innerhalb jeder Branche erlauben thematische Überschneidungen und Muster die Bildung von Cases (Fällen), bei denen sich Gemeinsamkeiten feststellen und von weiteren Cases abgrenzen lassen. Sprechende Titel für die unterschiedlichen Cases dienen zum einen der Anonymisierung der Unternehmen und zum anderen der Identifikation des Lesers mit den Herausforderungen der befragten Unternehmen.
Im darauffolgenden Teil werden die Ergebnisse der Branchen durch trendübergreifende Betrachtungen noch einmal zusammenfassend dargestellt.
Im letzten Kapitel werden die Ergebnisse zusammengeführt, um eine fundierte Aussage über das Ausmaß der Digitalisierung in den befragten Unternehmen zu treffen und die Frage zu beantworten: Ist die Digitalisierung ein disruptiver Megatrend oder ein evolutionärer Treiber?
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Kennenlernen neuer Facetten der Digitalisierung.
2. Forschungsdesign
2.1 Forschungsdesign – Entwicklung eines Denkrahmens
Ziel der Studie ist es, mittels der qualitativen, leitfadengestützten Befragung ausgewählter Experten festzustellen, wie sich die Digitalisierung auf Unternehmen in Deutschland auswirkt. Darüber hinaus soll überprüft werden, ob und aus welchen Gründen die Digitalisierung innerhalb verschiedener Branchen zu evolutionären (erhaltenden) oder disruptiven (ablösenden) Technologien, Innovationen bzw. Prozessen führt.
Entsprechend lauten die übergeordneten Forschungsfragen:
Wie wirkt sich der Megatrend Digitalisierung auf deutsche Unternehmen aus?
Führt die Digitalisierung zu evolutionären oder disruptiven Technologien, Innovationen bzw. Prozessen – und warum?
Zur Beantwortung dieser Fragen wird ein eigener Denkrahmen entwickelt. Dieser beschreibt die Beziehung zwischen dem Megatrend der Digitalisierung und verschiedenen technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die innerhalb dieses Rahmens auftreten. Die Autorinnen sprechen hier von den acht Trendsäulen der Digitalisierung: Big Data, Cloud Computing, Industrie 4.0, Internet der Dinge, Gamification, Mobile Payment, Sharing Economy und Social Business (siehe hierzu Abb. 1).
Dieses Vorgehen sichert ein einheitliches Verständnis der einzelnen Trends und erlaubt es, grundsätzliche Hypothesen über die Auswirkungen der Digitalisierung im deutschen Unternehmertum zu formulieren (zu den einzelnen Trendsäulen der Digitalisierung siehe Kap. 3).
Abbildung 1: Die Trendsäulen der Digitalisierung
Quelle: Eigene Darstellung
Unter dem Begriff Trend ist grundsätzlich „eine Veränderungsbewegung oder ein Wandlungsprozess“ (Horx Zukunftsinstitut GmbH 2010, S. 1) zu verstehen, der in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft entstehen kann. Ausgangspunkt eines jeden Trends ist ein langfristiger Megatrend, aus dem sich einzelne Technologietrends und daraus wiederum Gesellschaftstrends entwickeln. Megatrends zeichnen sich zum einen durch ihre lange Dauer von mindestens 30 Jahren aus, zum anderen revolutionieren sie beinahe alle Lebens- und Verhaltensbereiche wie bspw. Gesellschaft, Wirtschaft und Politik (vgl. ebd. S. 2).
Ausgehend von diesem Verständnis handelt es sich bei der Digitalisierung um einen Megatrend, mit dem u. a. neuartige Kommunikationsformen, Informationsverarbeitung in Echtzeit, neue Geschäftsmodelle sowie ein computer- und internetgestütztes Leben einhergehen (vgl. Jens Hansen Consulting GmbH 2015). Schaal bezeichnet die durch die digitale Revolution ausgelösten medialen Veränderungen als eine „Serie von Innovationsentwicklungen“ (2010, S. 109). Der revolutionäre Charakter der Digitalisierung erfordert demnach Anpassungen und Restrukturierungen innerhalb der verschiedenen Ebenen der Unternehmensführung und stellt somit besondere Anforderungen an das (Innovations-)Management (vgl. ebd. S. 113). Dieses Grundverständnis zum Megatrend der Digitalisierung zielt auf die erste Forschungsfrage ab.
Die Wissenschaft verweist im Rahmen diverser umwälzender Veränderungen auf die Theorie der disruptiven Innovation (auch: Durchbruchinnovation, zerstörerische Innovation) nach Clayton Christensen. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der sich ursprünglich aus einer Branchennische heraus im Zeitablauf zu einem dominierenden Treiber entwickelt, der ganze Marktstrukturen verändert oder gar zerstört (vgl. Christensen/Matzler 2013, S. 1-7, 16f.; Fleig 2013; Buhse 2012, S. 241).
Disruptive Innovationen stammen häufig von kleinen und jungen Unternehmen: Eine neue Technologie bzw. Methode oder auch ein neuartiges Geschäftsmodell können nach diesem Verständnis bereits bestehende, etablierte Unternehmen und Produkte vollständig verdrängen.
Im Gegensatz dazu handelt es sich bei evolutionären Technologien um Innovationen, die eine Leistungsverbesserung bei bestehenden Produkten oder Dienstleistungen entlang der existierenden Wertschöpfungskette bewirken (vgl. Fleig 2013; Christensen/Matzler 2013, S. 6f.).
Mithilfe der Studie soll untersucht werden, warum manche Trendsäulen der Digitalisierung Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle disrumpieren, während andere eine evolutionäre Entwicklung bewirken – damit wird der zweiten Forschungsfrage Rechnung getragen.
Ausgehend von den beiden Forschungsfragen wird eine Leitthese formuliert, die den konzeptionellen Rahmen für die Ausgestaltung der Untersuchung bildet:
Der Megatrend der Digitalisierung hat disruptive Auswirkungen auf die Unternehmen in Deutschland, ihre Strategien und Geschäftsmodelle.
Auf Basis der Leitthese wird ein Thesengerüst aufgebaut, in dem für jede Trendsäule der Digitalisierung jeweils eine Hypothese sowie mehrere untergeordnete Thesen gebildet werden (siehe hierzu Abb. 2).
Abbildung 2: Thesengerüst im Rahmen des Forschungsdesigns
Quelle: Eigene Darstellung
Die Hypothesen der einzelnen Säulen (2. Ebene) operationalisieren die übergeordnete Leitthese, sodass die Untersuchung einzelner Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Unternehmen möglich wird. Jede Hypothese drückt aus, ob hinter einer Trendsäule eine disruptive oder evolutionäre Wirkung vermutet wird.
Die untergeordneten säulenspezifischen Thesen (3. Ebene) basieren auf einer, der Studie vorangestellten,