Das Wunder Mozart. Harke de Roos
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Harke de Roos
Das Wunder Mozart
in der Aufklärung
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 • Der unsterbliche Tod Mozarts und • der vergessene Tod Leopolds
Kapitel 5 • Leopolds Alleinregierung der Toskana
Kapitel 7 • Kaiser Leopold II.
Kapitel 8 • Anton Wenzel Fürst Kaunitz-Rietberg
Kapitel 9 • Das Wundererlebnis als gesellschaftlicher Faktor
Kapitel 10 • Colloredos Kampf mit Mozart
Kapitel 11 • Der vermeintliche Sieg Colloredos
Kapitel 12 • Colloredos Niederlage
Kapitel 13 • Mozarts Ausgangsposition in Wien
Kapitel 14 • Die Entführung in das Serail
Kapitel 15 • Mozarts scheinbare Anpassung an die Wiener Gesellschaft
Kapitel 16 • Rätsel über Rätsel bei Figaros Hochzeit
Kapitel 17 • Der bestrafte Bösewicht oder Don Joseph •
Kapitel 18 • Mozart als wahrer Freund der Frauen
Kapitel 19 • Der wiedergefundene Vater
Kapitel 20 • Von Don Giovanni bis Così fan tutte
Kapitel 21 • Am Scheideweg der Menschheit
Kapitel 22 • Einbruch der Finsternis
Kapitel 1 • Der unsterbliche Tod Mozarts und • der vergessene Tod Leopolds
Am 5. Dezember 1791 unserer abendländischen Zeitrechnung starb Wolfgang Amadeus Mozart. Der Tag war wie alle anderen, das Schicksal das eines jeden Sterblichen, und doch handelt es sich um alles andere als ein alltägliches Ereignis. Selten hat ein Todesfall so sehr auf die Imagination der nachkommenden Geschlechter gewirkt wie der dieses einen Mannes. Man weiß ja: Noch keine 36 Jahre war der Meister alt, als er mitten aus der Arbeit gerissen wurde, aus der Komposition einer Totenmesse für einen geheimnisvollen, anonymen Auftraggeber. Nicht einmal die eigene Frau war zugegen, als er zu Grabe getragen wurde und bis heute kennt niemand den genauen Ort, an dem seine sterblichen Überreste ruhen. Zahlreiche Legenden haben sich von Anfang an um die Todesursache gerankt. Noch im Todesmonat erschien in einer Berliner Zeitung die Meldung, dass in Wien Gerüchte zirkulierten, der Meister sei vergiftet worden. Jahrzehnte später geriet der Komponist Antonio Salieri in den Verdacht, Mozart ermordet zu haben. Noch später, in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, wurden die Freimaurer und ein betrogener Ehemann des Gleichen bezichtigt. Neuerdings sind sogar die Jesuiten als mögliche Todfeinde des Salzburger Meisters genannt worden. Gewissenhafte Forscher jedoch werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass es für einen Mordverdacht nicht den geringsten Anhaltspunkt gibt. Ihrer Darstellung nach ist das Krankheitsbild des Meisters hinreichend geklärt und der frühe Tod bewegt sich völlig innerhalb des Rahmens der damaligen Lebenserwartung. Auch die Komponisten Purcell, Pergolesi, Chopin, Schubert und Mendelssohn seien ja jung gestorben. Wie Mozart wären auch sie mit Hilfe der heutigen Medizin viel älter geworden. Welchen Sinn hat es, über Mozarts Tod zu spekulieren, wo doch sein Leben eine so reiche Ernte hervorgebracht hat? Ein gewisser Unmut schwingt unüberhörbar mit, wenn etablierte Musikwissenschaftler sich zu den Mordspekulationen äußern. Aber auch sie können nicht leugnen, dass dieser Tod wie kein anderer die Phantasie beflügeln konnte und in dem nun folgenden Buch unvermindert tun wird.
Am 1. März 1792, genau 77 Tage nach dem berühmten Komponisten, starb Mozarts Kaiser Leopold II. Ein größerer Gegensatz in der Art, wie der Komponist und sein oberster Dienstherr bestattet wurden, ist kaum denkbar. Auf der einen Seite stand die Anonymität, auf der anderen Seite die höchste Stufe von Öffentlichkeit. Der Kaiser wurde mit dem pompösen, fast erdrückenden Zeremoniell eines habsburgischen Begräbnisses zur letzten Ruhe gebettet. Seine Familie und der Hochadel begleiteten ihn vollzählig bis in die Kaisergruft, wo er bis heute unter Vorfahren und Nachkommen ruht.
Im Gegensatz zu Mozarts Tod, der wie eine unaufhörlich blutende Wunde immer wieder ins kollektive Gedächtnis zurückgerufen wird, wurde Leopolds Tod rasch vergessen. Kein einziger Gedenktag wurde ihm zu Ehren ins Leben gerufen und nicht einmal Leopolds ältester Sohn, der neue Kaiser, hat die Erinnerung an Leben und Tod des Vaters gepflegt, weder öffentlich, noch im Familienkreis.
Bei solchen krassen Gegensätzen nimmt es nicht Wunder, dass die tiefe Verwandtschaft der beiden Todesfälle der Welt verborgen geblieben ist. Kaum jemandem scheint die Schicksalsverbundenheit von Komponist und Kaiser aufgefallen zu sein. Jedenfalls wurde sie von keinem Autor beschrieben. Es lohnt sich, dieses Versäumnis nachzuholen, denn um die wahren Hintergründe von Mozarts Tod zu erkennen, ist es unerlässlich, beide Sterbefälle in ihrem Zusammenhang zu betrachten.
Bereits bei oberflächlicher Wahrnehmung fällt die zeitliche und räumliche Nähe der Ereignisse auf. Elf Wochen sind kein großes Zeitintervall und die Wiener Hofburg, wo der Kaiser starb, liegt nur wenige Straßen von Mozarts Sterbehaus in der Rauhensteingasse entfernt. Wie Mozart wurde auch Leopold im besten Alter aus intensivster Arbeit weggerissen. Beide Männer starben nach einer kurzen Krankheit, die in beiden Fällen nicht einwandfrei definiert werden konnte. Bei Mozart lautete die ärztliche Diagnose „hitziges Frieselfieber“, bei Leopold „akuter Rheumaanfall“.
Heute weiß man mit Sicherheit, dass beide Diagnosen falsch waren. Nicht nur im Falle Mozarts,