Herr Gacka wehrt sich! Der Selbstverteidigungskurs für Superpapis. Wilfried Oschischnig
Egal: Meine Frau und ich wollten uns schlicht und einfach über einen öffentlichen Auftritt unseres Kindes freuen. Einmal einen geplanten, entspannten öffentlichen Auftritt unseres Kaninchens erleben. Hatten wir doch das Kunststück geschafft, ein Kind, ja, unserer Kaninchen auf die Beine zu bringen. Und jetzt durften wir es zur Belohnung öffentlich tanzen sehen — was für eine Vorfreude!
Die Tanzpädagogin bremste unsere Euphorie zwar etwas und meinte, Kinder seien derzeit eher schwer für eine erkennbare Choreografie zu motivieren. Sie werde aber die Kleinen klatschend in einen Kreis setzen oder — je nach Gruppe — als Stern formieren. So oder so werde es für uns Eltern ein schönes Erinnerungsbild geben. Optisch und akustisch habe sie da schon vorgesorgt: Mit rosa ‚Honolulu-Röckchen’ und dem Lied Hört gut zu! Hört gut zu! Hier kommt das singende Känguru würde die Gruppe garantiert lebendig wirken, auch wenn sich die Kinder kaum bewegten. Dann drückte sie meiner Frau ein braunes Stoffband und ein Knäuel mit etwa 500 rosa Baststreifen in die Hände. Daraus sollten wir gemeinsam mit dem Kind ein Baststreifen-Röckchen für die Abschlussveranstaltung, sozusagen ein ‚familiäres Band fürs Leben’knüpfen.
Wider Erwarten hat unser Kind tatsächlich drei Bastfäden zum Röckchen beigesteuert — die restlichen 497 bewältigte meine Frau in mehreren Nachtschichten.
In einem Punkt hatte die Tanzpädagogin allerdings recht: Still sitzende Kinder sind faszinierend. — Selbst wenn man für einen Tanzkurs bezahlt hat. Und als die Kleinen dann sogar aufstanden und einmal im Kreis liefen, tobten wir Eltern vor Begeisterung und Dankbarkeit.
Jedenfalls bis zum bitteren Ende: Unsere verausgabten Tanzprinzessinnen sollten nach ihrer Darbietung nicht verdursten und auch nicht im dunklen Zuschauerraum verängstigst nach ihren Eltern suchen. Also sollten wir Papas — damit wir auch einen Beitrag leisten — rasch mit einer Trinkflasche zur Bühne laufen, unsere Lieblinge auftanken und sie sicher zu den Müttern im Zuschauerraum geleiten.
Mit dem Birnen-Holunder-Saft lag ich zwar richtig, doch mit der Verpackung schwer daneben. Schon beim ersten Schluck bemerkte mein Kaninchen, dass ich ihr nicht die versprochene rosa ‚Hello-Kitty-Trinkflasche’ reichte, sondern irrtümlich mit der weinroten ‚Prinzessin-Lillifee-Flasche’ angetanzt war. Schon regnete es extrasüßen Birnen-Holundersaft auf meinen Kopf und nach dem ‚singenden Känguru’ ertönte nun: „Gacka-Papa … Lügner … !!!“
Das Schlimmste stand mir allerdings erst noch bevor: Durch mein unsensibles Gebrüll erlitt mein Kind einen schweren Beleidigungsschock. Das ist ein sehr, sehr ungewöhnliches Phänomen bei Kindern und wurde bisher von der Psychoanalyse nicht wirklich erforscht. Nach einer einzigen (!) Bitte hoppelte mein Kaninchen zu Hause in ihr Zimmer und begann allen Barbie-Puppen die Haare abzuschneiden, sich also selbst zu beschäftigen.
Pass auf deine Träume gut auf, denn sie könnten eines Tages wahr werden, lautet ein alter, buddhistischer Ratschlag. Mein Traum von der ersehnten Ruhe hatte mich plötzlich heimgesucht. Und ich wusste absolut nichts mit meinem unverhofften Zeitsegen anzufangen.
Die Bücher im Regal erschienen mir allesamt zu dick — mein Kaninchen konnte ja rasch wieder vom Beleidigungsschock genesen; die Blumen brauchten kein Wasser, der Geschirrspüler war leer, und dummerweise hatte ich bereits vor einer Woche die Filzstiftstriche an den Wänden übermalt.
Durch das Schlüsselloch sah ich, dass mein Kaninchen im spontan eröffneten Friseursalon noch einen ganzen Berg Barbie-Puppen zum Haareschneiden in der Warteschlange hatte. Zu allem Schrecken ging nun auch noch meine Frau einkaufen.
Schließlich gipfelte mein Elend in einer höchst unangenehmen Selbstreflexion: Fünf Jahre Superpapi-Dasein liefen vor mir ab. Wie ich damals mit meiner Frau in die große Welt des Kindersegens eintauchte, als ‚Gebärtourist’ alle Wiener Kreißsäle abgeklapperte, in der Abfahrtshocke begeistert mit zwanzig anderen Männern Geburtswehen simulierte, mich für Kinderwagen und Tragetücher interessierte, Eltern-Zeitschriften las … und dann endlich der erste Babyschrei, der unüberhörbare Startschuss zu meiner neuen Lebensphilosophie: Ab heute mache ich alles nur noch aus und mit Liebe! Richtig. Hatte ich auch … ohne Lobhudelei: Ich hatte in den letzten Jahren tatsächlich alles ‚nur’ aus Liebe zu meinem Kind gemacht. Mein Hirn lief währenddessen im ‚Stand-by-Modus’. Irgendwie war es höchste Zeit, mein Hirn wieder einzuschalten, denn kein Vater will ein ‚Gacka-Papa’ sein, und kein Kind will einen ‚Gacka-Papa’ haben.
Das darfst du nicht!
Herbst 2012: Gut Ding braucht Weile, väterliche Erkenntnisse noch länger — und die Freiheit ist ohnehin die schwerste menschliche Geburt. Aber immerhin — ich habe in den letzten Monaten meinen einstigen ehrenamtlichen Hauptberuf ‚Kinder-Animateur’ radikal von 45 auf 25 Wochenstunden gekürzt und ein paar meiner Gehirnzellen wiederbelebt. Ja, sogar meine ehemaligen Freunde habe ich im Internet recherchiert und treffe sie regelmäßig ‚in echt’. Den meisten von ihnen passt es jedoch nicht, dass ich ein Buch über ‚Kindererziehung’ schreiben möchte. Und wenn ich ihnen dann auch noch verrate, dass ich darin ‚ernsthafte’ Tipps für überforderte, väterliche Leidensgenossen plane — ja, dann schäumt es nicht nur in unseren Biergläsern …
„So ein Quatsch! Das darfst du nicht!“, tönt es da einhellig im Chor. Ein überforderter Vater zu sein, wäre noch lange keine Legitimation, sich dilettantisch in die Kindererziehung einzumischen. Dilettantismus sei bloß im Fußball und in der Politik erlaubt, aber Kinder bräuchten Profis — Pädagogen, Psychologen, Lebensberater … ja, die hätten die Kinderseele und die familiäre Komplexität studiert, die seien da gefordert oder besser gesagt ‚aufgefordert’. Aber doch keine Kurpfuscher! So viel Praxis könne ein Kurpfuscher gar nicht haben, dass er zum Arzt tauge. Es wäre ja ganz witzig, dass ich in fünf Jahren 173 Tage auf Spielplätzen verbracht hätte; Barbiepuppen sammle und Emily Erdbeer und Prinzessin Lillifee besser zeichnen könne, als jeder Grafiker; auch mein Leserekord an Pixie-Büchern sei beeindruckend — aber bloß keine erzieherische Kurpfuscherei, bloß kein Rülpser aus dem Bauch raus! Das darfst du nicht!!!
Doch, doch, liebe Freunde. Darf ich und mach ich! Und damit ihr euch so richtig fürchtet und ärgert, gebe ich für dieses Buch nur zwei Garantien ab: Ersten werde ich keine schwachsinnige, braune Nazi-Scheiße von mir geben, wie dies etwa eine viel gepriesene Erziehungsikone namens Rudolf Steiner getan hat. Nein, ich werde nicht behaupten, weiße Frauen dürften in der Schwangerschaft keine Bücher von Schwarzen lesen, denn sonst käme bei der ganzen Geschichte ein ‚Mulattenkind’ heraus. Und zweitens werde ich nicht wie Jean-Jacques Rousseau meine Kinder in ein Heim stecken, damit ich genügend Zeit finde, einen halbphilosophischen, romantischen Verklärungsunsinn in die Welt zu setzen. Nur das kann und will ich euch garantieren.
Ach ja, noch was: Freilich nehme ich meine Leser (und heimlichen Leserinnen) sehr, sehr ernst. Die Texte und Tipps sind Gedankenanstöße, die mir bessere Nerven und einige freie Stunden beschert haben. Aber natürlich geht es in den folgenden Texten und Tipps um keine allgemeingültigen Betriebsanweisungen.
Wie hat Immanuel Kant so schön und vor allem klug gesagt: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Ja, haben wir den Mut, unsere Kinder mit unserem eigenen Verstand zu lieben.
Übrigens: Superpapis sind Extrembergsteiger.
Interviews von Extrembergsteigern und Eltern gleichen sich oft aufs Wort. Ein schauderlicher Klagegesang von der Talsohle bis zum Gipfel. Wer scheitert, den schluckt der Berg oder die Psyche. Wer durchhält, hat gute Aussichten: Staunen über das Leben und die Welt. Bergsteiger duzen sich auf ihrem Weg (oder ist es ein Aufstieg?) durch die Hölle. — Das machen wir in diesem Buch am besten auch.
Opa werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr!
Ich will mich jetzt nicht über zähflüssige Tröpfchen