Der Wüstensklave. J. D. Möckli

Der Wüstensklave - J. D. Möckli


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da?«, rutscht es ihm nach ein paar Sekunden heraus.

      »Vielleicht so neun oder zehn. Ich weiß es nicht mehr genau. Ich weiß nur eins: Ich durfte nur gegen meinen Lehrer oder meinen Vater verlieren, wenn dieser denn mal Zeit für mich hatte, weil sie mir Schach ja beigebracht haben.«

      Auf einmal wird er von den Armen seines Shariks umschlungen. Sich an ihn lehnend, seufzt er traurig auf. »Wenn mein Leben vor meiner Versklavung auch so scheiße gewesen ist, wie danach, dann will ich mich gar nicht daran erinnern und nur mit dir und Großvater im Hier und Jetzt leben.«

      Tröstend hält Kai seinen Liebsten im Arm und krault ihm sanft den Nacken. »Ach, Yari. Es war doch sicher nicht alles schlecht. Denk nur an deine Tante Amina. So wie du es mir erzählt hast, war sie immer wie eine Mutter zu dir. Willst du dich wirklich nicht noch mehr an sie erinnern? Oder an deine Schwester?«

      Kaum hat Kai die Worte ausgesprochen, beginnt Yari zu schluchzen. Über die Reaktion erschrocken, verstärkt Kai sofort die Umarmung.

      Seine Tränen nicht mehr zurückhaltend, lässt Yari seiner Wut über seinen Vater freien Lauf. Wieso hat ihm dieser Mann nur all das angetan? Wieso durfte er nicht wie ein normales Kind aufwachsen? Dann lässt er seine Gedanken zu Tante Amina und Ciana schweifen. Ja, er will sich wieder richtig an diese beiden Menschen erinnern und nicht nur so bruchstückhaft, wie es bis jetzt der Fall ist. »Kai, darf ich wirklich verlieren, ohne dass es Konsequenzen hat?« Mit einem fragenden Blick hebt er den Kopf von der Schulter seines Shariks und sieht ihn aus verweinten Augen an.

      Lächelnd erwidert Kai den Blick, während er Yari sanft über die immer noch feuchten Wangen streichelt. »Natürlich darfst du verlieren. Das tue ich gegen Großvater und dich doch andauernd. Weißt du, es muss immer Gewinner und Verlierer geben und das ist doch auch gut so. Denn nur das macht die Spiele interessant.«

      Nachdenklich senkt Yari den Blick, widersprechen die Worte seines Shariks doch denen, die er als Kind verinnerlichen musste und die ihm mit der Zeit die Freude an Spielen genommen haben. – An so vieles erinnert er sich inzwischen, aber noch immer ist es ihm ein Rätsel, wer er wirklich gewesen ist. Nur bei den Erinnerungen, die mit Tante Amina zusammenhängen, ist er wenigstens bei seinem Vornamen genannt worden. Sonst nie! Was hat das nur zu bedeuten?

      Sich seine Überlegungen nicht anmerken lassend, hebt Yari den Blick wieder und lächelt Kai schwach an. »Die Sonne wird gleich aufgehen. Was hältst du davon, wenn wir uns das Schauspiel auf der Hintertreppe ansehen?« Er neigt den Kopf ein wenig zur Seite und sieht seinen Sharik so verführerisch an, dass dieser ihm den Wunsch nicht abschlagen kann, obwohl er lieber etwas ganz anderes machen würde, als sich diesen blöden Sonnenaufgang anzusehen. Trotzdem nickt er und lässt sich von seinem Liebsten aus dem Bett ziehen.

      Kaum stehen sie neben dem Bett, schlingt Yari die Arme um seinen Sharik und zieht ihn an sich. »Danke, dass du immer für mich da bist, wenn ich dich brauche.« Einem Schmetterling gleich haucht er einen Kuss auf Kais Lippen und greift nach dessen Hand. »Na komm, bevor wir den Sonnenaufgang noch verpassen.«

      Auf der Hintertreppe lehnt sich Kai an Yari, der daraufhin lächelnd den Arm um ihn legt. So genießt Kai das erste Mal den Anblick des Sonnenaufgangs, hat er doch sonst nicht wirklich ein Auge für dieses Naturschauspiel, da er sich zu dieser Zeit in der Regel aus dem Bett kämpfen muss. Doch so mit Yari ist es schon etwas ganz anderes, weshalb er den Kopf nun auf dessen Schultern legt und genüsslich seufzt, als er spürt, wie sich Fingerspitzen leicht über seine nackte Haut bewegen.

      Yari liebt diese ruhige Zeit, in der die Nacht in den Tag übergeht. Jetzt hier mit seinem Sharik gemeinsam zu sitzen, macht diesen magischen Moment noch schöner. Besonders weil er weiß, dass Kai sonst nicht viel für Sonnenaufgänge übrig hat. Den Blick auf den nun in einem leuchtenden Rot erstrahlenden Himmel gerichtet, lässt er seine Finger immer wieder über Kais nackten Oberkörper gleiten.

      Im Flur lehnt sich Ren erleichtert an die Wand. Er verflucht in Gedanken den Vater des jungen Mannes. Wie kann man ein Kind nur bestrafen, weil es in einem Spiel verliert? Allerdings wird ihm jetzt auch klar, weshalb Yari so perfekt Schach spielt, dass nicht einmal Rebecca, die schon seit Jahren nicht mehr in diesem Spiel besiegt worden ist, eine Chance gegen ihn hatte. Der Junge muss auf Perfektion getrimmt worden sein.

      Auf einmal kommen ihm die Worte wieder in den Sinn, die Amara einst zu ihm gesagt hat: »Jamon war schon mit sechs Jahren oft so ernst wie ein Erwachsener. Viel zu selten habe ich ihn lachen oder entspannt spielen gesehen. Nur wenn ich ihm vorgelesen habe, war er immer wie der kleine Junge, der er eigentlich hätte sein sollen. Dann haben seine Augen immer geleuchtet.«

      Mit einem traurigen Blick auf seine beiden Enkel geht Ren in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten.

      Als das Rot des Sonnenaufgangs schon beinahe verblasst ist, steht Yari auf. »So langsam sollte ich mich wohl anziehen.« Sanft hilft er Kai auf die Beine und gibt ihm einen zarten Kuss. »Es war schön, hier mit dir zu sitzen. Wenn du wieder einmal so früh wach bist oder abends Zeit für den Sonnenuntergang hast, würde ich mich freuen, wenn wir dieses kleine Date wiederholen könnten.«

      Erst jetzt wird Kai wirklich bewusst, was dieses Zusammensitzen bei Sonnenaufgang für seinen Liebsten bedeutet hat. »Ja, das war es wirklich.« Die Hand in Yaris Nacken legend, zieht er ihn ein wenig zu sich runter und verwickelt ihn in einen liebevollen Kuss.

      Als sie sich wieder von einander lösen, lächelt er ihn an. »Mein Herz gehört dir.« Die Hand nun auf die nackte Brust seines Liebsten legend, sagt er: »Ich wiederhole das gern mit dir und so ein Date ist wirklich schön.« Dabei stolpert er beinahe über den ungewohnten Ausdruck, den er zwar kennt, aber selbst noch nie benutzt hat.

      Lange versinken sie in den Augen des jeweils anderen, bis sich Yari bedauernd abwendet. »Ich muss mich jetzt wirklich fertig machen und um die Pferde kümmern.« Schnell gibt er Kai noch einen Kuss, bevor er sich umwendet und ins Haus geht.

      Kai folgt ihm nach einem Blick in den Himmel deutlich langsamer ins Haus. Dabei fragt er sich, wie es ihm bis jetzt nicht bewusst sein konnte, auf was sie alles verzichten müssen, was für andere Pärchen selbstverständlich ist. Schon eine einfache Verabredung ist ihnen verwehrt, weshalb er in Zukunft wirklich diese kleinen Momente, wie es jetzt der Sonnenaufgang gewesen ist, für sie beide bewusst ermöglichen muss und will.

      Während des Frühstücks unterhalten sie sich darüber, was sie noch alles erledigen müssen. Mit keinem Wort werden die Ereignisse des frühen Morgens erwähnt, worüber Yari wirklich dankbar ist, denn auch wenn er es vom Verstand her begriffen hat, was ihm Großvater und Kai alles gesagt haben, so braucht er noch Zeit, um diese Erkenntnisse auch wirklich zu verarbeiten.

      Deswegen zieht er sich danach auch gleich wieder in den Stall zurück, um in Ruhe nachdenken zu können und natürlich auch, um die Pferde zu versorgen, die er ja am Vortag schändlich vernachlässigt hat.

      Auch Kai denkt über das, was er heute von Yari erfahren hat, nach. Dabei fragt er sich immer wieder, wieso es so schlimm gewesen ist, wenn sein Liebster in einem Spiel verloren hat. Verlieren gehört doch zum Spielen ebenso dazu wie das Gewinnen und nur, wer ein guter Verlierer ist, der ist seiner Meinung nach auch ein guter Sieger.

      Selbst als er dann im Laden steht, denkt er in ruhigen Momenten über die Ereignisse des Morgens nach, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Erst die Erkenntnis, dass sein Liebster wohl durch eine sehr strenge Erziehung gegangen ist, und dann dieses unglaublich schöne kleine … Date, das sie auf der Hintertreppe hatten.

      Beim Mittagessen will Kai mit Yari reden und diesen auch bitten, ihm wieder beim Zuschneiden der Stoffe zu helfen. Als er jedoch dessen nachdenkliches Gesicht sieht und ihm auf seine Fragen nur einsilbig geantwortet wird, lässt er es schweren Herzens bleiben.

      Auch Ren ist es aufgefallen, dass es in Yari arbeitet, weshalb er sich eigentlich schon darauf eingestellt hat, Kai zu bremsen, wenn es nötig sein sollte. Doch zu seiner Erleichterung ist das nicht nötig, da dieser die Zeichen diesmal wohl selbst richtig deutet. Er ist in diesem Moment unglaublich stolz auf Kai.

      Von seiner Umwelt bekommt Yari wirklich nur am Rande etwas mit, weil er tatsächlich


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