Der meergrüne Tod. Hans-Jürgen Setzer

Der meergrüne Tod - Hans-Jürgen Setzer


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sie einen Einheimischen gebeten hatten, das Foto zu machen. Er konnte förmlich das Wasser, den tollen Strand und die Sonne spüren und träumte sich einige Sekunden aus dem Büro. Er druckte einige Fotos auf seinem Laserdrucker aus und steckte sie in seine Aktenmappe. „Wer weiß, wozu es gut ist“, sagte er sich.

      „Na, willste Urlaub buchen, Walters? Oder stöberst du wieder mal auf den Kontaktseiten im Internet?“, fragte der nette Kollege vom Sportteil. Leon kam ruckartig von seiner Insel zurück in die Realität.

      „Könntest du dich um deine eigenen Recherchen kümmern, lieber Kollege? Vielleicht schiebst du beispielsweise den Aufstieg der Koblenzer Fußballer an, damit du deinen geliebten Beförderungsschreibtisch am hellen Fenster da hinten endlich beziehen kannst.“ Dabei grinste er den Kollegen frech an und wandte sich gleich wieder seinem Bildschirm zu.

      „Blödmann“, hallte es von nebenan.

      „Danke, du mich auch“, antwortete er in einem Tonfall, dem zu entnehmen war, dass das alles nicht wirklich ernst und böse gemeint war.

      Leon spürte, wie ihm so langsam die Decke auf den Kopf fiel und er fuhr den Rechner wieder runter, schnappte sich seine Jacke und die Aktenmappe und ging in Richtung Fahrstuhl. Völlig in Gedanken nahm er den Weg zu seinem Dienstwagen in der Tiefgarage. Erschreckt über sich selbst, merkte er, wie er fast in Trance den ganzen Weg zurückgelegt hatte, ohne irgendetwas oder irgendwen wahrzunehmen. So langsam würde es einmal Zeit für einen Urlaub. „Die Malediven wären ja ganz schön“, dachte er, sich gedanklich noch einmal an die Urlaubsfotos erinnernd. Doch das Buchen allein kostete ihn bereits Überwindung, so ganz ohne Begleiterin. Er dachte unwillkürlich an seinen letzten Urlaub auf den Seychellen und den dortigen Urlaubsflirt. „Wie hieß sie noch gleich? Yvonne, Yvette? Na ja, egal. Heute Abend werde ich einmal nach Urlaubsreisen im Internet schauen“, nahm er sich fest vor.

      Seinem Hungergefühl folgend, würde er erst einmal ein kleines zweites Frühstück zu sich nehmen und dann gestärkt das geplante Treffen ansteuern.

      Er fuhr mit seinem Fahrzeug auf den Parkplatz eines kleinen Cafés am Rheinufer und schlenderte zu einem Tisch im Freien.

      „Was darf es sein, für den Herrn?“, fragte eine junge, hübsche Kellnerin und lächelte dabei fröhlich.

      „Sie lächeln so gewinnend, dass ich Ihnen blind vertraue. Bringen Sie mir einfach Ihr Empfehlungs-Überraschungsfrühstück“, antwortete Leon und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Er liebte diese kleinen Spielchen mit Menschen, vor allem, wenn sie weiblichen Geschlechts waren.

      „Ich hatte heute Morgen frittierte Grashüpfer auf einem Ameisen-Schnecken-Geleebett“, kam schlagfertig ihre Antwort.

      Leon verzog das Gesicht. „Klingt lecker. Der Tag verspricht ja interessant zu werden“, sagte er und lächelte verschmitzt.

      „Der Koch sagt leider, das wäre für heute aus. Nein, jetzt mal im Ernst, was darf ich denn bringen?“

      „Sie haben gewonnen, junge Dame. Bringen Sie mir ein Frühstücksei, zwei Brötchen mit Wurst und Käse und ein Kännchen Kaffee. Das hätten Sie mir mit Ihrer Sach- und Menschenkenntnis sicher empfohlen, oder?“

      „Na klar. Gerne.“ Sie ging zurück zum Eingang des Cafés.

      „Und einen frisch gepressten Orangensaft!“, rief Leon hinterher.

      „Kein Problem, wird geliefert“, sang die Kellnerin fast.

      An dem Nachbartisch setzte sich eine Dame, minimal älter als er und nachdem Leon grübelte, woher er sie kannte, schoss es ihm wie ein Gedankenblitz durch den Kopf: „Jennifer Koch“.

      „Welch ein Zufall“, sagte er. „Sind Sie nicht Frau Koch?“

      Die Dame zuckte förmlich zusammen. „Ja, aber …“

      „Walters, Leon Walters, Koblenzer Tageskurier. Entschuldigen Sie, dass ich Sie so einfach anspreche und wie ich bemerkt habe, habe ich Sie damit ganz schön erschreckt.“

      „Ja, ja. Wie haben Sie mich überhaupt erkannt?“

      „Ein guter Reporter weiß alles oder sagen wir es etwas bescheidener, fast alles“, lächelte er. „Darf ich Sie zu einem Frühstück einladen? Leider habe ich schon bestellt. Aber die freundliche junge Dame kommt sicher gleich wieder“, sagte er.

      „Gerne, ja, dann könnten wir vielleicht gleich hier …?“, fragte sie ein wenig verunsichert. „Ich dachte, ich trinke vor unserem Termin noch einen Kaffee und das Schloss ist ja gleich um die Ecke. Auf alle Fälle wollte ich pünktlich sein.“

      „Stärken wir uns erst einmal, dann geht sicher alles ein wenig leichter. Möchten Sie hier oder lieber an einem anderen Tisch Platz nehmen?“

      „Nein, Ihr Tisch ist völlig okay.“ Sie setzte sich und schaute etwas betrübt unter sich.

      Der nächste Fall

      Die nette Kellnerin brachte für beide das gleiche Frühstück. Während sie ihre Brötchen schmierten, belegten und aßen, begann Jennifer Koch ein wenig zu erzählen.

      „Wissen Sie, ich habe mich immer bemüht, eine gute Mutter zu sein. Nach dem Tod von Julians Papa sicher noch mehr. Ich habe versucht, ihm Vater und Mutter gleichzeitig zu sein. Natürlich geht das nicht, wie mir im Laufe der Zeit immer klarer wurde. Doch das jetzt …“ Sie weinte.

      Leon reichte ihr ein Taschentuch.

      „Entschuldigen Sie.“

      „Ach was, das ist völlig in Ordnung.“ Er nahm tröstend ihre Hand und sie schaute ihn freundlich an. „Was ist denn nun eigentlich passiert?“, nahm er das Gespräch wieder auf.

      Ihr Gesicht wechselte wieder ins Sorgenvolle.

      „Gegen Ende der Grundschulzeit ging das alles los. Als Julian in der dritten Klasse war, hatte sein Vater einen Unfall. Er war ja nie viel zu Hause. Für einen Maschinenbaukonzern war er in der ganzen Welt auf Montage. Alle paar Wochen war er mal für eine knappe Woche auf Heimaturlaub. Manchmal sind wir auf Firmenkosten für einige Tage ins jeweilige Einsatzland geflogen und haben ihn dort besucht. Julian war diesbezüglich also gar nicht übermäßig verwöhnt. Eines Tages kam jedoch tatsächlich die immer wieder befürchtete Nachricht.

      Ein Vorgesetzter von Achim kam und klingelte. Da wusste ich schon, dass etwas nicht stimmte. Achim war unter einen großen Stahlträger geraten. Mit den Sicherheitsvorschriften haben die es am Ende der Welt oft nicht so genau genommen. Das hatte Achim häufig erzählt und bescherte mir natürlich die eine oder andere Sorge. Anfangs regte es ihn sogar selbst noch auf, doch irgendwann kapitulierte er und arbeitete nach deren lockeren Regeln. Heute muss ich sagen: Leider gab er dort seine Zwänge auf, die mich sonst gewaltig an ihm nervten. Einige Tage konnte ich es Julian einfach nicht sagen. Doch die Beerdigung rückte näher und ich musste dann …“ Sie weinte erneut. Leon strich ihr ein wenig über den Rücken. Es schien ihr nicht unangenehm zu sein.

      „Ich verstehe. Sie haben schwere Zeiten hinter sich“, sagte Leon.

      „Oh ja. Wir haben das alles gemeinsam miteinander durchgestanden und ich weiß manchmal nicht, wer wem mehr Stütze war. Irgendwie konnte Julian hierdurch nie so richtig Kind sein, glaube ich heute. Er war mehr ein Ersatzpartner. Auch wenn ich oft versucht habe, dies unter allen Umständen zu verhindern. Automatisch lief es immer wieder ein wenig darauf hinaus.“

      „Sie sprachen vorhin von Drogenproblemen.“ Leon versuchte, wieder auf das eigentliche Thema zurückzulenken.

      „Lassen Sie mich erst einmal weitererzählen“, sagte sie und verdeutlichte hiermit ihr Bedürfnis, mit irgendjemandem einmal darüber reden zu müssen.

      „Klar.“ Leon nickte dabei verständnisvoll.

      „Julian wurde gegen Ende der Grundschulzeit ständig zappeliger und unkonzentrierter. Die Lehrer bestellten mich immer häufiger in die Schule oder riefen zwischendurch an und baten mich, mit Julian zu einem Kinderpsychologen oder einem Psychiater zu gehen. Glauben Sie mir,


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