Der Pinocchio-Effekt. Thomas Werk

Der Pinocchio-Effekt - Thomas Werk


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im achten: „Du sollst kein falsches Zeugnis von dir geben wider deinem Nächsten.“ Heißt nichts anderes, als überall die Wahrheit zu sagen und die Taten des Nächsten wenn immer möglich positiv auszulegen. Es verbietet uns also jede Art von Falschheit, also auch die gegenüber anderen, was gemeinhin als üble Nachrede, Verleumdung, Herabsetzung – und eben Lüge bezeichnet wird.

      „Geht es Ihnen heute gut“, wird die krebskranke Frau gefragt. Müde lächelnd antwortet sie mit einem gequälten „Ja“, weil sie die Schmerzen verspürt – und sie hat glatt gelogen.

      „Meyer, haben Sie die Power Point-Präsentation für den Vortrag heute Mittag fertig?“ – „Aber sicher doch, Chef, alles perfekt – Ihre Wünsche sind berücksichtigt!“ Glatt gelogen, der Kollege kommt nämlich jetzt erst richtig ins Schwitzen.

      „Habt Ihr im Lotto gewonnen? So ein großes neues Auto muss doch echt ne Stange Geld kosten. – „Na klar doch, ne Million!“ Ist das nun Lüge oder nur Flunkern? Die Nachbarn haben nämlich einen Kredit aufgenommen.

      Manchmal sind die Grenzen zwischen Lüge und Übertreibung fließend. Kommt es überhaupt noch auf die Wahrheit an? Wen interessiert es schon, woher das Geld für den neuen Wagen kommt? Das Unrechtsbewusstsein für Lug und Betrug verschwindet mehr und mehr.

      Lüge als angeblicher Selbstschutz

      Wir leben in einem weiteren Dilemma: Der Mensch ist so löchrig geworden wie ein Schweizer Käse. Wir sind gläsern, auch in unseren Gedanken. Allein die Datensammlungen im Internet machen unser Verhalten, unsere Vorlieben und Interessen für jedermann abrufbar. Ist es da nicht allzu verständlich, dass wir tagein tagaus unsere wahre Identität verbergen – und lügen? Lügen aus reinem Selbstschutz – darf man das? Man rät ja sogar, Phantasienamen und –Profile anzulegen. Die Lüge an und für sich hat einen anderen Stellenwert bekommen. Seien Sie also generell vorsichtig, im Web Ihre wahre Identität, Telefonnummer oder Adresse preiszugeben, geschweige denn, Ihre Kontonummer und Geheimzahl. Da müssen Sie sich schon verdammt sicher sein.

      Aber wie so oft entscheiden ja leider Emotionen, und wenn es vorgegaukelte Gefühle sind. Unsere Zeit begünstigt also das Flunkern, und warum dann nicht auch an der Supermarktkasse, ob man Biobananen oder normale eingepackt hat, bei der Politesse, ob man vielleicht gerade erst angekommen ist und eben einen Parkschein ziehen wollte, bei der Lehrerin über die nicht erledigte Hausarbeit, bei den Eltern über den Drogenkonsum und so weiter. Wir lügen, dass sich die Balken biegen.

      Schlimme Lügen

      Allzu leicht degeneriert die Lüge zum Kavaliersdelikt. Wir machen uns nichtmehr klar, dass Lügen und Betrügen wirklich schlimm sind. Schnell sind wir mit der Notlüge bei der Hand. Wo aber ist die Grenze zwischen böser Lüge und zu vernachlässigender Notlüge? Lüge wird dann wirklich schlimm, wenn sie anderen schadet. Die alten Taschendiebe sind die modernen Lügner und Betrüger – White Collar Kriminalität nennt man das, die Diebe und Lügner im weißen Kragen, mit Anzug, Hemd und Krawatte. Sie machen sich die Finger nicht mehr schmutzig, sondern klauen Bankdaten und Passwörter und betrügen so millionenfach. Und fragt man sie vor Gericht, was sie sich dabei gedacht haben, lassen sie jedes Unrechtsbewusstsein vermissen.

      Die Leute seien ja selbst daran schuld, wenn sie so leichtfertig mit ihrer Kreditkarte umgingen. Da, wo Menschen zu Schaden kommen, auch in ihrem Ansehen oder ihrer Ehre und vor allem in ihren Gefühlen, ist Lüge echt schlimm. Beispiel Loverboys: Das sind junge Männer, die meist junge Frauen und Mädchen übers Internet emotional abhängig machen, um sie dann auf den Strich zu schicken und für sich anschaffen zu lassen oder sie gar unter Drogen zu setzen und in die Abhängigkeit zu treiben. Das sind die ganz üblen Betrüger, die falsche Gefühle vortäuschen und lügen.

      „Weiße“ Lügen

      Eine Notlüge befreit uns aus einer misslichen Lage. Sie wollen nicht, dass jemand von Ihnen etwas erfährt, Beispiel: Der aufdringliche Postbote hat einen Brief für Ihnen Mann. Sie wollen ihm aber nicht sagen, dass er im Moment nicht zu Hause ist, damit er Sie nicht belästigt. Also erfinden Sie die Notlüge, dass er krank im Bett liegt. Anderes Beispiel: Sie haben gerade Ihren Job verloren, weil Ihre Firma Personal abbaut. Der Mitarbeiter bei der Bank macht Sie darauf aufmerksam, dass die Hypothek fürs Haus noch nicht bezahlt ist. Schnell erfinden Sie eine Notlüge (man kann sie auch Lüge nennen), dass durch einen Buchungsfehler Ihr Gehalt noch nicht überwiesen sei.

      Weiteres Beispiel: Ihre beste Freundin holt Sie zum Training im Fitnessclub ab; Sie kneifen und sagen, Sie hätten gerade Ihre Regel. In Wirklichkeit aber haben Sie keinen Bock mehr auf diese Freundin, die Sie ständig nervt. Ihnen fehlt der Mut, ihr klar ins Gesicht zu sagen: „Du, Helga, ich fühle mich von Dir echt genervt, bevormundet – ich will meine Freiheit haben!“

      Nun haben Sie einige Beispiele für Notlügen gelesen, die alle auch einen gewissen Schutzmechanismus darstellen. Ob wir über „schönes Wetter“ reden, das in Wirklichkeit nicht da ist, über einen „tollen Job“, der die Hölle ist, über „viel Geld“, das man nicht hat – Notlügen gehen uns tagtäglich über die Lippen, ob aus Schutz oder Übertreibung und Angeberei. Warum können wir eigentlich nicht ganz einfach wir selbst bleiben und sagen, was ist und wie es ist?

      Und seien wir doch mal ehrlich: Wer will schon gerne Otto Normalverbraucher sein? Ein bisschen mehr Schein als wirklich Sein liegt doch in der Natur des Menschen. Sonst wären wir doch für andere langweilig. Also hübschen wir uns ein wenig auf und verdienen halt 5.000 Euro im Monat anstatt „nur“ 2.500. Machen Sie es nicht auch so bei Ihrem Kreditkarten-Antrag? Und wie sieht´s mit Ihrer Ehrlichkeit in der Steuererklärung aus, mit der Autoversicherung? Steht Ihr Wagen wirklich in der Garage oder doch auf der Straße, was die Prämie verteuert? All diese Lügen sind natürlich hier nicht gemeint. Wir wollen Ihnen ja helfen, die wahren Lügner und Betrüger herauszufinden, damit Sie keinen Schaden nehmen.

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