ÜBERLEBEN. Thomas GAST
er nicht nur sich, sondern auch meine Männer unnötigerweise in Gefahr. Seine Reaktion war, wie ich sie nicht anders erwartet hatte. Er lachte, verstand sofort, was ich meinte, wollte mir gar einreden, dass eine offensive Berichterstattung nötig sei und dass er gut selbst auf sich achtgeben könne. Ich lachte nicht. Nicht mehr. Yves war für mich wie ein rotes Tuch.
Mut hatte Debay, das musste man ihm lassen. 1991 wurde er mitten in der Wüste von Saddam Husseins Republikanischen Garden festgenommen, weil er, den US-Koalitions- Soldaten vorneweg, ganz einfach mal frech und unerlaubt mit seinem Toyota die Frontlinie allein überquerte. Husseins Schergen, die annahmen, er sei ein US-Spion, warfen ihn kurzerhand ins Gefängnis. Er hatte Glück, kam mit einem blauen Auge davon. Wieder einmal, müsste man sagen.
Als im Jahr 2003 amerikanische Panzer in Bagdad einrollten, war er natürlich ganz vorne dabei. Ihm ging auch das alles zu langsam.
Einige Jahre später, im Januar 2013, ich hatte die Legion bereits verlassen, hörte ich, dass Yves – der battlefield junkie wie er auch genannt wurde – tot ist. Ein syrischer Scharfschütze hatte dem Leben des Tausendsassas ein Ende bereitet. Das zumindest war die offizielle Version. Eine andere, mir zu Ohren gekommene Darstellung, ist weniger schön. Angeblich wurde er aus nächster Nähe, in Sichtweite mit dem Zentralgefängnis, einfach niedergeschossen: Eine Kugel in den Kopf, eine weitere in die Brust. Gleichzeitig berichtete Al-Jazeera vom Tod des Freelance Korrespondenten Mohamed Al-Massalma (Mohamed Al-Hoorani). Beide Journalisten waren für ihren Mut und für ihre präzise offensive Berichterstattung bekannt. Zwischen Mut und Dummheit zu unterscheiden, ist eine Kunst, die nicht jedem Journalisten gegeben ist. In derselben Woche, in der ich Yves Debay in Brazzaville kennenlernte, musste meine Einheit zu einem sehr delikaten Einsatz raus in die Stadt, hinein in den brodelnden Hexenkessel. Umringt von nicht weniger als hundert, in Stellung sitzenden Kobra-Rebellen, sicherten wir mit nur einem gepanzerten Fahrzeug und acht Mann den ´Spot` ab, holten einige Französische Staatsangehörige aus ihrem, unter Beschuss liegenden Haus und luden sie mit ihrem tragbaren Hab und Gut – jeder hatte Recht auf eine hastig gepackte Reisetasche – auf unser bereitstehendes, ebenfalls gepanzertes Fahrzeug. Sie ließen an dem Tag alles zurück, hatten alles verloren, die Villa ihres afrikanischen Nachbarn, der tot, mit dem Gesicht nach oben im Garten lag, brannte bereits. Es musste schnell gehen, denn die Kobras schienen mir recht ungeduldig und nervös. Einige von ihnen waren betrunken, andere, die Augen blutunterlaufen, bekifft. Meine Einschätzung war nüchtern. Sollte es hier zu einer Konfrontation kommen, kämen wir nicht lebend weg. Keiner von uns! Es waren einfach zu viele. Und es waren zu viele verdammte Panzerfäuste Typ RPG7 vor Ort. Als einzige schwere Waffe verfügte mein Team über ein MG vom Typ Browning Kaliber 50. Das war nicht genug. Auf größere Distanz hatte diese Waffe eine verheerende Wirkung, es aber jetzt, im Gedränge effizient einzusetzen, dafür waren die Cobras einfach zu nahe dran. Die Mission fast erfolgreich ausgeführt, tauchte am Einsatzort plötzlich ein Toyota auf. Er brauste heran, hielt an, die Türen öffneten sich und ein halbes Dutzend Journalisten sprang heraus. Vermutlich rochen sie ´die Story` ihres Lebens. Sie führten eine ganze Palette von Kameras mit sich und begannen selenruhig Aufnahmen zu machen. Sie hatten weder eine Clearance (grünes Licht von den Behörden), noch wurden sie von einem Einheimischen Offizier begleitet. Unser Hauptquartier wusste von nichts. Es hätte nichts Schlimmeres passieren können. Die Cobras drehten plötzlich völlig durch. Mit einem Satz waren alle auf den Beinen und luden ihre Waffen durch. Mordlust stand in ihren schwarzen Augen. Einige RPGs richteten sich demonstrativ auf unseren VAB Schützenpanzer. Wild gestikulierend, waren sie sich noch uneins. Sie stritten, gifteten und schrien sich gegenseitig an. Doch dabei blieb es nicht. Einige von ihnen wurden den Journalisten gegenüber handgreiflich. Kurz: Die Kacke war mächtig am Dampfen!
Foto: Yves Debay (Dezember 1954 – Januar 20139). Bildquelle (Crédit: Karl Prost) - https://en.wikipedia.org/wiki/Yves_Debay.
Über Funk versuchte ich den Hauptmann zu erreichen, was mir jedoch nicht gelang. Er war plötzlich umringt von einigen Cobras, und, wie es schien, selbst in einem üblen Handgemenge. Plötzlich hagelte es die ersten Schläge für die Journalisten. Man begann, ihre Ausrüstung zu zertrümmern und mit Fäusten auf sie einzuschlagen. Mir ging der Arsch auf Grundeis, denn das rasch angefunkte Headquarter befahl, wir sollten auf keinen Fall einschreiten. Das war ja das Dilemma. Sollten wir zusehen, wie europäische Journalisten von blutrünstigen Afrikanern hingemetzelt wurden? Mein Fahrer, ein Pole, las wohl meine Gedanken und sagte: Verdient hätten sie es nicht, aber …“ Als er meinen Blick auffing, blieb ihm der Rest, von dem was er sagen wollte, im Hals stecken. Irgendwie ging alles nochmal gut, so gerade noch. Ein Fingerschnippen hatte gefehlt und die Journalisten wären umgebracht worden und wir mit ihnen. Diese Journalisten waren nicht mutig, sie waren nur dumm.
WANTED
Scharfschützen, Bombenleger, aufständische Insurgenten und Mörder: Glaubt man unbestätigten Quellen, so gibt es bereits Belohnungen für diejenigen unter ihnen, die einen Journalisten kidnappen oder ermorden. Der Deutsche Jörg Armbruster wurde im März 2013 fast Opfer einer solch abscheulichen Terrorstrategie. Armbruster, in Syrien durch Schüsse schwer verletzt, war viele Jahre ARD-Korrespondent für den Nahen und Mittleren Osten. Auch dieser Vorfall ereignete sich in Aleppo, (wie der Mord an Yves Debay).
Knapp zwei Jahre später saß ich mit Sonia Seymour Mikich (sie war damals Leiterin des ARD-Studios in Paris und wurde später deutschlandweit bekannt durch die Sendungen Monitor und die Story) beim Lunch in einem Restaurant im Hafen von Calvi (Korsika). Sie war mit einem kompletten Team angereist, um eine Reportage über Russen in der Fremdenlegion zu drehen. Während des Essens ließ Frau Mikich nur wenig über ihren bis dato brillanten beruflichen Werdegang durchdringen. Unter anderem, so erzählte sie, war sie die einzige westliche Journalistin, die aus der von den Russen eingekesselten, massiv bombardierten Stadt Grosny Bericht erstattete. So sympathisch, kühl und sicherlich auch gewollt distanziert ihr Auftreten mir gegenüber war, so wenig konnte sie ihre Emotion über das dort Erlebte doch verbergen. Immer wieder drang, obschon kaum spürbar, durch, welche Gefahren ihr Metier als Journalistin so mit sich geführt hatte. Ich kenne sehr viele gestandene Männer, die sich nicht in dieses Abenteuer Grosny gewagt hätten, deshalb: Hut ab, Frau Mikich!
Auch mit Adrien Jaulmes hatte ich einige Gespräche. Er war erst Offizier in der Fremdenlegion - diente als Leutnant im Zweiten Fallschirmjäger- Fremden Regiment in derselben Kompanie wie ich - und wurde danach Krisen- und Kriegsreporter. Jaulmes hat damals alle Krisenregionen mit seinen Reportagen abgedeckt: Libanon, Syrien, Palästina, Irak und Afghanistan. Im Jahr 2010 berichtete er für das Magazin „Le Figaro“ unter anderem aus vorderster Front vom Einsatz der Fallschirmjäger der Legion (2. REP) in Afghanistan. Die Fotos, die er und sein Team damals schossen, gingen um die Welt. Mit seiner kühl abwägenden und sehr sympathischen Stimme sagte er mir klipp und klar, was die anderen nur angedeutet hatten: „Die Risikobereitschaft ganz nach vorne zu gehen hat man oder man hat sie nicht. Viele haben sie nicht … aber ohne, so kommen wir alle zum selben Schluss, ohne geht es nicht.“
DAS PRINZIP
Einschränkung der Pressefreiheit oder gar ein Verbot, Sklaverei, Unterdrückung, Korruption, Folter und sexuelle Gewalt - in welcher Form auch immer - gehen uns alle an. Zeitnah, direkt und objektiv darüber zu berichten ist jedoch die Aufgabe derer, die es sich zum Metier gemacht haben: Journalisten. Mal junge mal alte Abenteurer, oft erfahrene Korrespondenten, dann wieder unvorbereitete Neulinge. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie gefährden ihr Leben und ihre Gesundheit. Krisen- und Kriegsberichterstatter wird, wer vier Eigenschaften besitzt, die wie Blitz und Donner aufeinandertreffen. Neugier, Mut, Ritterlichkeit und Intelligenz. Hinzu kommt eine Berufs-Ethik, die besticht. Diese Einschätzung betrifft die Majorität der Journalisten, mit denen ich in Krisenregionen Kontakt hatte. Leider sind nicht alle so „nobel“. Einige Journalisten, die sich in diese Kriegs- und Krisengebiete wagen, wägen die Gefahren häufig nicht genau genug ab: Sie halten sich für schlauer als erfahrene Militärs