Tenderbilt. Martin Cordemann
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Martin Cordemann
Tenderbilt
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Knisternd sackte das Holz im Kamin in sich zusammen. In seinem Schaukelstuhl saß der alte Graf Benedict, eine Pfeife im Mundwinkel und leise vor sich hinrauchend. Er schüttelte den Kopf und musste lächeln. Die Geschichte, die ihm sein Enkel gerade erzählt hatte, übertraf wirklich bei weitem die Erzählungen, die er in den letzten Jahren zu hören bekommen hatte. Nicht, dass die Geschichte unglaubwürdig klang, sie war vielmehr zu verrückt, um widerspruchslos akzeptiert zu werden. Selbst in seiner Jugend hatte er nichts Derartiges ausgefressen, aber wahrscheinlich lag es daran, dass sich die Zeiten tatsächlich änderten. Jedenfalls gab es keinen Zweifel, dass der junge Teddy zu seinen Nachkommen zählte, wenn er auch gewisse Apathien gegen den Namen hegte. "Teddy" war in seinen Augen ein Stofftier, kein halbwegs erwachsener Jugendlicher. Aber wie gesagt, die Zeiten änderten sich.
"Wie bist du denn auf die Idee gekommen?" hakte Benedict noch einmal nach.
"Pffff", Teddy machte eine unbestimmte Handbewegung und grinste.
Es war an einem Samstag, die Läden schlossen gerade und Teddy befand sich auf dem Weg nach Hause. Er wohnte schon lange nicht mehr im Hause seiner Ahnen; schon sein Vater hatte das ländliche Anwesen verlassen und war in die Stadt gezogen, um seinen Kindern, Teddys Bruder Rodney war im Alter von zehn Jahren bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen, eine ausreichende Ausbildung zukommen lassen zu können. Eine unbestimmte Melodie vor sich hin pfeifend schlenderte er durch die Straßen und dachte an nichts Bestimmtes. Auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums fiel ihm ein verlassener Polizeiwagen auf, die beiden Polizisten betraten gerade das Einkaufszentrum. Als er fast an dem Wagen vorbei war, kam ihm plötzlich eine, wie sein Großvater später sagen sollte, immens dumme Idee. Ein Grinsen stahl sich auf seine Lippen, er sah sich um, bückte sich und schraubte das vordere Nummernschild des Polizeiwagens ab, dann das hintere. Schnell lief er vier Wagen weiter, entfernte die Nummernschilder, lief zurück, brachte sie am Polizeiwagen an und umgekehrt. Dann, um dem Spiel die Krone aufzusetzen, knackte er den Privatwagen mit den fremden Nummernschildern und parkte ihn, weitgehend unbeschädigt, drei Querstraßen entfernt. Grinsend setzte er seinen Weg fort.
"Ich fürchte, an sowas musst du dich gewöhnen", meinte Graf Benedict zu seinem Sohn, als er wegen der Geschichte mit den Nummernschildern in das ländliche Anwesen kam, um mit seinem Vater die Angelegenheit zu besprechen.
"Es ist doch nicht normal." Benedicts Sohn, Teddys Vater und Veronikas Mann, Frederico, lief nervös auf und ab, wobei er hin und wieder einen Blick durch eines der Fenster hinab in den Garten warf. Rot leuchteten ihm die Rosen entgegen, Benedict liebte diese Farbe. Sie erinnerte ihn an seine Jugend. Früher hatte er oft im Garten gespielt, oder er hatte Rosen für seine Freundinnen gepflückt. Einmal hatte er sich auch hinter das Rosenbeet flüchten müssen, um nicht erschossen zu werden. Der Anblick des Gartens barg viele Erinnerungen für ihn, gute wie schlechte. Für Frederico, der hin und wieder nervös hinuntersah, bedeuteten die Rosen nichts. Er nahm sie kaum wahr, lediglich der helle rote Schein war ihm bewusst. "Wie kann ein Junge auf so eine Idee kommen?"
Benedict hob die Schultern. Es war auch ihm ein Rätsel. Er hatte so etwas nie gemacht. Allerdings gab es zu seiner Zeit weder Polizeiwagen noch Nummernschilder. Aber im Prinzip fand er die Idee auch nicht besonders gut, vielleicht ganz reizvoll, aber nicht gut. "Das Schlimme ist, es gibt nur einen, der für so einen Unsinn in Frage kommt, die Stadt ist eben auch nur ein Dorf."
"Ja, mein Junge, du musstest ja unbedingt wegziehen von Haus Senkmoor."
"Fang nicht wieder mit dieser alten Geschichte an." Frederico starrte auf das Rosenbeet, so dass sich Benedict zu fragen begann, ob er dort vielleicht etwas Entscheidendes übersehen hatte, als er das letzte Mal einen Blick darauf geworfen hatte. Vielleicht verbuddelte gerade ein Hund einen Knochen, oder, was noch schlimmer wäre, Barrings, der Gärtner, eine Leiche. Es wäre schade, er wollte Barrings nicht verlieren, er war ein guter Gärtner. Was nicht hieß, dass so etwas nicht schon einmal vorgekommen wäre. Im Gegenteil.
"Siehst du dort im Garten eine schöne Nixe, die, nackt wie sie ist, sich in der Sonne badet?"
"Was?"
"Schade, na, vielleicht ist sie