Veilchen-Anthologie Band 2. Andrea Herrmann (Hrsg.)

Veilchen-Anthologie Band 2 - Andrea Herrmann (Hrsg.)


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sind: „Das Veilchen. Ein Taschenbuch für Freunde einer gemüthlichen und erheiternden Lectüre.“

      J. W. von Goethe „Das Veilchen“

      Ein Veilchen auf der Wiese stand

      Gebückt in sich und unbekannt;

      Es war ein herzig´s Veilchen.

      Da kam ein´ junge Schäferin,

      Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,

      Die Wiese her, und sang.

      Ach, denkt das Veilchen wär´ ich nur

      Die schönste Blume der Natur,

      Ach nur ein kleines Weilchen,

      Bis mich das Liebchen abgepflückt

      Und an dem Busen matt gedrückt!

      Ach nur, ach nur ein Viertelstündchen lang.

      Ach – aber ach, das Mädchen kam

      Und nicht in acht das Veilchen nahm,

      Zertrat das arme Veilchen.

      Es sank und starb und freut‘ sich noch:

      „Und sterb‘ ich denn, so sterb‘ ich doch

      Durch sie, durch sie,

      Zu ihren Füßen doch.“

       Veilchen im Juli 2008, Ausgabe 22

       Nora Zorn, Andrea Herrmann

      Der Dieb

      Es klingelt an meiner Tür. Ein Mann mit einer Tasche steht draußen, der von seiner Kleidung her einen etwas altmodischen Eindruck macht.

      „Guten Tag“, sagt er. „Ich bin Herr Frei, ein Dieb.“

      Es folgt ein warmer Händedruck.

      „Ist bei Ihnen momentan jemand zu Hause?“

      Ich verneine und bitte ihn herein, worauf er sich sehr höflich bedankt.

      „Setzen Sie sich doch erst einmal“, sage ich und biete ihm einen Tee an. Herr Frei setzt sich, stellt seine Tasche ab und nimmt den Tee. Er lässt seine Blicke schweifen.

      „Bestimmt möchten Sie meine Wohnung inspizieren?“, sage ich.

      „Selbstverständlich“, betont Herr Frei.

      „Vielleicht kann ich Ihnen helfen, wenn Sie mir sagen, wonach Sie genau suchen?“

      „Nun“, sagt er, „die Sache ist ein wenig delikat. Ich suche in erster Linie – Walderdbeeren.“

      „Oh“, sage ich, „damit kann ich ausnahmsweise nicht dienen.“

      „In zweiter Linie suche ich Zahnstocher.“

      „Da sind Sie hier richtig“, antworte ich und biete ihm an, selbst nach ihnen zu suchen.

      Mit Könnergriff öffnet er so gut wie lautlos einige Schubladen und Regaltüren in der Küche und wird nach nicht einer Minute schon fündig. Er öffnet die kleine Schachtel, nimmt sich drei heraus, verschließt das Behältnis wieder und stellt es an Ort und Stelle zurück.

      „Wissen Sie“, sagt Herr Frei und setzt sich wieder, „am köstlichsten sind Walderdbeeren dann, wenn man sie von der Spitze eines Zahnstochers verspeist.“

      Aus seiner Tasche holt er beschwingt ein weißes Tuch, das er auffaltet und vor sich legt, danach eine kleine Tüte, in die er mit einem der Zahnstocher hineinsticht. Er zieht daraus eine große Erdbeere hervor. Diese legt er, elegant am Stäbchen gefasst, auf das kleine Tuch. Nach kurzer Zeit liegen drei aufgespießte Erdbeeren vor ihm.

      „Notration!“, sagt er.

      „Verstehe“, sage ich.

      Nachdem er die drei Erdbeeren genüsslich verspeist hat, dreht er jeden Zahnstocher um und spießt zu meinem Erstaunen drei weitere Erdbeeren auf. Diese legt er auf sein Tüchlein, das er zu mir herüberschiebt. „Bitte“, sagt er, „kosten Sie einmal!“

      Ich zögere ein wenig, doch dann nehme ich eine, dann eine zweite und zuletzt die dritte.

      „Köstlich!“, sage ich und lecke mir die Lippen. Durch das Fenster sehe ich den Himmel strahlen.

      „Ich suche manchmal Plätze zum Beten“, sagt Herr Frei überraschend in die entstandene Ruhe hinein. „Am besten sind leere Wohnungen für ein Gebet.“ Er steht auf und geht im Zimmer umher. Ich nehme meinen Schlüssel und verlasse leise die Wohnung, um Herrn Frei nicht zu stören.

      Als ich zurückkomme, ist er verschwunden, ebenso das Tüchlein und die Zahnstocher. Alles ist wie vorher. Sogar sein Gebet hat er mitgenommen.

       Veilchen im Oktober 2004, Ausgabe 7

       Armin Steigenberger

      „Die Königin ist tot!“

      Noch fünf Minuten. Jetzt fängt das Kribbeln an. Pünktlich wie immer, dachte Bruno, während er dem Treiben auf der Bühne folgte.

      Bis hierhin hatte Klostermann zweimal den Text durcheinandergebracht und war einmal falsch abgegangen. Er wäre für jede Rolle eine glatte Fehlbesetzung gewesen, aber hier durfte er den König spielen. Auch hinter der Bühne, denn zusammen mit dem Regisseur hatte er eine ganz eigene Vision dieses Stückes, das Bruno schon hunderte Male gespielt hatte. Beide hatten wilde Ideen, den alten Plot aufzupeppen und keiner merkte, wie der Geschichte so nach und nach der Zauber genommen wurde. Wenn Bruno nicht die Hoffnung auf Besserung gehabt hätte, wäre er noch während der Proben ausgestiegen. Er merkte schnell, dass seine Erfahrung bei keinem der Verantwortlichen gefragt war. Er war bei weitem der Älteste in der Truppe und wurde behandelt als sei sein Haltbarkeitsdatum als Schauspieler und als Mensch bereits überschritten. Vor allen Dingen Klostermann ließ ihn das spüren. Und sein gesamter Hofstaat, sprich das Ensemble zog mit, da man es sich nicht mit dem König verscherzen wollte.

      Schließlich tröstete sich Bruno damit, dass seine Rolle recht klein war. Ein paar Sätze im vierten und fünften Akt. Darunter aber ein sehr wichtiger. Er lautete:

      „Die Königin, Herr, ist tot.“

      Allerdings führte Bruno schon seit der Premieren-Vorstellung eine äußerst unsinnige Diskussion über die Interpretation eben dieses Satzes. Klostermann, der als König diese unerfreuliche Nachricht erhielt, war der Meinung, Brunos Darstellung würde dem Satz nicht die nötige Tragik verleihen. Bruno wäre so manches zu der stümperhaften Darstellung seines Kollegen eingefallen, aber er wollte keinen Ärger. Er war mittlerweile zu alt, um sich auf diese Art Diskussionen einzulassen und so würde er die Szene auch heute Abend in einer Art Kompromiss spielen, mit dem er ohne Weiteres leben konnte. Es würde Klostermann natürlich nicht gefallen. Es würde wieder eine Zurechtweisung geben.

      Bruno musste er an den heutigen Tag denken. Er hätte auch an die gesamten letzten zwei Monate denken können, aber es war genau das, was heute passiert war.

      Er war wie immer einer der Ersten im Theater und das, obwohl es noch gute zwei Stunden bis zum ersten Vorhang und mindestens vier bis zu seinem ersten Auftritt dauerte. Er brauchte diesen Vorlauf, um die Atmosphäre der Bühne und des Theaters aufzunehmen. Während er mit verschränkten Armen langsam über die Bühne wanderte, kam einer der Techniker auf ihn zugelaufen.

      „He, wie sind Sie hier reingekommen? Sie können hier nicht bleiben.“

      Bruno kannte den Mann nicht. Er schien neu zu sein.

      „Lass´ mal, der Alte spielt bei dem Stück mit. Hat so ´ne kleine Rolle“, rief ein anderer Techniker, der gerade einen Scheinwerfer wechselte und nickte Bruno zu als wolle er sagen: „Keine Ursache, gern geschehen.“

      Eine


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