Aus dem Tagebuch eines Hundes. Peter Eckhart Reichel
lange noch nicht zufrieden. Sie wollen einfach immer mehr erreichen und wir Hunde wollen das natürlich auch, denn lernen bereitet uns sehr viel Spaß. Und damit jeder seine Reifeprüfung fürs Leben erhalten kann, geht’s ab auf eine Hundeschule. Ihr kennt das ja vielleicht aus eigener Erfahrung, das ist so eine Art Kindergarten. Genau da beginnt der eigentliche Ernst des Lebens. Nur leider kommt der Spaß in einigen dieser Bildungseinrichtungen manchmal viel zu kurz. Die vielen Frauchens und Herrchens werden dort zum Beispiel einfach nur Hundehalter genannt. Ist das nicht blöd? Hundehalter! Ich selbst kenne zwar die Begriffe Federhalter, Büstenhalter oder sogar Fahrzeughalter. Der tiefere Sinn des Begriffs Hundehalter aber ist und bleibt mir nicht ganz verständlich. Ein Halter hält doch immer etwas und eine Halterung bedeutet doch umgangssprachlich, dass mindestens zwei Dinge zusammengehalten werden. Deshalb wäre der Begriff „Hundeanleiner“ für mich ein viel geeigneteres Wort anstelle von Hundehalter. Schließlich nennt kein Mensch einen Fahrzeughalter einen Fahrzeughalter, wenn dieser mit seinem Auto fährt, sondern bezeichnet ihn als Autofahrer, selbst dann auch noch, wenn er an der nächsten Ampelkreuzung bei Rot anhalten muss. Obwohl er ja in diesem Moment eigentlich zu einem Fahrzeuganhalter wird, oder?
Machen wir die Probe aufs Exempel:
Was stellt ihr euch vor, wenn ihr an einen Federhalter denkt?
Ihr stellt euch wahrscheinlich ein Schreibgerät vor, in dessen vorderes Ende eine Schreibfeder gesteckt ist, oder ihr erinnert euch vielleicht an den Füllfederhalter aus der eigenen Schulzeit, mit dem ihr noch schreiben gelernt habt. Ich dagegen denke bei diesem Wort ausschließlich nur an einen Vogel, denn nur diese gefiederten Freunde können damit gemeint sein, wenn von Federhaltern die Rede ist.
Wie sieht es aber mit dem Begriff Büstenhalter aus? An welchen Gegenstand denkt ihr hierbei? - - -
Aber das überlasse ich lieber eurer eigenen Phantasie.
Jedenfalls einem fachkundigen Hundelehrer braucht man als Welpe mit solcherlei sprachlichen Spitzfindigkeiten gar nicht erst zu kommen, denn der interessiert sich nur für unsere charakterliche Entwicklung, die er Prägung nennt. Seine Aufgabe ist unsere Sozialisation. Und damit beginnt es bereits kompliziert zu werden. Für manche Hunderabauken, und die gibt es ja wahrscheinlich fast in jeder Schulklasse, ist die Sozialisation sogar ein sehr notwendiges Unterrichtsfach, schließlich muss jeder lernen, wie man sich richtig in der Gesellschaft der Menschen verhält.
Nur ein gesellschaftsfähiger, also „erzogener“ Hund, kann schließlich alle Freiheiten genießen, die er braucht, um ein artgerechtes und glückliches Leben führen zu können. Es liegt nun mal in der Natur der Dinge, dass wir Hunde gezwungen sind, uns in der menschlichen Gesellschaft, welche ja in sehr vielen Dingen so gar nicht unserem natürlichen Wesen entsprechen, zu integrieren.
Das wichtigste Ziel einer erstklassigen Hundeschule sollte aber immer für alle Frauchen und Herrchen darin bestehen, gemeinsam mit ihren Vierbeinern zu lernen, wie man miteinander kommuniziert. Wenn dies gelingt, dann hat sich solch ein Schulbesuch am Ende wirklich gelohnt. Oder wie seht ihr das?
Am letzten Schultag
Ab heute muss ich nun nicht mehr zur Hundeschule. Meine Erziehung ist jetzt abgeschlossen. Ich bin nun stubenrein, bleibe sogar vor einem Geschäft sitzen, wenn es von mir verlangt wird, damit drinnen Frauchen in Ruhe einkaufen kann, habe auch gelernt, dass ich einem Jogger im Stadtpark nicht ins Hosenbein beißen darf, lasse mich nicht von anderen Vertretern meiner Gattung mobben und aus der Ruhe bringen, liebe alle Briefträger und kann sogar auch fast alle Gedanken von Frauchen und Herrchen erraten, auch wenn diese nicht laut ausgesprochen werden. Ich kenne ihre Körpersprache ganz genau und habe auch begriffen, auf ihre Handzeichen, einfache Kunststücke auszuführen.
Offenbar bereitet es den Menschen ein großes Vergnügen, wenn wir auf ihren Wunsch hin zum Beispiel „Männchen machen“. Sogar mein Hundelehrer war von mir am letzten Schultag ganz begeistert. Er hält mich tatsächlich für einen gut erzogenen Hund. Dabei war alles gar nicht so schwierig. Nur mit der bedingungslosen Unterordnung hapert es noch etwas. Als Lebewesen mit meinen natürlichen Talenten fühle ich mich manchmal nicht ganz ernst genommen.
Einige wichtige Dinge aber hat man mir leider in der Hundeschule nicht beigebracht. Diese Bildungslücken musste ich schon selbst schließen. Ich habe schreiben, lesen und sogar ein bisschen rechnen gelernt.
Wie ich das gemacht habe, verrate ich euch aber ein andermal, denn an dieser Stelle beginnt mein eigentliches Tagebuch.
Hier ist gleich der erste Eintrag, von mir mit eigener Klaue aufgeschrieben an meinem ersten Geburtstag.
Da ihr wahrscheinlich meine ganz persönliche Hundeklaue nicht wirklich entziffern könntet, habe ich mir die Mühe gemacht und musste alles sicherheitshalber nochmal extra für dieses Buch fein säuberlich abtippen. Also, los geht’s…
Der erste Tagebucheintrag
Habe heute Morgen auch eine Wurst geschenkt bekommen, zum Geburtstag, aber ich musste sie selbst suchen, denn Frauchen und Herrchen hatten sie, wie sie meinten, gut versteckt. Habe sie aber trotzdem gleich mit Hilfe meiner Nase aufgespürt. Sie lag in Herrchens Hausschuh direkt neben dem Sofa. Sockenduft und Wurstaroma. Das war eine große Freude. Warum darf ich als Hund eigentlich nicht jeden Sonntag Geburtstag feiern?
Das Leben macht mir so großen Spaß. Es ist Frühling. Draußen wird alles grün und es duftet nach Blumen, Leberwurst und Socken.
Aber heute ist noch viel mehr passiert.
Wisangtschin, was für ein wahnsinniger Sonnentag! Herrchens Frauchen hat heute versucht einen Kuchen zu backen, einen Pflaumenkuchen. Weil sie die Backform aus dem obersten Regalfach des Küchenschranks herausholen wollte, ist sie auf einen der wackligen Küchenstühle gestiegen, um so besser an das Ding heranzukommen. Ich lag alldieweil auf dem Sofa im Arbeitszimmer von Frauchens Herrchen und döste so vor mich hin. Mein Herrchen schrieb gerade an einer Kurzgeschichte, Herrchen ist nämlich Schriftsteller, und ich wollte deshalb nicht stören, lag also nur ganz still da. Plötzlich hörten wir beide ein Getöse aus der Küche, dann ein Wehgeschrei. Herrchen und ich sind so gleich aufgesprungen und in die Küche geeilt. Da entdeckten wir Frauchen rücklings auf dem Fußboden liegend. Wie ein umgefallener Käfer, so zappelte sie hilflos mit Armen und Beinen herum, hielt sich dabei ein Bein und jaulte vor Schmerz. Die Kuchenbackform lag neben ihr. Fast wäre das Ding in meinen Fressnapf gefallen. Manchmal hilft eben auch nicht das beste Feng Shui in der Wohnung, wenn ein wackliger Küchenstuhl als Trittleiter benutzt wird. Ohje. Herrchen hat dann jedenfalls Frauchen schnell hochgehievt und wieder auf die Beine gestellt. Zum Glück hatte sich Frauchen nichts gebrochen, nur ein paar blaue Flecke und ein geschwollenes Kniegelenk, aber der Schreck, wisangtschin, der saß uns allen noch den ganzen Tag lang in den Gliedern.
Frauchens Herrchen meinte: „Der Sturz vom Stuhl gehört mit zu den Unfall-Klassikern. Die meisten tödlichen Unfälle passieren im Haushalt!“ Herrchens Frauchen war von dieser nüchternen Feststellung alles andere als begeistert, sie meinte nur: „Na, vielen Dank auch! Das hättest Du Dir wohl gewünscht, was?“ Dann haben sich die beiden heftig gezankt und der Haussegen hing schief.
Sowas kann ich nun mal überhaupt nicht vertragen und bin in mein Hundenest geflüchtet, doch nach einer Stunde konnte Frauchen wieder einigermaßen stehen und laufen und so hat sie dann doch noch mit saurer Miene den Kuchen gebacken. Ich habe dabei vor dem Backofen gesessen und die ganze Zeit über in die Röhre geguckt. In die Backröhre gucken ist wie Fernsehen für Hunde, ein sehr spannendes Programm, weil es die Phantasie anregt – und natürlich auch den Appetit und den Speichelfluss. Nur kommt man als Hund an die Leckereien, die dieses Programm zu bieten hat, leider nicht ran. Unsereins würde sich ganz fürchterlich die Nase verbrennen, da die Backröhre sehr heiß ist. Dieser Duft hat meinen Appetit natürlich ganz erheblich angefacht, wie ihr euch sicher denken könnt.
Na ja. Vom frischgebackenen Kuchen habe ich am Nachmittag jedenfalls doch noch ein paar Krümel abbekommen. Hätte ich ein ganzes Stück gefressen, wäre