Mördertränen: Thriller. Alfred Bekker

Mördertränen: Thriller - Alfred Bekker


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setzte sich plötzlich in Bewegung und rannte mit wenigen, weiten Schritten auf den Wagen zu, schwang sich hinein und der Fahrer des Cabriolets trat daraufhin das Gaspedal durch. Einen Augenblick später bog er mit quietschenden Reifen in die nächste Seitenstraße.

      *

      ALS ICH JADEN WENIG später wieder abholte, erzählte er mir von dem, was er erlebt hatte. „Am Liebsten hätte ich den Kerl mit in eine Gewahrsamszelle unseres Field Office genommen!“, machte er seinem Ärger Luft.

      Ich grinste. „Warum hast du es nicht getan? Der Fond des Dodge ist zwar ziemlich eng – aber mehr Beinfreiheit hat man während eines Fluges in der Economy Class oft auch nicht!“

      „Ich hätte keinen Grund gehabt. Hässliche Tätowierungen sind leider nicht strafbar - und mein subjektives Gefühl, dass die alte Frau Angst vor ihm hatte, dürfte wohl kaum einen Richter überzeugen.“

      „Jaden, es ist immer dasselbe. Verbreitung von Furcht ist die wichtigste Methode des organisierten Verbrechens. Da ist diese Mara Salvatrucha oder MS-13 oder wie immer sie sich auch nennen mag, nicht anders als die Cosa Nostra oder die Triaden in Chinatown.“

      Die Adresse, die Mr Kellerman uns angegeben hatte, war von den Kollegen der City Police weiträumig abgesperrt worden. Aber nachdem ich das Seitenfenster herabgelassen und meine ID-Card vorgezeigt hatte, ließ man uns weiter vorfahren. Ich stellte den Dodge neben einen Van, der die Kennzeichnung der Scientific Research Division trug. Dieser in der Bronx angesiedelte zentrale Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeieinheiten wurde auch von uns häufig angefordert, obwohl unser Field Office daneben noch seinen eigenen Erkennungsdienst inklusive Labors unterhielt.

      Wo der Tatort war, konnte sofort erkennen. Das zur Straße ausgerichtete Fenster des Tattoo-Studio war zerschossen. Barranquez – stand in großen Neonbuchstaben über dem Fenster. Die Buchstaben flackerten auf, obwohl es eigentlich noch viel zu früh war, die Anlage einzuschalten.

      Zwei uniformierte Kollegen der City Police trugen gerade den Zinksarg mit dem erschossenen Mara 13-Gangster hinaus. Dr. Brent Heinz, ein Gerichtsmediziner der SRD kam uns entgegen und war dabei ins Gespräch mit Captain Scott Mancuso von der Homicide Squad des zuständigen Polizeireviers vertieft. Ich kannte Mancuso flüchtig. Als er noch Lieutenant gewesen war, hatte er seinen Dienst in einem Revier in Brooklyn verrichtet. Unser Job hatte es mit sich gebracht, dass wir hin und wieder über den Weg gelaufen waren und ein- oder zweimal auch zusammen an Fällen gearbeitet hatten.

      „Als Todesursache dürfte wohl nur eine der zahlreichen Kugeln in Frage kommen, die den Körper des Opfers getroffen haben“, hörte ich Dr. Heinz sagen und dabei gestikulierte er mit der rechten Hand, während die Linke seinen Arztkoffer trug.

      Dr. Heinz und Captain Mancuso bemerkten uns.

      „Diesmal ist das FBI ja schnell zur Stelle“, sagte Mancuso und begrüßte uns dann knapp. „Das Ganze sieht nach einer dieser gewöhnlichen Schießereien zwischen den verschiedenen Mara-Gangs aus. Niemand will was gesehen haben. Selbst wenn man jemanden nach der Uhrzeit fragt, muss man es den Leuten aus der Nase ziehen, weil sie Angst haben.“

      „Wollen Sie den Toten noch einmal sehen, Barry?“, fragte Dr. Heinz plötzlich. Der Zinksarg war gerade vor dem Leichenwagen angestellt worden. Einer der Träger öffnete die Heckklappe.

      „Ja“, sagte ich.

      „Dann folgen Sie mir.“

      Wir gingen zusammen mit Captain Mancuso und Dr. Heinz zu dem Zinksarg. Auf Mancusos Anweisung hin wurde er für uns noch einmal geöffnet.

      Der Tote war durch die Schüsse furchtbar zugerichtet. Alles war blutverschmiert. Er starrte mich mit weit aufgerissenen, starren Augen an. Für einen Angehörigen der Mara 13 war er fast schon sparsam tätowiert. Manchmal bedeckten Tattoos selbst ihre Gesichter so eng, dass man kaum noch ein Stück freie Haut finden konnte.

      Mir fiel auf, dass er ein paar eintätowierte Tränen im Gesicht hatte. Nach allem, was wir über die Bedeutung dieser Tattoos wussten, hatten die Kugeln offenbar keinen Unschuldigen hingestreckt. Aber dieser Umstand beeinflusste natürlich keineswegs unseren Eifer bei der Aufklärung dieses Mordes.

      „Wir haben ein Flugticket bei ihm gefunden“, sagte Captain Mancuso. „Er war mit dem Flieger aus L.A. gekommen und wollte offenbar nächsten Dienstag wieder zurück an die Westküste. Außerdem war da ein Führerschein auf den Namen Eduardo Johnson.“

      „Kann ich den mal sehen?“, fragte sich.

      „Die Kollegen vom Erkennungsdienst sind noch nicht so weit damit.“

      „Haben Sie schon eine Personenabfrage nach diesem Eduardo Johnson durchgeführt?“, hakte ich nach.

      Mancuso nickte bedächtig und steckte die Hände in die Tasche seiner weiten Flanellhose. „Er ist mehrfach verurteilt worden. Das Register umfasst die üblichen Delikte: Körperverletzung und Drogen.“

      „Und Mord?“, hakte ich nach.

      „Wegen der Tränen?“

      „Ja.“

      Mancuso zuckte mit den Schultern. „In dem über NYSIS einsehbaren Datensatz ist darüber nichts zu finden. Der Tätowierer hat übrigens ausgesagt, dass Johnson zu ihm gekommen wäre, um sich eine neue Träne stechen zu lassen.“

      „Kein Mara würde sich so etwas stechen lassen, wenn er sie sich nicht verdient hätte!“, war Jaden überzeugt.

      Ich nickte den uniformierten Kollegen zu und der Sarg wurde wieder geschlossen. Wir würden uns die grausigen Einzelheiten dieses Verbrechens ohnehin noch oft genug auf den zahlreichen Tatortfotos ansehen müssen, die die Kollegen der Scientific Research Division mit der ihnen eigenen Sorgfalt anzufertigen pflegten. Normalerweise wurde auch ein Videorundblick gemacht, sodass man sich den Tatort als Ermittler jederzeit noch einmal in dem Zustand ansehen konnte, wie er zum Zeitpunkt dieser Aufnahme gewesen war.

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