Blutland. Josef Hahn

Blutland - Josef Hahn


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      Wie es damals in Wien zuging hat der spätere Papst Pius II. (Enea Silvio Piccolomini) notiert:

       Übrigens gibt es in dieser so großen und vornehmen Gesellschaft viel Eigenartiges. Tag und Nacht werden Raufereien geführt; da ergreifen die Künstler gegen die Studenten die Waffen, dann die Beamten gegen die Künstler, daraufhin ergreifen diese Handwerker die Waffen gegenüber den anderen. Selten feiern sie ohne Totschlag, oft werden Morde begangen. Wo ein Streit ist, gibt es keine Leute, welche die Streitenden trennen, und weder die Behörden, noch die Führenden gebrauchen Wachen, wie es sich gehörte, bei so viel Unheil. Fast alle Bürger beitreiben Weinstuben, sie beheizen die Stuben, sie richten Küchen ein, sie locken Trinker und Dirnen ein und gewähren diesen kostenlos irgendetwas zu essen, damit sie mehr trinken. Aber sie schenken ihnen zu wenig ein. Der Pöbel ist zudem fresssüchtig, und was auch immer er in einer Woche mit der Hand verdient hat, das gibt er an einem Festtag wieder aus. Das niedrige Volk ist zerlumpt und ungehobelt. Sehr groß ist die Zahl an Dirnen. Selten ist eine Frau mit nur einem Mann zufrieden. Sie leben ohne irgendeinem geschriebenen Gesetz und legen die alten Gesetze so aus, wie sie sie brauchen: Das Recht ist vollkommen käuflich, wer kann, sündigt ohne Strafe.

      Den jungen Herzog quälten eine ganze Menge Sorgen. Sorgen, die er viel lieber anderen aufgebürdet hätte, als sie selber zu tragen. Aber es waren leider keine >anderen< da!

      Albrecht litt, so wie die meisten seines Standes, unter chronischer Geldnot. Ja, er wusste nicht einmal, wie er die bereits aufgenommenen Darlehen zurückzahlen sollte. Woher sollte er dann neues Geld herkriegen, das er dringend brauchte?

      Und dann waren da noch die ketzerischen Hussiten. Obwohl man dieses aufrührerische Subjekt Jan Hus bereits vor Jahren in Konstanz durch das Urteil der Kirche verbrannt hatte, lebten seine schädlichen Gedanken weiter fort; mehrheitlich unter den einfachen Bürgern und Bauern.

      Die Gedanken konnte niemand verbrennen; damals nicht und auch heute nicht! Gedanken, die aber die Römische Kirche mit ihrem Oberpriester erst gar nicht aufkommen lassen durfte: Sie sahen dadurch sich und ihre Privilegien in höchster Gefahr.

      Hieronymus von Prag8 trug 1410 die Lehren des Jan Hus als erster in Wien vor. Hans Griesser, ein anderer Hussit, wurde 1411 als Ketzer in Wien hingerichtet. Alles nützte nichts! Die Hussiten waren da und wurden immer mehr. 1420 rief Papst Martin V. zum Kreuzzug gegen sie auf. Im Vatikan war man entschlossen, diese gefährliche Strömung zu vernichten.

      Dem konnte, wollte und durfte sich der erzkatholische Albrecht nicht entziehen. Als Adeliger zählte er zum sozial, rechtlich und politisch privilegiertesten Stand, der alle Rechte und höchste Vorteile genoss. Diese Rechte gründeten sich vor allem auf die Geburt. Adelige pflegten besondere Lebensformen und hatten ein und ausgeprägtes Standesbewusstsein.

      Auch Albrecht war ein typischer Spross seiner Zeit und genoss mit einer arroganten Selbstverständlichkeit alle Privilegien, die ihm seiner Meinung nach zustanden: Der Adel war Inhaber aller staatlichen Funktionen; die Führung des Staates lag faktisch in seiner Hand. Die Herrschaft irgendeines Kaisers oder Königs war ohne die mehrheitliche Zustimmung des Adels gar nicht möglich. Außerdem musste noch der Papst in Rom mit dem Kandidaten einverstanden sein.

      Also musste jeder, der diese Würde begehrte, sich mit dem hohen Adel und – vor allem - mit der Kirche arrangieren. Schenkungen, Lehen und Titel waren die >Schmiermittel< der Zeit.

      Nur der Adel war in der Lage Bargeld aufzutreiben; wenn auch durch Räubereien, Diebstähle oder ähnliche Sauereien. Die damalige Zeit war noch größtenteils von der Naturalwirtschaft geprägt. 90 Prozent der Bevölkerung waren einfache Bauern, die mit ihrer Arbeit die Grundlage für den Reichtum der Kirche und des Adels erschufteten. Ihr Ansehen war dennoch äußerst gering.

      Garantiert wurde dieses System der kompletten Ausbeutung durch die Kirche, die dies als gottgegeben propagierte und die Mehrheit der Bevölkerung, die Bauern und einfachen Bürger, glaubte dies auch.

      Das einfache Volk musste schuften und durfte unwissend bleiben. Ein Rezept, das auch heute noch in manchen Staaten angewandt wird und funktioniert; leider!

      Bildung war im Mittelalter das Privileg der Angehörigen des ersten und zweiten Standes9 und wurde dadurch auch indirekt zum Herrschaftsinstrument.

      Die Alphabetisierungsrate der einfachen Menschen war äußerst niedrig. Man konnte in der Mehrzahl weder lesen oder schreiben. Öffentliche Schulen existierten nicht, die Sprösslinge des Adels wurden von Privatlehrern oder in Klosterschulen unterrichtet, in denen auch der klerikale Nachwuchs seine Schulbildung erhielt. Auch das Studium an den sich im Hochmittelalter bildenden Universitäten war nur den vermögenden Schichten vorbehalten.

      Da die Teilhabe an Bildung und Ausbildung vielen verschlossen blieb, hielten sich während des gesamten Mittelalters abergläubische Vorstellungen und Ansichten bei den Bauern und einfachen Bürgern, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden und an die einige auch heute noch glauben.

      Wie schon erwähnt, lebte die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung außerhalb der Stadtmauern. Begründet vor allem im herrschenden Feudalismus und der bäuerlichen Schollenpflicht. Bauern war es unter Androhung von harten Strafen verboten, das Land, das sie bewirtschafteten, zu verlassen. Einige taten das aber doch. Wenn sie aber erwischt wurden, dann gab es keine Gnade für sie.

      Zwar gab es schon seit dem 6. Jahrhundert im Deutschen Reich geschriebene Gesetze; wie sie interpretiert wurden, war aber Sache der Adeligen. Falsche Geständnisse wurden oft mittels Folter erzwungen.

      Von Albrecht wurde nun erwartet, dass er mit seinen Soldaten die Hauptlast des Kreuzzuges gegen die Hussiten trug. Er hatte aber keine Soldaten, nur eine kleine Burgwache. Auch Geld hatte er nicht, das zur Anwerbung von Söldnern nötig war. Wie konnte er so die Wünsche des Papstes und seines zukünftigen Schwiegervaters ehrenhaft erfüllen? Fixe stehende Heere entwickelten sich erst in der Frühen Neuzeit.

      Albrecht musste also erstens Offiziere ernennen, dann Bauern und Arbeiter zwangsrekrutieren und auch Söldner anwerben; ohne Geld war das alles nicht möglich.

      Dann musste man die künftigen Offiziere auch noch ausrüsten: Mit Angriffs- und Verteidigungswaffen. Wie etwa mit Lanzen, dem Morgenstern, dem Schwert und auch einem Dolch. Zu den Verteidigungswaffen gehörte auch die Rüstung mit Helm und Schild. Die einfachen Soldaten kämpften mit Mistgabeln, Dreschflegeln, Holzprügeln oder was eben gerade zur Hand war. Ihr Leben zählte ohnehin nicht viel.

      „Durchlaucht! Ein Bote vom Handelshaus Fugger ist soeben von Augsburg aus eingetroffen. Er überbringt eine Botschaft“, meldete man ihm.

      „Na endlich“, freute sich Albrecht. Er hatte vor einigen Wochen einen Kurier zum Handelshaus gesandt und um Gewährung eines neuerlichen Kredites gebeten.

      Die Fugger zählten damals zu den reichsten Bürgern des Reiches und hatten schon manchem Fürsten, auch dem Kaiser, aus Geldverlegenheiten geholfen. Allerdings galten sie auch als sehr harte Bankiers, die kategorisch auf die Einhaltung abgeschlossener Vereinbarungen bestanden. Albrecht war sich aber sicher, dass sie seinen Kreditwünschen entsprechen würden. Ging es doch um die heilige Sache der Kirche gegen die Hussiten.

      Er tat sich mit dem Lesen etwas schwer. Also schickte er nach seinem Beichtvater, dem Prior der Kartause Gaming, Leonhard II., dass dieser ihm die Nachricht vorlese. Der Prior hielt sich ohnehin meist in Wien auf, da er von hier aus seinen unheilvollen Einfluss auf den jungen Herzog stärker ausüben konnte.

      Lesen und Schreiben waren im Mittelalter zwei Fähigkeiten, die nicht unabdingbar miteinander verknüpft waren und als getrennte Unterrichtsgegenstände gelehrt wurden. Lesen diente primär zur Ausbildung des priesterlichen Nachwuchses. Kleriker mussten des Lesens kundig sein und gut singen können. Schreibfähigkeiten wurden vorerst nicht verlangt. Die Sprache der Kleriker und Gelehrten war Latein.

      Schätzungen zufolge konnten im Spätmittelalter nur etwa zehn Prozent der städtischen Bevölkerung lesen und schreiben. Vor allem der Klerus, Kreise


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