Damals im Café Heider. Martin Ahrends
Heider war so harmlos. Es gab keine Untergrundbewegung, keine Opposition, wir waren vollkommen harmlos. Wir haben unser Zeug gesponnen, aber Ideen waren ja immer der große Feind. – Das Heider war eine Insel, aber eine, die nur im Osten so sein konnte, wie sie war. Ein paar Leute von uns konnten in den Westen fahren, wenn irgendwer achtzig wurde, oder so. Stöckmann ist nach West-Berlin gefahren, er hätte bis 24 Uhr bleiben können, kam aber um acht ins Heider. Wir staunten: Was machst du denn hier?? Sagt er: Er wollte zurückkommen, bevor das Heider schließt. Und ich: Hast du ne Scheibe? Er: Da gibt es so was nicht wie das Heider. Da gibt es Cafés für jede Szene, aber nicht das. Das Heider war eine besondere Mischung, eben nicht bloß Szene oder nicht bloß eine, sondern die Omas und Opas, die da Kaffee tranken, außerdem die Schüler von der Helmholzschule, und die sogenannten Intellektuellen und die Künstler. Handwerker, Arbeiter kamen, im Heider war alles vertreten, auch die Bürgermeisterin Hanke saß da gern. Stöckmann hatte seine Freunde im Westen gefragt und beschrieben, was er sucht. Und die offerierten ihm die verschiedenen Szenen an den verschiedenen Orten. Da bekam er Heimweh.
Abends um neun hat das Heider schon geschlossen, dann sind wir alle in den Claudius-Club gezogen. Klub der Künstler und Architekten, heute die Spielbank. In den 80er Jahren gab es aus huygienischen Gründen im Heider kein Essen, also unser Steak mit Erbsen und Pommes frites im Künstlerklub gegessen, manchmal kam JOOP zu Besuch aus dem Westen.
Montags sind wir alle in der Stadt umhergeirrt, weil das Heider geschlossen war. Haben uns mal im „Babette“ getroffen, ungern, war eben eine Notlösung. Das Heider war eine Sucht. Das Gemeinschaftsleben dort. Weshalb wir montags völlig verzweifelt waren. Wir begegneten uns auf dem Broadway auf der Suche nach einander: Weiß du, wo Dings ist, hast du den gesehen? Jeden Tag sahen wir uns und merkten montags, wie abhängig wir von dieser Gemeinschaft sind. Sten war Inventar, Ulrich Preuß, ist inzwischen tot. Ein Multitalent: Schriftsteller, Maler, Musiker. In der Badewanne ertrunken.
Unsere Gesellschaft war offen, aber auch geschlossen insofern, als wir von jedem, der neu hinzukam, dachten, er ist im Auftrag der Stasi da. Im Heider durfte man ausnahmsweise einen Stuhl vom Nebentisch nehmen, Tische zusammenrücken war eher unerwünscht wie überall in der DDR-Gastronomie, aber jeder hat von außen gemerkt: das ist ne Gruppe. Wir kommunizierten über die Tische hinweg und spielten unsere Spielchen. Es wurde exzessiv gesoffen, Andreas, Roger und Sten, die ließen sich zum Beispiel achtzig Schnäpse bringen und tranken hintereinander weg. Schappi, Peter Wawerzinek., ein Berliner Autor, wurde damals wenig veröffentlicht. Schappi kam jedenfalls manchmal ins Café Heider. Ein Entertainer. Christa Köhler, die Schwester von Karl Heider, hat gekellnert und gewacht über die Disziplin und weiß ich was. Es gab einen großen Achtertisch, wo Schappi mit dran saß, und irgendwann hat er angefangen auf dem Tisch zu trommeln, das haben andere Tische aufgenommen und mitgemacht, so dass im Heider ein großes Trommelkonzert entstanden ist. Christa ist fast ausgerastet, wusste aber nicht damit umzugehen, und es hat ihr irgendwie gefallen. Normalerweise wäre so was nicht möglich gewesen. Aber es war ein besonderer Abend. Da ist spontan etwas entstanden, was da nie war. Nichts Aggressives, Freude, viel Suff. Christa hatte keine Chance. Sie hat Schappi doch noch rausgeschmissen, aber, na ja. Sonst erinnere ich mich bloß, welche Männer ich da abschleppte.
Die Gemeindepädagogen waren stark unter Beobachtung. .....Damals war uns immer gegenwärtig, es könnte jeder sein von uns. Ich versuchte damals, das zu ignorieren, achtete allerdings meist drauf, was ich sage und was nicht. Ich war politisch nicht engagiert, bloß genervt, dass man keine eigene Kneipe aufmachen kann, dass man die Ideen, die man hatte, nicht umsetzen konnte in der DDR. In der Mittelstraße gab es eine illegale Galerie, die immer wieder mal verboten werden sollte. Es gab Sommerfeste, die unerwünscht waren. Mich hat das genervt, dass es jedes Mal Ärger gab, egal, was man machte, das Kreative sollte unterbunden werden. Das hat uns an diesen Ort Heider gefesselt, wo man nie so richtig zum Orgasmus kam, immer wieder Ideen entwickelte...
A: ...um sie auf sexueller Ebene „abzuführen“?
Genau. Das wurde umgeleitet, da konnte man es ausleben. Deshalb wundern sich die Wessis, warum das im Osten so freizügig war. Es war unsere Möglichkeit kreativ zu sein. Individuell, frei zu sein, zu machen, was man Lust hat. Deswegen war das so ausgeprägt, das Gerammle. - Im Heider bekam ich den Tip für meine spätere Potsdamer Wohnung – also da lief echt alles über die Heider-Börse – ein Privathaus, da brauchte ich nicht über das Wohnungsamt, die KWV. Zahlte jedoch dreifache Miete. Mußte trotzdem zum Wohnungsamt, um mich polizeilich anmelden zu können. Und da sagten die zu mir: Sie haben kein Wohnrecht in Potsdam. Sie kriegen hier keine Wohnung. Sag ich: Warum? und: Wo habe ich denn Ihrer Meinung nach Wohnrecht? Da wurde nicht drauf geantwortet. Dieses Scheiß-Gefühl. Diese Ohnmacht.
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