Closing Words. Valuta Tomas
weil sie ganz genau weiß, dass Sam zuhause beim auspacken wieder wie ein Teekessel pfeifen wird, schlurft sie ihrer Frau gemächlich hinterher.
Einkaufen ist mit Sam eine Herausforderung, der sie sich, gewappnet mit allen Schutzmaßnahmen die sie aufbringen kann, einmal die Woche stellt. Sie brauchen mit Hin- und Rückfahrt und dem eigentlichen einkaufen tatsächlich geschlagene drei Stunden. Und das obwohl sie eigentlich fast um die Ecke wohnen.
Sie gewöhnte sich irgendwann daran. Für sie ist es ein amüsantes Schauspiel ihrer Frau beim einkaufen zuzusehen. Noch nie gab es so etwas wie Fertiggerichte oder Tütenkram im Einkaufswagen. Noch nie gefrorene Chicken Nuggets. Da holt Sam lieber eine frische Hühnerbrust, schneidet sie in kleine Stücke und paniert diese mit einer Cornflakeskruste. Natürlich die Sorte ohne Zuckerschicht. Selbst die dazugehörigen Pommes macht sie selbst. Sie macht sich tatsächlich die Arbeit, Kartoffeln zu schälen und diese in Pommesähnliche Streifen zu schneiden. Ganz zu schweigen von dem Ketchup und der Mayonnaise. Selbst Pizza gab es noch nie aus der Truhe. Sie mischt mit Quark und einigen anderen Zutaten den Teig zusammen und belegt diesen mit frischem Gemüse. Noch nicht einmal Nudeln gab es bisher aus der Packung.
Die Lebensmittelindustrie hat mir ihr echt ein schweres Los gezogen. An dieser Frau verdienen sie nicht viel.
Sam macht sich sogar die Arbeit Süßigkeiten für ihre Tochter herzustellen. Bonbons, Schokokekse, Weingummi, Muffins oder aber auch ein einfacher Kuchen. Für sie kommt nichts aus der Packung.
Dadurch, dass sie in dieses neue Haus gezogen sind, konnte sie sich auch endlich einen ihrer größten Wünsche erfüllen. Einen eigenen Gemüsegarten. Neben einigen Spielgeräten für Precious, einer gemütlichen Veranda, einem Geräteschuppen und einem Gewächshaus, hat sich Sam in mühevoller Arbeit tatsächlich einen eigenen Gemüsegarten angelegt. Von Gurken über Tomaten, bis hin zu Salaten und Bohnen, versucht sie sich an allem was grünt und wächst. Noch bevor Neve und Precious aufwachen, steht sie auf und kümmert sich um ihre ganz eigenen Lieblinge. Selbst nach Feierabend verbringt sie dort einige Zeit.
Ihre Anstrengungen zahlen sich tatsächlich aus. Neve kommt nicht umhin zuzugeben, dass das Essen mit frischen Zutaten tatsächlich besser schmeckt, als der vorgefertigte Fraß. Offen aussprechen würde sie das allerdings nicht. Braucht sie auch nicht. Sam sieht es alleine daran, dass es bisher nie einen Abend gab, an dem ihre Frau den Teller nicht leergegessen hat. Manchmal ist sie sogar kurz davor, den Teller so sauber abzulecken, dass man diesen problemlos wieder in den Schrank stellen könnte. Da sie aber Manieren hat und Precious kein schlechtes Vorbild sein will, verkneift sie es sich immer wieder.
Als die drei Frauen an der Fleischtheke ankommen, bildet sich ein verschwörerisches Lächeln auf Neves Lippen. Sie blickt kurz zum Tresen. Die dortigen Mitarbeiter kennen Sam und ihre merkwürdigen Angewohnheiten schon. Von daher suchen zwei von ihnen schon das Weite, als sie Sam auf sich zukommen sehen, bis nur noch eine Dame übrigbleibt. Sie hat das schwere Los gezogen und muss sich tatsächlich die nächste viertel Stunde mit einer mehr als anstrengenden Kundin beschäftigen. Denn ohne dass die Mitarbeiterin Sam das ausgewählte Stück Fleisch nicht aus allen Himmelsrichtungen gezeigt hat, kommt bei ihrer Frau nichts in die Tüte.
Schnaufend und von ihren Kolleginnen verraten und verkauft, ergibt sich die Mitarbeiterin ihrer aussichtslosen Situation und begrüßt Sam gespielt herzlich.
Neve schlurft in der Zwischenzeit in Richtung der Obst und Gemüse Abteilung. Dort wird sich Sam auch noch eine geraume Zeit aufhalten. Auch wenn sie ihren eigenen kleinen Garten hat, kann sie zu manchen Jahreszeiten nicht alles anbauen was sie gerne möchte und muss doch auf die Industrie zurückgreifen.
Pustend wirft sich Neve auf die dort stehende Bank und beobachtet ihre Frau aus einiger Entfernung. Precious wirft sich neben sie, legt die Füße hoch und platziert ihren Kopf auf ihren Schoß. Sie weiß mittlerweile auch, dass es bei der Fleischabteilung etwas länger dauert. Danach kommt noch die Käsetheke und dann geht es an das Obst und Gemüse. Precious muss also noch etwas Kraft tanken, bevor ihre Fähigkeiten gefragt sind.
Verträumt spielt Neve während der Wartezeit mit Precious' Locken. Sie blickt zu ihr herunter und lächelt. Die Maus sieht Matt so unglaublich ähnlich.
Sie ist bis zum heutigen Tag stolz auf sich und glücklich darüber, dass sie denselben Weg wie Laura und Jessica gegangen ist und ihren Boss als Vater ihrer Tochter auswählte. Besser hätte es eigentlich gar nicht sein können. Somit wird es für immer eine Verbindung zum Rudel geben, der sie sich eh nicht mehr entziehen kann.
Manchmal fällt es ihr schwer zu akzeptieren, dass sie aufgrund ihres neuen Körpers keinerlei biologischen Verbindungen mit Precious hat. Selbst die Adoption ihrer eigenen Tochter wirkte so unfassbar surreal auf sie, dass es sie manchmal schmerzt. Aber sie weiß, dass Precious ihr Kind ist. Egal was ihr irgendwelche Papiere und Testergebnisse vorgaukeln wollen. Precious ist ihr Fleisch und Blut.
Nach zwanzig Minuten legt Sam zwei Beutel in den Einkaufswagen und streckt eine Hand aus.
»Na komm, Schatz«, feuert sie ihre Tochter an. Precious blickt wehmütig zu Neve hoch. Ihre Augen fragen sie wahrhaftig, ob sie tatsächlich muss.
»Na los«, lächelt ihre Mutter aufmunternd und gibt ihr einen kleinen Klaps auf den Po. Beide wissen, dass sie um diese Lehrstunde nicht drum herumkommen werden.
Precious schürzt die Lippen, hüpft auf die Beine, drückt ihrer Mutter noch einen Kuss auf den Mund und watschelt zu Sam hinüber.
Neve dreht sich auf der Bank in deren Richtung, stützt den Kopf mit einer Hand an der Rückenlehne ab und beobachtet ihre beiden Frauen.
Precious tut ihr ja schon ein Stück weit leid. Sam wird sie ebenso fordern wie fördern. Da kann sich Neve noch so sehr auf die Hinterbeine stellen und mit den Hufen scharren. Sam wird ihrer Tochter alles über Obst und Gemüse erklären, was sie selbst weiß und mit ihr zusammen jeden Artikel einzeln aussuchen.
Wie eine Giraffe streckt Neve den Hals und schaut den beiden beim aussuchen einer Zitrone zu.
»Schau dir diese beiden Zitronen an. Was fällt dir auf?« Sam hat sich in die Hocke begeben, um mit Precious auf einer Höhe zu sein. Sie hält in jeder Hand eine Zitrone. Angestrengt blickt Precious zwischen den beiden gelben Früchten hin und her. Sie tippt auf die linke.
»Die ist gelber. Die andere ist heller.«
»Super.« Sam reicht ihr die Zitrone. Precious weiß was ihre Mutter dadurch von ihr möchte. Wissbegierig drückt sie sich das kleine gelbe Ding an die Nase und riecht.
»Die riecht sehr stark nach Zitrone.« Sam nickt und reicht ihr die andere.
»Und die?« Precious riecht dort ebenfalls dran und schüttelt den Kopf.
»Die nicht.«
»Und das bedeutet?« Precious überlegt einige Zeit. Dann zeigt sie auf die gelbere Zitrone.
»Die ist überreif. Die wird bald schlecht, aber diese hier«, sie zeigt Sam die hellere Zitrone in ihrer Hand »nicht. Die hält sich noch ein paar Tage.« Sam lächelt stolz.
»Perfekt. Das heißt, je gelber eine Zitrone ist und je mehr sie nach Zitrone riecht, umso schneller wird sie schlecht. Ok? Suchst du noch drei weitere aus?« Als wenn sie damit Precious Ehrgeiz geweckt hätte, nickt Precious stürmisch und beobachtet sie dabei, wie sie weitere Zitronen aussucht.
Alleine bei dem Anblick wie Sam neben ihrer Tochter steht, ihr liebevoll über den Kopf streicht und sie beim aussuchen der Zitronen beobachtet, könnte Neve vor lauter Liebe dahin schmelzen. Es gab bisher tatsächlich keinen Tag, an dem Sam Precious nicht als ihr Kind ansah. Auch wenn sie nicht annähernd irgendetwas mit der Entstehung ihres Lebens zutun hatte, war Precious vom ersten Tag an wie ihr eigenes Kind. Als ob sie mit ihr schwanger gewesen wäre und sie zur Welt gebracht hätte. Neve weiß, dass Sam für sie sterben würde. Dass sie alles für den Hosenscheißer aufgeben würde. Dass Precious einfach alles für sie ist.
Als wenn es ein Kinderwagen wäre, schiebt Neve den Einkaufswagen mit einem Fuß vor und zurück, während sich ihre beiden Frauen weiter durch die Gänge der